Urteilsanalyse
Kein gemeinsamer Haushalt i.S.d. § 563 BGB, wenn Mieter endgültig in Pflegeheim gezogen ist
Urteilsanalyse
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Ein gemeinsam mit dem Mieter geführter Haushalt i.S.d. § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht nach dem LG Berlin nicht mehr, wenn sich der Mieter zum Zeitpunkt seines Ablebens bereits seit geraumer Zeit in einer Pflegeeinrichtung aufgehalten hat, ohne dass noch die medizinisch begründbare Erwartung einer Besserung oder gar Heilung und einer Rückkehr des Mieters in die Mietsache bestanden hätte.

31. Aug 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 17/2023 vom 31.08.2023

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Sachverhalt

Die Klägerin ist Vermieterin, der ursprünglich an den Erblasser vermieteten Wohnung, in der auch sein Sohn, der Beklagte wohnt. Der Erblasser zog in ein Pflegeheim um. Der Beklagte bewohnte weiterhin die Wohnung und beging darin Straftaten nach dem BtMG. Die Klägerin kündigte den Mietvertrag gegenüber dem Erblasser aufgrund des Verhaltens des Beklagten.

Eineinhalb Jahre nach seinem Auszug verstarb der Erblasser im Pflegeheim. Der Beklagte informierte die Klägerin darüber, dass er und seine Schwester Erben geworden seien. Die Klägerin kündigte daraufhin das Mietverhältnis gegenüber dem Beklagten und erhob Räumungsklage.

Das Amtsgericht gab der Klägerin recht. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Rechtliche Wertung

Die Berufung hat Erfolg.

Keine der vor dem Ableben des Erblassers ausgesprochenen verhaltensbedingten Kündigungen habe zur fristlosen oder ordentlichen Beendigung des Mietverhältnisses gemäß §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB geführt.

Zwar können in der Mietsache begangene Straftaten ein Recht zur Kündigung begründen. Sie würden eine vermieterseitige Kündigung allerdings grundsätzlich nur rechtfertigen, wenn der Mieter selbst Täter sei oder ein Erfüllungsgehilfe des Mieters das Delikt in Kenntnis des Mieters begangen habe. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, da sich unstreitig der Beklagte und nicht der Erblasser als Mieter der Wohnung eines Betäubungsmitteldelikts strafbar gemacht habe. Es sei auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Erblasser Kenntnis vom strafbaren Verhalten des Beklagten hatte, zumal er sich jedenfalls seit Anfang 2020 krankheitsbedingt nicht mehr in der Mietsache, sondern in einer Pflegeeinrichtung aufgehalten habe. Ob die vom Amtsgericht statuierte Pflicht des Erblassers zu seinen Lebzeiten bestand, dafür Sorge zu tragen, dass während seiner Abwesenheit keine Straftaten in der Mietsache begangen werden, könne dahinstehen, ebenso, wie der Erblasser dieser Pflicht in der Zeit seiner krankheitsbedingten Abwesenheit in einem Pflegeheim hätte nachkommen können. Jedenfalls komme einer damit verbundenen Überwachungspflichtverletzung nicht das für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht zu. Das gelte unabhängig, aber erst recht angesichts des Umstands, dass der Erblasser von der Klägerin nicht abgemahnt worden sei.

Die nach dem Ableben des Erblassers gegenüber dem Beklagten ausgesprochenen Kündigungen seien unwirksam. Zwar könne sich der Beklagte nicht auf einen Eintritt in das Mietverhältnis gemäß § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, da er mit dem Erblasser zum Zeit seines Todes keinen gemeinsamen Haushalt geführt habe. Der Erblasser habe sich zu diesem Zeitpunkt seit über eineinhalb Jahren in einer Pflegeeinrichtung befunden, ohne dass noch die medizinisch begründbare Erwartung einer Besserung oder gar Heilung und einer Rückkehr in die streitgegenständliche Wohnung bestanden habe. Damit sei der – zwischen den Parteien ohnehin streitige – Haushalt bereits weit vor dem Ableben des Erblassers aufgelöst worden.

Das Mietverhältnis sei jedoch gemäß § 564 Satz 1 BGB mit den Erben fortgesetzt worden. Der Klägerin habe zwar gemäß § 564 Satz 2 BGB ein Kündigungsrecht gegenüber den Erben zugestanden. Ihr sei es als für die Beendigung des Mietverhältnisses darlegungs- und beweisbelasteter Partei aber nicht gelungen, den Beweis zu führen, sämtlichen Erben gegenüber die Kündigung erklärt zu haben. Denn sie habe das Vorbringen des Beklagten, auch seine Schwester sei mangels abweichenden Testaments als gesetzliche Erbin erster Ordnung gemäß §§ 1922 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB Miterbin geworden, schon mangels substantiierten Gegenvortrags und Beweisantritts nicht zu widerlegen vermocht. Bei mehreren Erben aber habe der Vermieter allen gegenüber zu kündigen.

Praxishinweis

Dem Urteil ist im Ergebnis zuzustimmen.

Der Sohn ist zwar nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters; mit seiner Erlaubnis zur Nutzung hat er ihn aber in seine Risikosphäre einbezogen. Ob es allerdings aufgrund der begangenen Straftaten in der Wohnung einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte, ist abhängig vom Einzelfall und vorliegend mangels Tatbestand nicht ersichtlich (im Einzelnen: LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 09.06.2022 - 67 S 90/22, BeckRS 2022, 14625, besprochen in Bub/Pramataroff FD-MietR 2022, 450305; LG München I, Beschluss vom 03.07.2022 - 14 T 7020/22 (AG München), BeckRS 2022, 31704, besprochen in Pramataroff/Bordt FD-MietR 2023, 457029).

Richtig ist, dass ein endgültiger Auszug des Mieters oder dessen Angehörige aus der Wohnung das Ende der gemeinsamen Haushaltsführung darstellt. Endgültig ist der Auszug, wenn nicht mehr mit einer Rückkehr des Mieters oder der Haushaltsangehörigen zu rechnen ist, was bei einem Umzug auf Lebensdauer in ein Pflegeheim anzunehmen ist (Streyl in Schmidt-Futterer, 15. Auflage 2021, § 563 BGB Rn. 42).

Die Kündigung scheitert schließlich daran, dass trotz Kenntnis der Vermieterin darüber, dass auch die Schwester des Beklagten Erbin geworden ist, sie nur gegenüber dem Beklagten kündigte. Hat der Mieter mehrere Erben (Erbengemeinschaft), so muss die Kündigung ebenfalls von allen Erben ausgesprochen bzw. allen gegenüber erklärt werden und zugehen (BGH, Urteil vom 10.12.2014 – VIII ZR 25/14, NJW 2015, 473 Rn. 21). Bei unbekannten Erben kommt eine öffentliche Zustellung der Kündigung gem. § 132 Abs. 2 BGB iVm den Vorschriften der §§ 185 ff. ZPO in Betracht (Streyl aaO, § 564 BGB Rn. 12).

LG Berlin, Urteil vom 04.07.2023 - 67 S 120/23 (AG Berlin-Mitte), BeckRS 2023, 19043