Urteilsanalyse

Keine An­fecht­bar­keit der Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung durch Be­stel­lung eines vor­läu­fi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters
Urteilsanalyse
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Die Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung durch Be­stel­lung eines vor­läu­fi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters auf An­trag des vor­läu­fi­gen Gläu­bi­ger­aus­schus­ses ist - so der BGH -  nicht an­fecht­bar.

22. Mrz 2022

Rechts­an­walt Dr. Dirk Pehl, Fach­an­walt für In­sol­venz­recht, Schult­ze & Braun Rechts­an­walts­ge­sell­schaft für In­sol­venz­ver­wal­tung mbH

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 06/2022 vom 18.03.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes In­sol­venz­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im In­sol­venz­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Auf An­trag vom 23.3.2021 wur­den mit Be­schluss vom 24.3.2021 die vor­läu­fi­ge Ei­gen­ver­wal­tung an­ge­ord­net, ein vor­läu­fi­ger Sach­wal­ter und ein vor­läu­fi­ger Gläu­bi­ger­aus­schuss be­stellt. Nach ein­stim­mi­ger Be­schluss­fas­sung am 10.5.2021 be­an­trag­te der vor­läu­fi­ge Gläu­bi­ger­aus­schuss, die Ei­gen­ver­wal­tung auf­zu­he­ben. Mit Be­schluss vom 19.5.2021 wurde die Ei­gen­ver­wal­tung auf­ge­ho­ben und der bis­he­ri­ge vor­läu­fi­ge Sach­wal­ter zum vor­läu­fi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Das In­sol­venz­ver­fah­ren wurde so­dann mit Be­schluss vom 1.7.2021 er­öff­net. Die be­an­trag­te Ei­gen­ver­wal­tung wurde ab­ge­lehnt.

Die gegen die Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung ge­rich­te­te so­for­ti­ge Be­schwer­de wurde als un­zu­läs­sig ver­wor­fen. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Rechts­be­schwer­de der Schuld­ne­rin wurde als nicht statt­haft und un­zu­läs­sig ver­wor­fen.

Ent­schei­dung

Zu­nächst stell­te der BGH klar, dass eine nach dem Ge­setz un­an­fecht­ba­re Ent­schei­dung nicht durch Zu­las­sung einer An­fech­tung un­ter­wor­fen wer­den kann. Die Rechts­be­schwer­de sei selbst dann nicht statt­haft, wenn das Be­schwer­de­ge­richt sie ei­gens zur Klä­rung der Zu­läs­sig­keits­fra­ge zu­ge­las­sen habe (BGH, NJW 2020, 1074 Rn. 5). Vor­lie­gend habe das Be­schwer­de­ge­richt aus­ge­führt, dass die so­for­ti­ge Be­schwer­de un­statt­haft sei, da das Ge­setz eine An­fech­tung der Ent­schei­dung über die Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung durch Be­stel­lung eines vor­läu­fi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters auf An­trag des vor­läu­fi­gen Gläu­bi­ger­aus­schus­ses nicht vor­se­he. In § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO sei eine An­fech­tungs­mög­lich­keit des Schuld­ners aus­schlie­ß­lich für den Fall einer Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung auf An­trag eines ab­son­de­rungs­be­rech­tig­ten Gläu­bi­gers oder eines In­sol­venz­gläu­bi­gers gem. § 270e Abs. 2 Satz 1 InsO vor­ge­se­hen. Unter Hin­weis auf die in den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en ent­hal­te­ne Be­grün­dung stell­te der BGH klar, dass auch der Ge­setz­ge­ber die Be­stim­mung des § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO als Aus­nah­me­fall an­ge­se­hen habe. In­so­weit sei auch für eine ana­lo­ge An­wen­dung der Norm zur Be­grün­dung eines Be­schwer­de­rechts des Schuld­ners in An­be­tracht des Feh­lens einer un­be­wuss­ten Re­ge­lungs­lü­cke kein Raum.

