Urteilsanalyse
Kein Versicherungsschutz in der Berufsunfähigkeitsversicherung bei Einstellung der Berufsausübung zwecks COVID-19-Prophylaxe
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© Dirk-Carsten Günther / BLD

Eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit lediglich zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 begründet laut LG Münster keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit könne aber vorliegen, wenn besondere Umstände eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen. Voraussetzung sei ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehender spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren.

13. Sep 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 17/2021 vom 26.08.2021

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BB-BUZ § 3 I

Sachverhalt

Der Kläger, der die Tätigkeit eines sogenannten Immobilien-Besichtigers ausübt, unterhält bei der Beklagten einen Vertrag über eine Risiko-Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. § 3 der dem Vertrag zugrunde liegenden Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung lautet auszugsweise:

«(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.»

Im Frühjahr 2020 wurden bei dem Kläger Rundherde der Lunge entdeckt. Nachdem sich nach weiteren Untersuchungen kein Hinweis auf Malignität ergab, wurde der Kläger über ein potentiell erhöhtes Risiko für einen komplikativen Verlauf im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion aufgeklärt und ihm wurde zur Infektprophylaxe die strikte Einhaltung der von den entsprechenden Fachgesellschaften sowie dem Robert-Koch-Institut empfohlenen Hygienemaßnahmen und des «social distancing» empfohlen. Der Kläger leidet aufgrund der pulmonalen Rundherde an keinerlei Beschwerden.

Er beantragte bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte lehnte die Leistungen ab unter Hinweis darauf, dass konkrete gesundheitliche Einschränkungen nicht belegt seien.

Rechtliche Wertung

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag keinen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und Beitragserstattung. Es lasse sich nicht feststellen, dass er nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 der Bedingungen berufsunfähig ist.

Bei dem Kläger seien zwar pulmonale Rundherde festgestellt worden, die jedoch keine Beschwerden verursachen und zu keiner maßgeblichen Einschränkung seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit führen. Eine Covid-19-Erkrankung sei bei dem Kläger im geltend gemachten Zeitraum nicht aufgetreten. Der Kläger habe nach eigenem Vortrag vielmehr - lediglich vorsorglich - seine berufliche Tätigkeit eingestellt, um sich nicht dem Risiko einer COVID-19-Erkrankung auszusetzen. Eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit lediglich zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung sei gemäß der Regelung in § 3 der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung jedoch nicht versichert.

Weiter führt die Kammer aus, dass zwar eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch dann vorliegen könne, wenn besondere Umstände (etwa eine durch Medikamenteneinnahme indizierte Gesundheitsbeeinträchtigung) eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen. Voraussetzung dafür sei jedoch ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren, der beispielsweise dann bestehen könne, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Infektionsrisiko bezüglich einer Covid-19-Erkrankung in einem Bereich tätig ist, in dem er in besonderem Umfang mit Covid-19-Erkrankten in Kontakt kommt (so bei Tätigkeit auf einer entsprechenden Station im Krankenhaus).

Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sei der Kläger jedoch nicht in besonderem Umfang einem Kontakt mit Covid-19-Erkrankten ausgesetzt, die Infektionsgefahr sei nicht arbeitsplatzbezogen, sondern sei als zum allgemeinen Lebensrisiko zugehörig anzusehen. Hinzu komme, dass der Kläger das Infektionsrisiko durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln, Tragen von FFP-2-Masken und Sorge für ausreichende Belüftung in zu besichtigenden Räumlichkeiten weiter herabsetzen könne.

Praxishinweis

Es handelt sich, soweit bekannt, um das erste Urteil zum Themenkomplex «Berufsunfähigkeitsversicherung und Corona».

Das LG Münster hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die vorsorgliche (vorbeugende) Niederlegung der beruflichen Tätigkeit, um sich nicht dem Risiko einer COVID-19-Erkrankung auszusetzen, eine bedingungsgemäße Berufskrankheit darstellt, und dies wohl zu Recht verneint. Das LG Münster zitiert in seiner Urteilsbegründung ausführlich Neuhaus (VersR 2021, 205, dort auch zu anderen Aspekten der Corona-Pandemie im Zusammenhang mit der Berufsunfähigkeitsversicherung), der darlegt, dass das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Krankheit berufsunfähig zu werden, in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht versichert ist. Dem folgend stellt das LG Münster klar, dass der Versicherte, der zwecks Infektprophylaxe vor SARS-CoV-2 seine Berufsausübung einstellt, grundsätzlich keinen Versicherungsschutz in der Berufsunfähigkeitsversicherung genießt.

Ergänzend kann zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung und Coronapandemie z.B. auf Rixecker, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Auflage 2021, § 12, Rz,. 101-103 verwiesen werden.

LG Münster, Urteil vom 08.04.2021 - 115 O 150/20, BeckRS 2021, 21283