Urteilsanalyse
Kein wirksamer Strafantrag durch Ausfüllen eines Formulars der "Onlinewache"
Urteilsanalyse
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Ein über eine Onlinewache der Polizei eingereichter Strafantrag genügt nach Ansicht des Amtsgerichts Auerbach nicht dem Schriftformerfordernis des § 158 Abs. 2 StPO.

3. Mai 2021

Anmerkung von 
Prof. Dr. Annika Dießner, HWR Berlin und Of Counsel bei Ignor und Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 09/2021 vom 29.04.2021

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Sachverhalt

B beleidigt eine Mitarbeiterin des Jobcenters. Deren Dienstvorgesetzter erstattet daraufhin eine Strafanzeige auf elektronischem Weg bei der „Onlinewache“ der Polizei Sachsen und stellt so Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft beantragt den Erlass eines Strafbefehls gegen B.

Entscheidung

Das AG stellt das Verfahren nach § 206a StPO wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses ein. Zur Begründung führt es an, es liege kein wirksamer Strafantrag vor.

§ 158 Abs. 2 StPO setze für einen gegenüber der Polizei gestellten Strafantrag Schriftform voraus, woran es vorliegend fehle. Die Schriftform sei jedenfalls dann gewahrt, wenn den Vorgaben des § 126 BGB Genüge getan werde, der Antrag also eigenhändig unterzeichnet werde. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob der Schriftform vorliegend Rechnung getragen worden sei, sei der Sinn und Zweck der Formvorschrift: Dieser bestehe darin, die Identität des Erklärenden und den Inhalt der Erklärung sicherzustellen. Dem werde ein Strafantrag gegenüber einer „Onlinewache“ nicht gerecht, auch wenn dies bisweilen in der Literatur behauptet werde. Derartige Erklärungen seien „im Kern ein anonymer Vorgang“, denn die IP-Adresse des Computers lasse keinen sicheren Schluss auf die Person des Erklärenden zu. Mangels persönlichen Kontakts zu den Beamt:innen der Wache sei eine konkrete Überprüfung der Identität nicht möglich.

Abgesehen davon diene das Schriftformerfordernis auch dem Schutz des Erklärenden, dem die rechtlichen Konsequenzen der Erklärung vor Augen geführt werden sollen: Dies gelte sowohl für Straftatbestände, die im engen persönlichen Umfeld verübt werden, und im Hinblick auf die der/dem Antragstellenden die Wahl gelassen werde, ob eine „staatliche Einmischung“ erfolgen solle, als auch mit Blick auf die Kostenrisiken (§ 470 StPO), die mit der Rücknahme eines gestellten Strafantrags einhergehen.

Praxishinweis

Die vorliegende Entscheidung widerspricht Stimmen in der Literatur, die einen Strafantrag gegenüber einer „Internetwache“ jedenfalls nicht von vornherein als formunwirksam ansehen, sondern die Wirksamkeit von der Erkennbarkeit des Strafverfolgungsverlangens und der Person des Erklärenden abhängig machen wollen (vgl. z.B. BeckOK-StPO/Goers, § 158 Rn. 46 m.w.N.). Diese Stimmen knüpfen an die ihrerseits sehr einzelfallbezogene Rechtsprechung zum Begriff der Schriftform im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO an (vgl. Goers a.a.O. m.w.N.) und vermischen meines Erachtens die Frage der Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Form eines Antrags mit der Ermittlung eines entsprechenden Verfolgungswillens. Insoweit ist die dargestellte Entscheidung des Amtsgerichts Auerbach erfreulich eindeutig.

Auch die aus der Entscheidung sprechende grundsätzliche Skepsis gegenüber technischen Neuerungen, die die „schützenden Formen“ des Strafverfahrensrechts reduzieren, ist für sich genommen begrüßenswert: Ein Strafantrag ist mit einem Onlineeinkauf nicht im Ansatz vergleichbar, auch wenn der Komfortgewinn gegenüber dem Aufwand beider Handlungen in der analogen Welt auf den ersten Blick ähnlich groß erscheint. Allerdings sollte man bei aller Skepsis gegenüber den vermeintlichen Segnungen der Digitalisierung die bisherige analoge Realität auch nicht überhöhen. Das tut das Amtsgericht Auerbach in der dargestellten Entscheidung, indem es dem Schriftformerfordernis des § 158 Abs. 2 StPO eine Bedeutung beimisst, die es in der bisherigen Praxis jedenfalls nicht hat. Es ist (bislang) nicht üblich, dass die Polizei zum Schutz des Erklärenden bei vor Ort erstatteten Strafanträgen - beispielsweise in Fällen behaupteter häuslicher Gewalt - auf die mit dem Antrag verbundene „staatliche Einmischung“ bzw. auf § 470 StPO hinweist. Dies entspricht auch nicht der Rolle der Polizei, die jenseits gesetzlich normierter Belehrungs- und Hinweispflichten mit gutem Grund Zurückhaltung walten lassen sollte.

Die dargestellte Entscheidung liefert allerdings ganz grundsätzlich einen Impuls, darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll wäre, geneigten Antragstellenden vor einem Strafantrag stets eine sachliche Information über die möglichen Folgen eines Strafantrags auszuhändigen. Eine solche Information könnte gerade bei elektronischem Vorgehen mit überschaubarem Aufwand umgesetzt werden. Zuzugeben ist, dass die Strafverfolgungsbehörden im Falle eines online gestellten Strafantrags jedenfalls dem Antrag selbst die Identität der/des Antragstellenden nicht eindeutig entnehmen können. Auch insoweit sind allerdings bereits jetzt technische Lösungen denkbar, die eine sichere Identifikation ermöglichen und durch den mit dieser Sicherung verbundenen (Mehr-)Aufwand zugleich die rechtliche Bedeutung der Erklärung verdeutlichen.

Die vorstehenden Erwägungen zur Berücksichtigung der Bedenken des Amtsgerichts Auerbach im Fall von Strafanträgen gegenüber „Onlinewachen“ sind Zukunftsmusik, auch wenn der technische Fortschritt auch insoweit nicht aufzuhalten sein wird. Für die aktuelle Praxis gilt festzuhalten: Um sicherzugehen, dass der Strafantrag als den Formvorgaben des § 158 Abs. 2 StPO entsprechend angesehen wird, sollte der Polizei eine vom der/ dem Strafantragsberechtigten unterschriebene Erklärung - vor Ort auf der Dienststelle oder auf dem Postweg - vorgelegt werden.

AG Auerbach, Beschluss vom 26.01.2021 - 3 Cs 500 Js 24368/20, BeckRS 2021, 5624