So­dann führ­te der BGH aus, dass eine An­fecht­bar­keit der Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO auch nicht aus § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ab­ge­lei­tet wer­den könne. Der Ver­weis auf die all­ge­mei­nen Vor­schrif­ten be­zie­he sich vor dem Hin­ter­grund des in § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO ge­re­gel­ten En­u­me­ra­ti­ons­prin­zips aus­schlie­ß­lich auf den Gang des In­sol­venz­ver­fah­rens, nicht auf die An­fech­tung der Ent­schei­dung über den An­trag auf Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung. An­dern­falls, so die An­sicht des BGH, wäre die be­son­de­re Re­ge­lung der Be­schwer­de­be­fug­nis des Schuld­ners für den spe­zi­el­len Fall des An­trags ein­zel­ner Gläu­bi­ger in § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO über­flüs­sig. So­dann stell­te der BGH klar, dass der Um­stand, dass die Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung gem. § 270e Abs. 1 InsO mit der Be­stel­lung eines vor­läu­fi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters ein­her­geht, nicht dazu führe, dass auch die Auf­he­bung der Ei­gen­ver­wal­tung gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO an­fecht­bar wäre. In­so­weit än­de­re die Zu­sam­men­fas­sung meh­re­rer Maß­nah­men in einem Be­schluss des In­sol­venz­ge­richts, die nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers teils an­fecht­bar, teils un­an­fecht­bar seien, nichts an den Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten.

So­dann führ­te der BGH aus, dass es kein un­be­ding­tes, sub­jek­ti­ves Recht auf Durch­füh­rung des In­sol­venz­ver­fah­rens in Ei­gen­ver­wal­tung gebe. Der Schuld­ner könne die Durch­füh­rung des In­sol­venz­ver­fah­rens in Ei­gen­ver­wal­tung ge­ra­de nicht gegen den Wil­len der Gläu­bi­ger er­zwin­gen. § 270b Abs. 3 Satz 4 InsO siehe ge­ra­de vor, dass die An­ord­nung der von dem Schuld­ner be­an­trag­ten vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung zu un­ter­blei­ben habe, wenn der an­zu­hö­ren­de vor­läu­fi­ge Gläu­bi­ger­aus­schuss ein­stim­mig gegen die An­ord­nung stimmt. Ab­ge­se­hen von der Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung auf An­trag eines ein­zel­nen Gläu­bi­gers siehe das Ge­setz kein Rechts­mit­tel des Schuld­ners gegen die auf Be­schlüs­sen der Gläu­bi­ger be­ru­hen­den ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen vor. In­so­weit ver­sto­ße der Aus­schluss eines Rechts­mit­tels gegen die Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung durch das In­sol­venz­ge­richt nicht gegen die aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechts­staats­prin­zip her­zu­lei­ten­de Ga­ran­tie ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes (BGH, ZIP 2007, 394 Rn. 13).

Pra­xis­hin­weis

Mit der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung führt der BGH seine bis­he­ri­ge Recht­spre­chung fort, wo­nach der Schuld­ner die Ab­leh­nung der Ei­gen­ver­wal­tung im Be­schluss über die Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens nicht mit der so­for­ti­gen Be­schwer­de gem. § 34 Abs. 2 InsO gegen den Er­öff­nungs­be­schluss an­grei­fen kann. Auch gegen die Auf­he­bung der Ei­gen­ver­wal­tung auf An­trag der Gläu­bi­ger­ver­samm­lung gem. § 272 Abs. 1 Satz 3 InsO steht dem Schuld­ner kein Rechts­mit­tel zu. In­so­weit dürfe für den Fall der Auf­he­bung der vor­läu­fi­gen Ei­gen­ver­wal­tung auf An­trag des vor­läu­fi­gen Gläu­bi­ger­aus­schus­ses nichts an­de­res gel­ten. Der BGH stellt klar, dass auch die Vor­schrif­ten über die Ei­gen­ver­wal­tung Aus­druck des Vor­rangs der Gläu­bi­ger­au­to­no­mie vor den Ein­fluss­mög­lich­kei­ten des Schuld­ners dar­stel­len. In­so­weit sieht sich der BGH be­reits durch den Re­gie­rungs­ent­wurf von 1992 zur In­sol­venz­ord­nung (BT-Drucks. 12/2443, Seite 100) be­stä­tigt, wo­nach die Ei­gen­ver­wal­tung al­lein vom Gläu­bi­ger­wil­len ab­hän­gen solle. Diese Gläu­bi­ger­au­to­no­mie als tra­gen­des Steue­rungs­prin­zip und das dar­aus fol­gen­de Er­for­der­nis, die Ei­gen­ver­wal­tung an den In­ter­es­sen der Gläu­bi­ger aus­zu­rich­ten, stand auch im Mit­tel­punkt des Ge­set­zes­ent­wurfs der Bun­des­re­gie­rung zum Sa­nie­rungs- und In­sol­venz­rechts­fort­ent­wick­lungs­ge­setz (BT-Drucks. 19/24181, Sei­ten 202, 207).


BGH, Be­schluss vom 27.01.2022 - IX ZB 41/21 (LG Stade), BeckRS 2022, 2422