Urteilsanalyse
Keine Befangenheit des Sachverständigen bei nicht mitgeteiltem Ruhestand
Urteilsanalyse
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Die Besorgnis der Befangenheit eines medizinischen Sachverständigen folgt, so das OLG Dresden, nicht daraus, dass dieser nicht von sich aus mitteilt, dass er nicht mehr als Arzt tätig ist. Hieraus ggfs. resultierende Bedenken gegen den Inhalt des Gutachtens sind im Instanzenzug geltend zu machen.

13. Jul 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 14/2023 vom 13.07.2023

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Sachverhalt

In einem Arzthaftungsprozess wurde ein (weiteres) medizinisches Gutachten eingeholt. Der Kläger beantragte mehrfach, den mit der Erstellung des Gutachtens beauftragten Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen. Das LG lehnte die Befangenheitsanträge ab - ohne Anhörung des Sachverständigen. Dass der im Ruhestand befindliche Sachverständige mit dem Gericht unter dem Briefkopf seiner früheren Wirkstätte, eines medizinischen Versorgungszentrums, korrespondiere, sei nicht ungewöhnlich und nicht geeignet, Misstrauen in seine Unparteilichkeit zu begründen. Der Kläger legte jeweils sofortige Beschwerde ein. Der Gutachter habe durch die Verwendung eines Briefbogens mit Briefkopf des medizinischen Versorgungszentrums darüber getäuscht, dass er im Ruhestand sei. Dadurch sei sein Vertrauen in eine eigenverantwortliche Erstattung des Gutachtens nachhaltig erschüttert.

Entscheidung: Persönliche Integrität unangetastet

Die sofortigen Beschwerden hatten keinen Erfolg.

Ein Befangenheitsgrund in der Person des Sachverständigen liege nicht vor. Weder dem Vortrag des Klägers noch dem Akteninhalt lasse sich entnehmen, dass der Sachverständige dem Gericht oder den Parteien seinen Ruhestand verschwiegen hätte, um sich die Beauftragung zu erschleichen – was eventuell eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Auf den Ruhestand des Sachverständigen habe das LG aus dem Befangenheitsantrag des Klägers geschlossen, der eine solche Angabe aber nicht enthalte. Ob und in welchem Umfang der Sachverständige heute noch beruflich tätig sei, sei daher unbekannt, ausweislich eines Aktenvermerks der Geschäftsstelle sei er derzeit langfristig erkrankt. Diese Frage bedürfe jedoch keiner Vertiefung und erst recht keiner mündlichen Anhörung des Sachverständigen.

Zwar könne einem seit längerem im Ruhestand befindlichen Sachverständigen in Einzelfällen die erforderliche Sachkunde fehlen, weil mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zur eigenen Berufstätigkeit die Verbindung zur medizinischen Praxis verloren gehen könne. Dies müsse jedoch im Einzelfall geprüft werden und spreche nicht per se gegen die Beauftragung eines nicht mehr als Arzt tätigen Sachverständigen. Die Besorgnis der Befangenheit könne die bloße Tatsache, dass der Gutachter nicht mehr hauptberuflich als Arzt tätig sei, allerdings niemals begründen. Dieser Umstand allein könne zwar geeignet sein, seine fachlichen Fähigkeiten in Zweifel zu ziehen, lasse jedoch seine persönliche Integrität unangetastet. Die aus fehlender Fachkompetenz folgenden inhaltlichen Mängel des Gutachtens begründeten indes keinen Ablehnungsgrund, sondern seien im Rechtszug zu rügen.

Praxishinweis

Fehlverhaltensweisen eines Sachverständigen bei der Vorbereitung der Begutachtung selbst sind geeignet, seine Ablehnung zu rechtfertigen (siehe hierzu näher Scheuch in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 48. Edition Stand 1.3.2023, ZPO § 406 Rn. 24, 24.1 ff.). Das OLG Dresden hat sich in der berichteten Entscheidung auf den Standpunkt gestellt, dass alleine die Tatsache, dass ein Sachverständiger nicht von sich aus mitteilt, dass er nicht mehr als Arzt tätig ist, nicht ausreicht, weil dieser Umstand seine persönliche Integrität unangetastet lässt.

OLG Dresden, Beschluss vom 05.06.2023 - 4 W 316/23 (LG Leipzig), BeckRS 2023, 15136