Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 03/2022 vom 28.03.2022
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Sachverhalt
Die sofortige Beschwerde des Beklagten richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts, mit dem ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden.
Zuvor hatten die Parteien den vor dem Landgericht geführten Rechtsstreit um die Herausgabe einer Vollmachtsurkunde übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger hatte dem Beklagten, seinem Stiefsohn, sowie drei leiblichen Kindern 2016 jeweils eine zur Einzelvertretung berechtigende notarielle Vorsorge- und Generalvollmacht erteilt.
Mit Schreiben vom 20.3.2018 widerrief eines der drei (mit)bevollmächtigten Kinder die dem Beklagten erteilte Vorsorgevollmacht und forderte die Herausgabe der diesbezüglichen Vollmachtsurkunde.
Mit Schreiben vom 20.11.2020 widerrief auch der Kläger selbst gegenüber dem Beklagten die Vollmacht und verlangte ebenfalls die Herausgabe der Vollmachtsurkunde.
Der Aufforderung, die Vollmachtsurkunde herauszugeben, kam der Beklagte jeweils nicht nach. Nach Klageerhebung gab der Beklagte aber am 17.3.2021 die Vollmachtsurkunde an den Kläger heraus, woraufhin beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärten.
Mit Beschluss vom 22.6.2021 sprach das Landgericht die Verpflichtung des Beklagten zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits aus. Die dem Beklagten erteilte notarielle Vollmacht sei durch den Kläger mit Schreiben vom 20.11.2020 wirksam widerrufen worden, weshalb ein Anspruch auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde gemäß § 175 BGB bestanden habe. Der Einwand des Beklagten, er habe keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben, greife nicht durch.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidung: Die sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache Erfolg.
Vorliegend entspricht es der Billigkeit, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Ihm stand zur Zeit des erledigenden Ereignisses kein Anspruch gegen den Beklagten auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde zu. Die Vollmacht war zu diesem Zeitpunkt nicht wirksam widerrufen worden.
Der Widerruf mit Schreiben vom 20.3.2018 ist noch nicht einmal nicht schlüssig vorgetragen. Mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an eine Person ist regelmäßig nicht die Bevollmächtigung zum Widerruf einer gleichzeitig einer weiteren Person erteilten Vorsorgevollmacht und daher auch nicht zur Erteilung einer entsprechenden Unterbevollmächtigung verbunden. Denn andernfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“ konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend gewärtigen müsste, seine Vollmacht werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position eines ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen, und dies - jedenfalls nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des (Vorsorge-)Vollmachtgebers - sogar dauerhaft. Dies hatte der Vollmachtgeber jedoch ersichtlich nicht gewollt, als er sich dafür entschied, mehreren Personen eine Einzelvertretungsbefugnis zu erteilen. Im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) ist im Regelfall - und so auch hier - eine entsprechende konkludente Beschränkung der Vertretungsmacht jedes Einzelbevollmächtigten zu ermitteln (siehe auch OLG Karlsruhe BeckRS 2010, 11820).
Der Einwand des Beklagten, der Kläger sei zum Zeitpunkt des Widerrufs am 20.11.2020 geschäftsunfähig gewesen, ist unstreitig geblieben. Die Widerrufserklärung war folglich gemäß § 105 Abs. 1 BGB nichtig.
Praxishinweis
Interessant an dieser Entscheidung ist die klare Feststellung des Senats, dass im Falle der gleichzeitigen Erteilung der Einzelvertretungsbefugnis an mehrere Personen im Rahmen einer Vorsorgevollmacht im Wege der Auslegung gemäß § 133 BGB in aller Regel ausgeschlossen ist, dass der eine Bevollmächtigte die Einzelvertretungsvollmacht eines anderen Bevollmächtigten widerrufen kann. Damit postuliert der Senat eine Einschränkung der mit einer Vorsorgevollmacht regelmäßig verbundenen Generalvollmacht. Denn selbstverständlich ist ein einzelvertretungsberechtigter Generalbevollmächtigter grundsätzlich befugt, auch vom Vollmachtgeber erteilte Vollmachten zu widerrufen. Dies gilt für Spezialvollmachten ebenso wie für Generalvollmachten.
Doch völlig zu Recht und mit überzeugender Begründung entscheidet der Senat, dass die sich aus einer Generalvollmacht ergebenden Befugnisse insoweit eingeschränkt werden müssen, dass mehrere zur Einzelvertretungsbefugnis ermächtigte Bevollmächtigte ihre erteilten Vollmachten nicht wechselseitig widerrufen können. Dies ergibt sich aus der Grundsatzentscheidung des Vollmachtgebers, allen Personen nebeneinander die gleichen Vertretungsrechte einzuräumen. Aus der Entscheidung für die parallele Bevollmächtigung folgt, dass ein wechselseitiger Widerruf ausgeschlossen sein muss. Andernfalls bestünde die vom Senat plastisch als „Windhundprinzip“ beschriebene Gefahr, dass es zu einem Wettlauf um den ersten wirksamen Widerruf zwischen den Bevollmächtigten kommen könnte.
Diese Einschränkung greift jedoch nur dann ein, wenn die Einzelbevollmächtigung nebeneinander erfolgt ist. Hat der Vollmachtgeber dagegen zwar im Außenverhältnis jedem Bevollmächtigten Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt, aber im Rahmen seiner Weisungsbefugnis als Auftraggeber bestimmt, dass im Innenverhältnis einer (z.B. Ehepartner) Vorrang vor dem bzw. den anderen (z.B. Kinder) haben soll, so kann der primär Beauftragte selbstverständlich die Einzelvollmachten der nachrangig zur Vertretung befugten Personen widerrufen. Eine solche Formulierung könnte beispielsweise lauten: „Meine Kinder sollen mich nur vertreten, wenn mein Ehepartner dies nicht mehr kann oder verlangt; die Einzelvertretungsbefugnis nach außen wird hierdurch nicht eingeschränkt.“
Die Klage auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde auf der Grundlage des Schreibens vom 20.03.2018 war daher von vorneherein aussichtslos und deshalb unschlüssig.