Anmerkung von Rechtsanwalt David Püschel, Ignor & Partner GbR, Frankfurt a.M.
Aus beck-fachdienst Strafrecht 01/2023 vom 12.01.2023
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Sachverhalt
Im Rahmen der Anzeigenerstattung der Zeugin (Z) gegen den Beschwerdeführer (B), ihren ehemaligen Lebensgefährten, am 19.6.2020 wegen Körperverletzung zum Nachteil ihres Sohnes hat Z angegeben, der B sei „dauerhafter Betäubungsmittelkonsument“ und konsumiere überwiegend Alkohol und Kokain in regelmäßigen Abständen. Er habe ihr auch einmal Cannabis im Wert von 20,- EUR verkauft. Woher er die Betäubungsmittel beziehen würde, wisse sie nicht. Daraufhin wurde am 24.7.2020 eine Strafanzeige von Amts wegen gegen den B wegen Besitzes und Abgabe von Betäubungsmitteln erstattet, das Verfahren jedoch ohne weitere Ermittlung nach Gewährung rechtlichen Gehörs am 22.2.2021 an die Staatsanwaltschaft Rostock abverfügt.
Auf entsprechende Ermittlungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.3.2021 wurde Z am 10.6.2021 zu ihren Angaben aus dem Juni 2020 ergänzend förmlich vernommen. Zum Erwerb des Cannabis von B hat sie angegeben, dass sie dazu „nicht wirklich was wisse“, dies schon eine ganze Zeit her sei und sie dazu eigentlich auch nichts sagen wolle. Sie habe für die 20,- EUR ungefähr zwei Gramm Cannabis erhalten, dies sei das einzige Mal gewesen. Ob der B auch anderen Personen Betäubungsmittel verkauft habe, wisse sie nicht. Sie habe ihn seit dem Vorfall vor einem Jahr auch nicht mehr gesehen, sie sei sich aber sicher, dass er bis dahin Kokain konsumiert habe. Woher er das Kokain beziehe, wisse sie nicht. Auf die Frage, ob sie wisse, ob und ggf. wo der Beschwerdeführer in seiner Wohnung Betäubungsmittel lagere, verweigerte sie Angaben.
Das AG hat daraufhin mit Beschluss vom 24.6.2021 die Durchsuchung der Wohnung und der Person des B angeordnet, um insbesondere Betäubungsmittel, Dealerutensilien, Geld in szenetypischer Stückelung und Aufzeichnungen, die Hinweise auf Betäubungsmittelgeschäfte liefern könnten, aufzufinden. Ohne zwischenzeitliche weitere Ermittlungsmaßnahmen ist fünfeinhalb Monate nach Erlass der Durchsuchungsanordnung festgestellt worden, dass B umgezogen war, so dass die Staatsanwaltschaft eine entsprechende „Abänderung“ des Durchsuchungsbeschlusses beantragt hat. Mit Beschluss vom 2.12.2021, der sich im Wortlaut von der Anordnung aus Juni 2021 lediglich in der Wohnanschrift des Beschuldigten unterschied, hat das AG erneut die Durchsuchung angeordnet. Der Vollzug der Durchsuchungsanordnung vom 2.12.2021 erfolgte am 17.5.2022, mithin fünfeinhalb Monate nach deren Erlass. B hat Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung eingelegt.
Entscheidung
Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 2.12.2021 sei wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffes und der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG auch nach der am 17.5.2022 erfolgten Durchsuchung mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessualen Maßnahme zulässig. Die Beschwerde habe auch in der Sache Erfolg.
Vorliegend bestünden bereits durchgreifende Bedenken, dass bei der Durchsuchung aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht bestanden habe, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht werden könne. Denn die Durchsuchungsanordnung dürfe nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die erst zur Begründung eines Verdachtes erforderlich seien, sog. Ausforschung. Nach den Angaben der Z im Juni 2020 sei offenkundig nicht zu erwarten gewesen, dass eine Durchsuchung bei dem B Beweismittel für die einmalige Abgabe von zwei Gramm Cannabis erbringen werde. Ebenso wenig wahrscheinlich sei gewesen, dass bei der Durchsuchung der Wohnung - eineinhalb Jahre nach dem Hinweis der Z - Kokain zum Eigenkonsum aufgefunden werde, zumal über die Regelmäßigkeit, Menge und Lagerung von der Zeugin gerade keine Angaben gemacht worden seien. Angesichts dieser geringen Aussicht auf einen Durchsuchungserfolg hinsichtlich der in Rede stehenden Tatvorwürfe und unter Beachtung der im Beschluss benannten aufzufindenden Beweismittel, liege es vielmehr nahe, dass die Durchsuchung erst zur Begründung eines Tatverdachts des Handeltreibens gedient habe. Somit habe die Maßnahme nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftaten und zur Stärke des Tatverdachts gestanden. Die Durchsuchungsmaßnahme vom 17.5.2022 sei auch wegen des Zeitablaufs unverhältnismäßig. Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs könne die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres sei davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleiste und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermöge und damit unzulässig sei. Nach Maßgabe objektiver Kriterien wie beispielsweise Art des Tatverdachts und Schwierigkeit der Ermittlungen könne der Durchsuchungsbeschluss auch schon früher seine rechtfertigende Wirkung verlieren. So liege es hier. Angesichts der einfachen Sachlage und der in Rede stehenden Straftaten der Abgabe von Cannabis in geringer Menge in einem Fall und Besitz von Kokain zum Eigenbedarf sei hier bereits nach fünfeinhalb Monaten die rechtfertigende Wirkung der Anordnung entfallen. Dies erst recht, da nach dem Durchsuchungsbeschluss vom 24.6.2021 zuvor bereits fünfeinhalb Monate verstrichen seien, mithin insgesamt 11 Monate seit Erlass der ersten Durchsuchungsanordnung.
Praxishinweis
Es passiert nicht selten, dass in Durchsuchungsanordnungen mit Müh und Not versucht wird, einen Verdächtigen im Sinne des § 102 StPO zu konstruieren. Dies wohl in der Hoffnung, bei der Durchsuchung an tatsächlich verdachtsbegründende Beweismittel zu gelangen. Solche Durchsuchungsanordnungen weisen häufig neben den im hiesigen Beschluss erörterten Fehlern weitere gravierende Begleitmängel auf. Ihnen dürfte es u.a. regelmäßig an der ausreichenden eigenständigen Prüfung des anordnenden Richters fehlen. Nicht selten ist dies dadurch „belegbar“, dass es sich bei der Durchsuchungsanordnung um eine „Copy-Paste-Version“ des Antrags der Staatsanwaltschaft auf ihren Erlass handelt und noch nicht einmal ins Auge springende Schreibfehler korrigiert wurden. Teilweise schlägt sich die vage und unspezifische Verdachtslage auch dergestalt in der Durchsuchungsanordnung nieder, dass dort kein strafbares Verhalten beschrieben wird, sondern zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen jegliche Ausführung fehlt.
LG Rostock, Beschluss vom 02.11.2022 - 11 Qs 126/22 (2) (AG Rostock), BeckRS 2022, 33587