Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München
Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 03/2023 vom 16.02.2023
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Sachverhalt
Der Kläger kündigt den mit der seit 3 Jahren aufgrund eines Schlaganfalls gehbehinderten Beklagten geschlossenen Wohnraummietvertrages einer nicht barrierefreien Wohnung wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte beschränkte daraufhin ihre Ersatzwohnungssuche auf barrierefreie Wohnungen und erhebt den Härteeinwand. Die Räumungsklage hatte erstinstanzlich Erfolg. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Entscheidung
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Beklagte könne vom Kläger nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach der Sozialklausel des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen. Es fehle an einem Härtegrund, den sie der Kündigung entgegensetzen könne.
Eine Räumungsunfähigkeit habe die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Sie leide zwar an den Folgen eines Schlaganfalls, sei gehbehindert, benötige zur Fortbewegung einen Rollator und sei überdies nicht in der Lage, Treppen zu steigen. Dieser Zustand bestehe jedoch bereits seit dem im Jahre 2016 erlittenen Schlaganfall und es sei nicht ersichtlich, dass er sich allein durch einen Wohnungswechsel nachhaltig verschlechtern könne. Der gegenüber anderen Personen krankheitsbedingt herabgesetzten Mobilität und Aktivität der Beklagten könne durch eine großzügig bemessene Räumungsfrist ohne Weiteres begegnet werden. Auch die mangelnde Fähigkeit der Beklagten, Treppen zu steigen, könne nicht dazu führen, dass ein Wohnungswechsel generell ausgeschlossen sei. Dieser müsse entweder in eine ebenerdige Wohnung oder in eine solche erfolgen, bei der das Gebäude mit einem Fahrstuhl ausgestattet ist, sodass die Beklagte die künftig zu beziehenden Räumlichkeiten mühelos erreichen könne. Dieser Bedarf begründe jedoch nicht den Härtegrund einer Räumungsunfähigkeit, sondern allenfalls denjenigen des nicht zu beschaffenden Ersatzwohnraums.
Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, angemessen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Ersatzwohnraum sei angemessen, wenn er den Wohnbedürfnissen des Mieters gerecht werde und für ihn finanziell tragbar sei. Maßgebend seien dabei seine Lebensführung sowie seine persönlichen und finanziellen Verhältnisse. Eine Gleichwertigkeit des ersatzweisen mit dem geräumten Wohnraum könne der Mieter nicht verlangen, eine gewisse Verschlechterung der Wohnverhältnisse müsse er hinnehmen, jedenfalls soweit sein sozialer Status hiervon nicht betroffen sei.
Glaubhaft sei, dass die Beklagte auf die Hilfeleistungen eines Zeugen und damit auf eine Wohnung in einem bestimmten Viertel oder der näheren Umgebung angewiesen ist. Allerdings habe die Beklagte ihre Wohnungssuche weitgehend auf barrierefreie Wohnungen beschränkt. Das erscheine bedenklich, weil sie derzeit keineswegs in einem barrierefreien Objekt wohne. Es handle sich nach dem Ergebnis der Augenscheinnahme um eine normal ausgestattete Reihenhauswohnung mit den typischen baulichen Merkmalen der 1970er Jahre. Das Objekt sei ebenerdig ohne Zwischenstufen in den Räumlichkeiten.
Auch sei vor der Hauseingangstür keine Stufe vorhanden. Allerdings seien im Inneren des Objekts, insbesondere in den Sanitärräumen, keinerlei Halterungen, Griffe und sonstige Erleichterungen für gehbehinderte Personen vorhanden. Zudem verfüge das Objekt über zwei größere bewohnbare Räume in einem Obergeschoss mit Dachschrägen, die die Beklagte jedoch infolge ihrer Gehbehinderung nicht betreten könne. Hilfsgriffe fürs Treppensteigen seien nicht vorhanden. Keine Zweifel bestünden daran, dass die künftige Nutzung von barrierearmen oder barrierefreiem Wohnraum für die Beklagte aufgrund ihres Gesundheitszustands zweckmäßig sei. Allerdings habe das von ihr bezogene Mietobjekt eine solche Ausstattung gerade nicht geboten. Die Beklagte könne somit ihre Suche nach Ersatzwohnraum, der komfortabler ausgestattet ist als die bisherige Wohnung, nicht beschränken.
Praxishinweis
Mit überzeugender Argumentation verneint das LG Itzehoe die Frage, ob der Mieter einer nicht barrierefreien Wohnung den im Rahmen einer Eigenbedarfskündigung geltend gemachten Härtegrund, keinen Ersatzwohnraum zu finden, erfolgreich einwenden kann, wenn sich seine Suche überwiegend auf barrierefreie Wohnungen beschränkt hat.
Um den Anforderungen des Härteeinwands gerecht zu werden, muss der Mieter seiner Obliegenheit nachkommen, sich rechtzeitig und nachhaltig um Ersatzwohnraum zu bemühen (Häublein in Münchener Kommentar, 9. Auflage 2023, § 574 BGB, Rn 14). Hierzu gehört auch, dass er – soweit ihm das zumutbar ist – umfassend sucht und im Streitfall Nachweise (wo, wann, mit welchem Ergebnis) erbringt (LG Mannheim, Urteil vom 13.11.1991 – 4 S 135/91, BeckRS 1991, 486). Das Vorliegen einer Krankheit kann die Suche unzumutbar machen (Fleindl in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kap IV., Rn 242). Einen Anspruch auf wesentliche Verbesserung hat er idR nicht, allenfalls, wenn mit einer Verschlimmerung seiner Lebenssituation zu rechnen ist (Hartmann in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, § 574 BGB, Rn. 33).
Vorliegend wäre es der Mieterin zumutbar gewesen, ihre Suche auch auf solche Wohnungen auszuweiten, deren Zugang lediglich barrierefrei sind, da dies auch bereits in der bisherigen Wohnung der Fall war. Dies können aber auch Wohnungen im Obergeschoss sein, soweit sie über einen barrierefreien Zugang zu einem Lift verfügen. Aufgrund ihrer Hilfsbedürftigkeit hätte sie auch Anspruch auf eine Wohnung, die nicht weiter von der Hilfsperson entfernt ist, als die bisherige (OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid vom 03.07.1970 - 1 REMiet 1/70, NJW 1970, 1746).
Da die aktuelle Wohnung aber nicht barrierefrei ist, hat die Mieterin keinen Anspruch auf eine solche Ersatzwohnung. Hinzu kommt, dass sie die neue Wohnung selbst barrierefrei ausstatten kann, etwa durch den Einbau eines Treppenlifts oder einer barrierefreien Badeeinrichtung (LG Berlin, Urteil vom 30.10.2019 – 64 S 79/19, juris). Hierauf hätte sie gegenüber dem Vermieter einen Anspruch nach § 554 Abs. 1 BGB.
LG Itzehoe, Urteil vom 18.02.2022 - 9 S 33/21 (AG Pinneberg), BeckRS 2022, 26122