Urteilsanalyse
Kein Kostenerstattungsanspruch für Augen-OP im EU-Ausland
Urteilsanalyse
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Der Anspruch auf Erstattung der Kosten gem. § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V begründet keine Ansprüche gegen die Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind. Dazu gehört nach einem Urteil des BSG vom 26.05.2020 auch die sachleistungsersetzende Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V für eine Behandlung im EU-Ausland.

30. Okt 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt  Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 20/2020 vom 23.10.2020

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine ambulante Operation am linken Auge der Klägerin, die in Österreich durchgeführt wurde.

Die Klägerin leidet an einem Keratokonus an beiden Augen (kugelförmige Vorwölbung der Hornhaut mit einer irregulären Hornhautkrümmung und zu geringer Hornhautstabilität). Sie beantragte bei der beklagten Krankenkasse die Übernahem der Kosten für einen minimal-invasiven Eingriff an beiden Augen sowie eine ambulant durchzuführende CISIS-Behandlung mit MyoRing-Implantation, durch den in Österreich praktizierenden Augenarzt Dr. D. Den Antrag vom 19.09.2015 wies die Beklagte mit Bescheid vom 11.11.2015 zurück, nachdem der MDK in seinem Gutachten unter Verweis auf die mangelnde Studienlage die Übernahme der Kosten für die Operation nicht empfohlen hatte. Die Klägerin ließ am 19.10.2015, also einen Monat vor Erlass des Bescheides, die Operation am rechten Auge durchführen und einen Monat nach Erlass des Bescheides die Operation am linken Auge. Dafür bezahlte sie an Dr. D jeweils 3.000 EUR.

Mit ihrer Klage gegen den ablehnenden Bescheid und Widerspruchsbescheid begehrt sie von der Beklagten die Übernahme der Kosten in Höhe von 6.000 EUR. Das SG verurteilt die Kasse zur Zahlung von 3.000 EUR (wegen Eintritts der Genehmigungsfiktion); auf die Berufung der Beklagten weist das LSG die Klage insgesamt ab. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V nicht. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 13 SGB V. Sie habe eine Übernahme der Kosten für eine bestimmte Behandlung und damit eine Sachleistung verlangt. Behandlungsalternativen hätten gefehlt.

Entscheidung

Das BSG weist die Revision der Klägerin zurück.

Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 13 Abs. 4 SGB V, weil die Kosten für eine Behandlung im EU-Ausland nach dieser Bestimmung nur in dem Umfang übernommen werden können, wie sie auch im Inland entstanden wären. Da die der Kostenrechnung zugrundeliegende Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V neu sei und vom Gemeinsamen Bundesausschuss bisher dazu eine Richtlinie nicht existiere, kommt ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der CISIS-Behandlung nicht in Betracht. § 13 Abs. 3a SGB V findet keine Anwendung auf Ansprüche gegen Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind. Der Zweck der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V besteht nicht darin, auch den nach § 13 Abs. 2 und 4 SGB V berechtigten versicherten Gruppen mit dem Fristablauf einen vom materiellen Recht abgekoppelten, eigenständigen Kostenerstattungsanspruch nach Selbstbeschaffung zu ermöglichen. Von dem allgemeinen Beschleunigungszweck der Gesamtvorschrift ist der spezifische Zweck der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zu unterscheiden, der nicht in der Beschleunigung des einzelnen Antragsverfahrens liegt. Die Begünstigung des Versicherten, der sich aufgrund der Genehmigungsfiktion eher für eine Selbstbeschaffung entscheiden darf, erfolgt nicht in erster Linie um seiner selbst willen (Hinweis auf BSG vom 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R).

Die CISIS-Behandlung kann aktuell gem. § 135 SGB V als neue Behandlungsmethode nicht zu Lasten der GKV erbracht werden. Sie ist nicht im EBM-Ä enthalten und damit neu. Die erforderliche positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt nicht vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des Systemversagens. Danach kann eine Leistungspflicht der Kassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Eine solche Verzögerung konnte hier nicht festgestellt werden. Ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der bei der Klägerin festgestellte Keratokonus keine lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung darstellt.

Art. 20 EGV 883/2004 erlaubt es EU-Bürgern, eine Behandlung im anderen EU-Mitgliedsstaat zu Lasten der eigenen Kasse wahrzunehmen. Dieser Leistungsanspruch ist aber begrenzt auf die im GKV-Leistungskatalog enthaltenen Leistungen. Dazu dient nach Art. 20 der Genehmigungsvorbehalt durch die zuständige Kasse. Nach Art. 7 der Patientenrichtlinie können Versicherte Leistungen im EU-Ausland zu Lasten ihrer Kasse in Anspruch nehmen, sofern die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedsstaat Anspruch hat.

Praxishinweise

1. Das SG hatte der Klage in Bezug auf die Kosten der ersten Operation stattgegeben mit der Begründung, die Kasse habe nach der Antragstellung im Verwaltungsverfahren die Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V überschritten. Hätte die Klägerin sich in Deutschland mit der gleichen Methode am einen Auge operieren lassen, wäre es wohl bei der Entscheidung des SG geblieben – auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des BSG, die die Anwendung der Fiktion auf Sachleistungsansprüche jedenfalls nach Kenntnis vom Ablehnungsbescheid verneint. Nur deshalb, weil von vornherein die Operation in Österreich geplant war, so dass allenfalls eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V in Betracht kommt, der Klägerin die Folgen der Genehmigungsfiktion zu versagen, erscheint angesichts des Grundsatzes der Gleichbehandlung in der EU problematisch.

2. Die Patientenrichtlinie unterstreicht in der Tat die Freizügigkeit, die eines der Grundelemente des EU-Rechts und der EU-Politik sind. Dem Senat ist zuzustimmen, dass die Freizügigkeit als solche nicht zu einer Erweiterung der Ansprüche führt. Die Patientenrichtlinie hat aber ein weiteres Ziel, nämlich den Austausch von Informationen mit dem Ziel, medizinische Innovationen den EU-Bürgern schneller zugutekommen zu lassen. Dies entspricht einem langjährigen Projekt der EU, nämlich die gesundheitliche Versorgung zu verbessern und zu stärken. Vor diesem Hintergrund hätte der Rechtsstreit wohl Anlass geben müssen, zu prüfen, ob die in Österreich praktizierte Behandlungsweise auf Erkenntnissen oder Erfahrungen beruht, die auch im Lichte der Pflicht des Gemeinsamen Bundesausschusses sich mit neuen Methoden zeitnah zu befassen, eine Anerkennung ermöglichen. Nach der aktuellen Fassung des § 135 SGB V muss der Bundesausschuss binnen zwei Jahren ein Methodenbewertungsverfahren abschließen, andernfalls die unparteiischen Mitglieder vorschlagen (können), dass die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist. Diese Problematik wurde ausschließlich vom MDK im Auftrag der Kasse erörtert, nicht aber gutachterlich überprüft.

BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 21/19 R (LSG Bayern), BeckRS 2020, 23326