Urteilsanalyse
Keine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung bei grenzüberschreitendem Verhalten des Beschuldigten
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Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers kann nach dem BGH regelmäßig nicht bejaht werden, wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist.

30. Jan 2023

Anmerkung von Rechtsanwalt David Püschel, Ignor & Partner GbR, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Strafrecht 02/2023 vom 26.01.2023

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Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten (A) wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren verurteilt. Erstinstanzlich waren Rechtsanwältin K und Rechtsanwalt H zu Pflichtverteidigern des in dieser Sache in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten bestellt worden. Mit Schriftsatz vom 1.12.2022 hat Rechtsanwältin K die Aufhebung ihrer Bestellung als Pflichtverteidigerin gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO beantragt.

Entscheidung

Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers sei nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört sei oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet sei. Danach sei Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der endgültige Fortfall der für ein Zusammenwirken zu Verteidigungszwecken notwendigen Grundlage ergebe.

Daran gemessen ergebe sich weder aus dem Vorbringen der Pflichtverteidigerin noch aus der hierzu erfolgten Stellungnahme des A ein Grund für die Aufhebung der Bestellung. Das Vorbringen der Verteidigerin beschränke sich im Wesentlichen auf die Behauptung, der A überschreite seit geraumer Zeit die im Rahmen des Mandatsverhältnisses gebotene Distanz und phantasiere über eine persönliche Beziehung zu ihr, weshalb ihr eine angemessene professionelle Verteidigung nicht möglich sei. Ein solcher Rückschluss sei mangels hinreichenden Tatsachenvortrags nicht nachvollziehbar. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des auszugsweise vorgelegten Anschreibens des A an die Pflichtverteidigerin, seine Mutter „wäre fast deine Schwiegermutter geworden aber was nicht ist kann werden…“. Die hierin zweifellos zum Ausdruck gekommene Grenzüberschreitung des A gefährde den Zweck der Pflichtverteidigung, einem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten, nicht und rechtfertige damit keinen Eingriff in die Verteidigungsbelange des A, der seiner Verteidigerin gegenüber sein Vertrauen ausgesprochen habe. Ohnehin könne ein im Verhältnis eines Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers regelmäßig nicht bejaht werden, wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist. So stehe zum Beispiel die Möglichkeit, den Verteidiger „aufs Übelste zu beschimpfen“ oder ihn mit „unhaltbaren Vorwürfen“ zu überziehen, jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren. Ob und unter welchen besonderen Umständen Ausnahmen von alledem in Betracht kommen können, könne dahinstehen, da Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten nach dem Vorgesagten hier nicht dargetan seien.

Praxishinweis

Eine Entpflichtung ist nahezu ausgeschlossen, wenn die Störung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde. Dies kann für den Pflichtverteidiger zu der weniger schönen Situation führen, einen Beschuldigten verteidigen zu müssen, der ihn beleidigt, bedroht oder falsch verdächtigt (KK-StPO/Willnow, § 143a Rn. 10). Die Grundüberlegung ist nachvollziehbar. Der Beschuldigte soll es nicht in der Hand haben, eine Entpflichtung zu erzwingen und dem neuen Verteidiger den Boden für einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen unzureichender Vorbereitung zu bereiten. Hier lag es jedoch so, dass von Beginn ein zweiter Pflichtverteidiger bestellt war. Ob man in Anbetracht dessen nicht schon die auch vom BGH bejahte Grenzüberschreitung hätte genügen lassen können und die Verteidigungsrechte des A durch (ein von ihm verursachtes) Ausscheiden einer Verteidigerin tatsächlich in schützenswerter Weise betroffen gewesen wären, ist insoweit fraglich.