Urteilsanalyse
Keine Deckung für Schließungen wegen COVID-19 in der Betriebsschließungsversicherung
Urteilsanalyse
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© Dirk-Carsten Günther / BLD

Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundsatzentscheidung entschieden, dass dem Versicherungsnehmer aufgrund von Schließungen wegen der Corona-Pandemie keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung zustehen. Eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 sei nicht vom Versicherungsschutz umfasst, wenn nach den AVB Versicherungsschutz für Betriebsschließungen besteht, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden und die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger sich aus einem Katalog in den AVB ergeben. Diese Klausel sei auch eindeutig und transparent.

27. Jan 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 2/2022 vom 28.01.2022

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Sachverhalt

Der Kläger, ein Restaurantbetreiber, unterhält bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008" zugrunde. Diese AVB lauten auszugsweise:

Ǥ 2 Versicherte Gefahren

Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt; …

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

Krankheiten: …

Krankheitserreger: …»

In § 2 Nr. 2 Buchst. a und b AVB werden weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgeführt. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ordnete mit der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung vom 17.03.2020 unter anderem die Schließung von sämtlichen Gaststätten an.

Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte ihm zur Leistung aus der Betriebsschließungsversicherung verpflichtet ist. Das LG Lübeck hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Schleswig hatte die Berufung des Versicherungsnehmers zurückgewiesen.

Rechtliche Wertung

Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setze der Eintritt des Versicherungsfalls zwar nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraus. Zu Recht habe das OLG Schleswig aber angenommen, dass dem Kläger gegen die Beklagte keine Ansprüche zustehen, weil eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei.

Nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 1 der dortigen AVB bestehe Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 2 Nr. 2 AVB, der nach dem für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abschließend sei. Dieser führe weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 auft.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde sich dabei zunächst am Wortlaut orientieren und in § 2 Nr. 1 AVB dem Klammerzusatz «(siehe Nr. 2)» hinter den Worten «meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger» entnehmen, dass die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 AVB  näher bestimmt werden. Sodann werde er diese Klausel in den Blick nehmen und an der Überschrift «2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger» und der anschließenden Formulierung «Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind …» erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolge. Die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern werde er als abschließend erachten.

Die ergänzende Bezugnahme in § 2 Nr. 2 AVB auf die «im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten» Krankheiten und Krankheitserreger werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass sich die Beklagte bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an §§ 6 und 7 IfSG orientiert hat. Ein anderes Verständnis folge auch nicht aus dem Begriff «namentlich».

Auch der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel spreche für die Abgeschlossenheit des Katalogs, so der BGH weiter. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die - wie hier COVID-19/SARS-CoV-2 gerade zeige - unter Umständen erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich sei.

Die Klausel hält nach Auffassung der Karlsruher Richterschaft auch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand. § 2 Nr. 2 AVB verstoße insbesondere nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehme - wie dargestellt - dem klaren Wortlaut der Bedingungen, dass in § 2 Nr. 2 AVB die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert werden. Ihm werde durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei.

Offenbleiben konnte, ob die hier in § 2 Nr. 2 AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern sind. Auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit ergibt sich nach Meinung des BGH hieraus keine Intransparenz. Schließlich benachteilige die Klausel den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen.

Praxishinweis

1. Mit größter Spannung wurde von allen Beteiligten diesem Grundsatzurteil des BGH zur Betriebsschließungsversicherung entgegengesehen. Mit rechtsdogmatisch sauberer Begründung folgt der BGH der in den letzten Monaten immer dichter werdenden herrschenden Meinung. Nicht nur rund 100 Landgerichtsstandorte, sondern aktuell 17 Oberlandesgerichte hatten bereits bei gleichen bzw. identischen AVB eine Deckung verneint (vgl. zuletzt die Übersicht Günther in FD-VersR 2021, 443613).

Der BGH stellt zunächst auf den primären Zugang ab, also auf den Wortlaut. Dieser ist in der Tat eindeutig und die Versuche von Teilen der Literatur, die sprachlichen Unterschiede zu verwischen, etwa zwischen einem Adverb und einem Adjektiv bei dem Wort «namentlich», wirkten bemüht (vgl. z.B Frohnecke in CoVuR 2021, 349, auch mit einem wenig wissenschaftlichen ductus).

Allein das OLG Karlsruhe vertrat eine Mindermeinung. Dieses Urteil litt in der Tat an erheblichen und zum Teil erstaunlichen Begründungsmängeln. Es war schon wenig überzeugend, die sprachliche Eindeutigkeit der Klausel zu bejahen, dann aber unter anderem wegen einer «optisch erschlagenden Darstellung» der Auflistung der Krankheiten bzw. Krankheitserreger die Transparenz zu verneinen.

Der Verfasser darf hierzu auf seine Kritik an dem Urteil des OLG Karlsruhe verweisen (zugleich Besprechung der Urteile des OLG Karlsruhe vom 30.6.2021 – 12 U 4/21 und 12 U 11/21 in VersR 2021, 1141, kritisch auch Grams in FD-VersR 2021, 443256). Zuletzt folgten dem OLG Karlsruhe zum Teil nicht einmal Landgerichte in dessen eigenen Gerichtssprengel (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 15.11.2021 - 8 O 123/21, BeckRS 2021, 39270, mit Anm. Grams in FD-VersR 2022, 444732).

2.  Auf Basis der momentan vorliegenden, wenngleich recht ausführlichen, Pressemitteilung des BGH ist noch nicht zu beurteilen, ob sich aus den Entscheidungsgründen Hinweise darauf ergeben, ob eine Deckung auch bei der AVB-Fassung ohne tabellarische Auflistung besteht. Hier könnte es darauf ankommen, wie man den Begriff «namentlich» versteht. Eine Reihe von Oberlandesgerichten lehnte in solchen Fällen eine Deckung jedenfalls für die sogenannte erste Welle ab (z.B. OLG Celle, Urteil vom 18.11.2021 - 8 U 123/21, BeckRS 2021, 36650, mit Anm. Günther in FD-VersR 2021, 444318).

3.  Die Notwendigkeit einer intrinsischen Gefahr wurde vom BGH verneint. Allerdings wird es auf diese Frage nur in eher seltenen Konstellationen noch ankommen (Übersicht Günther in FD-VersR 2021, 439431).

4. Neben der juristischen bestand auch eine politische Gemengelage. Manche Verbraucheranwälte warfen den Versicherern eine arglistige Täuschung vor, weil diese nur zu einer vergleichsweisen Zahlung auf Basis des Bayerischen Modells bereit waren und fochten sogar durch die Versicherungsnehmer selbst mit den Versicherern abgeschlossene vorgerichtliche Vergleiche an (vgl. z B. LG Flensburg, Urteil vom 17.12.2020 - 4 O 143/20, r+s 2021, 205 mit ablehnender Anmerkung Frohnecke.). Frohnecke sieht diese Vergleiche als sittenwidrig an (so ausdrücklich a.a.O.), der Versicherer habe arglistig eine Notsituation ausgenutzt. Schon auf Basis der bis dato herrschenden Meinung und der nunmehr erfolgten Bestätigung durch den BGH war das Gegenteil zutreffend. Auf Basis des BGH-Urteils haben sich diese Verfahren erledigt und ob die Versicherungsnehmer zutreffend rechtlich beraten waren, dass sie die vorgerichtlichen und zum Teil auch gerichtlichen Vergleichsvorschläge in Höhe des sogenannten Bayerischen Kompromisses zurückwiesen oder gar anfochten, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben.