Urteilsanalyse
Kein Leistungsanspruch aus Betriebsschließungsversicherung wegen Corona
Urteilsanalyse
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Aus einer Betriebsschließungsversicherung besteht kein Versicherungsschutz für eine Corona-bedingte Betriebsschließung, wenn in den Versicherungsbedingungen ein als abschließend zu verstehender Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern aufgeführt ist, in dem Corona, COVID-19 und SARS-Cov-2 nicht enthalten sind. Solche Bedingungen sind laut Oberlandesgericht Stuttgart auch AGB-rechtlich wirksam.

18. Mrz 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 4/2021 vom 25.02.2021

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AVB Betriebsschließungsversicherung Ziffer 1.1, 1.2; BGB §§ 305c II307 III

Sachverhalt

Die Klägerin, die eine Gaststätte betreibt, begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer 2018 abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung wegen der aufgrund der Corona-Pandemie im März 2020 behördlich angeordneten Schließung des Lokals. Die Betriebsschließungsversicherung ist hier Teil einer umfassenden Geschäftsversicherung, die auch das Betriebs- und Berufshaftpflichtrisiko, Umwelthaftpflichtrisiko, Umweltschadenrisiko, Privathaftpflichtrisiko, eine Geschäftsinhalts- und Ertragsausfallversicherung sowie eine Elektronikversicherung umfasst. Die Beklagte bezeichnet die Police als «All Inclusive».

Nach Ziffer 1.1 der Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung (Stand: 01.07.2016) leistet der Versicherer «Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb … schließt». In Ziffer 1.2 heißt es: «Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …». In der Auflistung sind COVID-19, SARS-Cov2 oder Corona nicht genannt.

Das Landgericht wies die Klage ab (LG Ravensburg, Urteil vom 12.10.2020 – 6 O 190/20, BeckRS 2020, 27373). Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Rechtliche Wertung

Aufgrund des Umstands, dass in der Auflistung in Ziffer 1.2 COVID-19, SARS-Cov2 oder Corona nicht genannt sind, entschied das OLG Stuttgart, dass kein Versicherungsschutz besteht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer gewerblichen Betriebsschließungsversicherung sei kein Verbraucher, sondern geschäftserfahren und mit dem Umgang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut. Er könne bei einer um Verständnis bemühten Lektüre der Bedingungen nicht annehmen, dass Schließungen wegen Corona versichert seien. Eine Kenntnisnahme der Bedingungen könne von einem solchen Versicherungsnehmer erwartet werden.

Schon aufgrund des Umstands, dass der Versicherungsvertrag 2018 abgeschlossen wurde, müsse er damit rechnen, dass der Vertrag nicht zwingend den aktuellen Stand der §§ 67 IfSG berücksichtige (Anm. d. Verf.: Die «Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)» wurde tatsächlich sogar erst durch das «Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite» vom 19.05.2020 mit Wirkung vom 23.05.2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. t IfSG aufgenommen; BGBl. I 2020, S. 10181020).

Auch seien sogar diverse Abweichungen zwischen dem Katalog in Ziffer 1.2 und dem damals (01.07.2016) geltenden Stand der §§ 67 IfSG festzustellen. Nicht im Bedingungskatalog enthalten seien etwa bestimmte Formen der Enzephalopathie, Mumps, Pertussis, Röteln). Ein verständiger (künftiger) Versicherungsnehmer könne daher bei aufmerksamer und verständiger Durchsicht nicht annehmen, dass sämtliche Krankheiten und Erreger nach IfSG vom Versicherungsschutz umfasst seien. Erst recht gelte dies für künftige Erweiterungen des Gesetzeskatalogs.

Die Bedingungen seien erkennbar nicht als offener, sondern als geschlossener Katalog ausgestaltet. Es liege auf der Hand, dass der Sinn und Zweck einer derart umfassenden Aufzählung darin bestehe, nur die aufgeführten Krankheiten und Erreger als versichert anzusehen. Dafür spreche auch die Formulierung der «namentlich genannten» Krankheiten und Erreger. Die Formulierung könne aufgrund ihrer Satzstellung nicht im Sinn von «beispielhaft», «insbesondere», «hauptsächlich» oder ähnlichem verstanden werden, sondern nur als «mit Namen benannt». Damit seien aber nur die Krankheiten und Erreger gemeint, die der Versicherer anschließend «benannt» habe. Dies werde zusätzlich durch das Adjektiv «folgende» verstärkt.

Die Bezeichnung «All Inclusive» beziehe sich erkennbar auf die Vielzahl der übernommenen Risiken der Geschäftsversicherung und rechtfertige keinesfalls die Annahme, es solle über die konkreten Bedingungen hinausgehender Versicherungsschutz gewährt werden. Auch durch den ausdrücklichen Ausschluss von Prionenerkrankungen werde nicht der Eindruck erweckt, dass der Versicherer selbst seinen Katalog nicht als abschließend verstehe.

Die Klausel sei daher nicht objektiv mehrdeutig und daher nicht nach § 305c Abs. 2 BGB unwirksam. Sie führe auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB. Eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung liege nicht vor. Auch eine Gefährdung des Vertragszwecks sei nicht gegeben. Der Versicherungsschutz werde mitnichten ausgehöhlt, da Einwirkungen auf den Geschäftsbetrieb infolge einer großen Zahl von Krankheiten und Erregern versichert blieben.

Die Klausel beinhalte eine statische (nicht dynamische) Verweisung auf einen früheren Rechtszustand und verdeutliche ausreichend, dass der Versicherungsschutz teilweise lückenhaft sei. Die Klausel sei daher nicht intransparent und nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Für einen geschäftserfahrenen Betriebsinhaber als Versicherungsnehmer bedürfe es keiner aufwändigen Analyse der Bedingungsstruktur.

Praxishinweis

Bei dieser Entscheidung handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste Hauptsache-Entscheidung eines Oberlandesgerichts zu Betriebsschließungsversicherungen im Zusammenhang mit Corona (zuvor nur Ansprüche ablehnend in einem Verfügungsverfahren OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 – 20 W 21/20, r+s 2020, 506, dort aber mit der klarstellenden Formulierung in den Bedingungen «… nur die folgenden … Krankheiten und Krankheitserreger»). Das OLG Stuttgart widerspricht nun mit seinem klageabweisenden Urteil Entscheidungen einiger Landgerichte, die Leistungsansprüche bejaht haben, weil sie diese Versicherungsbedingungen als intransparent und daher unwirksam angesehen haben (z.B. LG München I, Urteil vom 01.10.2020 – 12 O 5895/20 mit ablehnender Besprechung von Günther, FD-VersR 2020, 432978; Urteil vom 22.10.2020 – 12 O 5868/20, r+s 2020, 686). Das OLG Stuttgart ließ deswegen die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu.

Nach Ansicht des Verfassers ist der Entscheidung aus den dargestellten Gründen zuzustimmen. Das OLG diskutierte auch noch die Frage der AGB-rechtlichen Inhaltskontrollfähigkeit der Klausel Ziffer 1.2. Diese Frage wurde schon von mehreren Landgerichten aufgeworfen. Nach Ansicht des OLG ist das – nicht kontrollfähige – Hauptleistungsversprechen nur in Ziffer 1.1 enthalten, während Ziffer 1.2 dazu eine Einschränkung enthalte und deswegen kontrollfähig sei (bereits gegen Kontrollfähigkeit des Katalogs, da ausschließlich leistungsbeschreibende Klausel, LG Schweinfurt, Urteil vom 08.02.2021 – 23 O 538/20, BeckRS 2021, 1221).

Mit einem weiteren Urteil vom selben Tag (Az. 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001) wies das OLG Stuttgart in einem anderen Fall ebenfalls eine klägerseitige Berufung zurück. Dort hieß es in den Versicherungsbedingungen: «Meldepflichtige Krankheiten oder … Krankheitserreger sind nur die im Folgenden aufgeführten: …». Wegen dieser (noch) klareren Fassung ließ das OLG Stuttgart die Revision in diesem Fall nicht zu.

Die deutlich überwiegende Mehrheit der Landgerichte weist Ansprüche von Versicherungsnehmern wegen Corona-bedingter Betriebsschließungen mit zutreffenden Begründungen ab. Auf die Übersichten in den jüngsten Ausgaben dieses Fachdienstes sei verwiesen (Günther, FD-VersR 2020, 434131; Grams, FD-VersR 2021, 435655).

Im Berichtszeitraum (04.02. – 20.02.2021) sind der Redaktion zudem 21 neue landgerichtliche Entscheidungen zugegangen. Auch hier wurden Leistungsansprüche der Versicherungsnehmer überwiegend, aber nicht einhellig verneint, wobei die Fallkonstellationen, die Bedingungen und die Entscheidungsgründe nicht immer identisch sind:

Ansprüche verneint:

LG Bamberg, BeckRS 2021, 1872

LG Bamberg, BeckRS 2021, 1873

LG Bielefeld, BeckRS 2020, 41451

LG Dresden, BeckRS 2020, 41036

LG Hof, BeckRS 2020, 41453

LG Frankenthal, BeckRS 2021, 1639

LG Karlsruhe, BeckRS 2021, 1120

LG Leipzig, BeckRS 2021, 701

LG Leipzig, BeckRS 2021, 702

LG Leipzig, BeckRS 2021, 703

LG Meiningen, BeckRS 2020, 40755

LG Münster, BeckRS 2020, 41452

LG Ravensburg, BeckRS 2021, 1200

LG Schweinfurt, BeckRS 2021, 1221

LG Trier, BeckRS 2021, 1984

LG Verden, BeckRS 2021, 1633

Ansprüche bejaht:

LG Darmstadt, BeckRS 2021, 1773

LG Hannover, BeckRS 2021, 2089

LG Memmingen, BeckRS 2021, 1243

LG Verden, BeckRS 2020, 41278

LG Verden, BeckRS 2020, 41279

OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021 - 7 U 351/20 (LG Ravensburg), BeckRS 2021, 2002