Urteilsanalyse
Keine Beschwer bei Angriff lediglich auf die Entscheidungsgründe
Urteilsanalyse
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Einem Rechtsmittel fehlt es nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.05.2020 an der erforderlichen Beschwer, wenn sich der Rechtsmittelführer nur gegen die Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung wendet und denselben Entscheidungstenor lediglich mit einer anderen Begründung erstrebt.

12. Okt 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt  Dr. Matthias Böglmüller, Gleiss Lutz, München

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 40/2020 vom 08.10.2020

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie hilfsweise u.a. über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Das ArbG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Übrigen wies es die Berufung zurück.

Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin macht mit der Anschlussrevision geltend, dass das LAG die Kündigung nur wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige und nicht auch wegen einem Verstoß gegen das Kündigungsverbot bei Betriebsübergang (§ 613a IV BGB) und einer fehlerhaften Sozialauswahl für unwirksam hielt.

Entscheidung

Soweit die Klägerin sich dagegen richtet, dass das LAG die Kündigung nur wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige und nicht aus weiteren Gründen für unwirksam erachtet, fehlt es ihrer Anschlussrevision an der erforderlichen Beschwer. Die Klägerin wendet sich insoweit nur gegen die Entscheidungsgründe und nicht gegen den Entscheidungstenor. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein „Rechtsgutachten“, das lediglich die rechtliche Begründung betrifft, sich im Ergebnis aber nicht auswirkt.

Es handelt sich auch nicht um unterschiedliche Streitgegenstände, soweit die Unwirksamkeit ein und derselben Kündigung wegen eines Betriebs(teil)übergangs und daneben wegen eines fehlerhaften Konsultationsverfahrens geltend gemacht wird. Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage ist die Wirksamkeit der Kündigung und der Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu dem beabsichtigten Kündigungstermin unter Berücksichtigung aller innerhalb der Frist des § 6 KSchG geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe. Sämtliche geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe sind daher nur Sachvortrag innerhalb eines einheitlichen Streitgegenstands.

Praxishinweis

Das BAG schließt sich mit der vorliegenden Entscheidung der Rechtsauffassung des BGH an (BGH, BeckRS 2003, 6241), nach der eine Beschwer für ein Rechtsmittel nur dann vorliegen kann, wenn der Rechtsmittelführer einen anderen Tenor anstrebt. Verfolgt der Rechtsmittelführer eine Änderung oder Ergänzung der Entscheidungsgründe, fehlt es dem Rechtsmittel an der erforderlichen Beschwer und damit an dessen Zulässigkeit. Dies ist konsequent und im Sinne einer effektiven Rechtspflege geboten. Anderenfalls würden die Gerichte damit befasst werden, zu Rechtsfragen Stellung zu nehmen, die sich für die beteiligten Parteien im Ergebnis nicht auswirken.

Abgesehen von dieser verfahrensrechtlichen Fragestellung wird aus der Entscheidung deutlich, dass beim Stellen von Massenentlassungsanzeigen besondere Sorgfalt erforderlich ist. Vorliegend führte bereits eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung. Der Beklagte stellte die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit. Unterlaufen dem Arbeitgeber bereits Fehler im formellen Verfahren vor Ausspruch der Kündigung, spielen weitere Unwirksamkeitsgründe keine Rolle mehr. Gerichte schenken daher erfahrungsgemäß gestellten Massenentlassungsanzeigen besondere Beachtung. Wenn die Anzeige bereits fehlerhaft ist, ist eine weitere bisweilen umfangreiche Auseinandersetzung mit der sozialen Rechtfertigung für das Gericht entbehrlich.


BAG, Urteil vom 14.05.2020 - 6 AZR 674/19 (LAG Hessen), BeckRS 2020, 21259