Urteilsanalyse
Kein «ewiges» Widerspruchsrecht in der Lebensversicherung bei nur formaler Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse
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Ein Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung kann sich laut Bundesgerichtshof nicht auf ein «ewiges» Widerspruchsrecht gegen den Versicherungsvertrag nach § 5a VVG a.F. berufen, wenn er damit eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse ausnutzen will (hier: fehlende Angabe in den Verbraucherinformationen über die Zugehörigkeit des Versicherers zu einem Sicherungsfonds).

11. Aug 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 15/2022 vom 28.07.2022

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VVG a.F. § 5a; VAG a.F. § 10a; BGB § 242

Sachverhalt 

Der Kläger nimmt den beklagten Versicherer auf Rückabwicklung eines 2004 nach dem sogenannten Policenmodell nach § 5a VVG a.F. in Anspruch, nachdem er 2019 einen Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag erklärt hatte. Im Jahr 2008 war der Vertrag wegen Nichtzahlung von Beiträgen beitragsfrei gestellt worden. Der Kläger macht geltend, die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG a.F. sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil die Verbraucherinformation mangels Angaben zur Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum VAG a.F. unvollständig gewesen sei. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich. Auf die Revision des Versicherers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.

Rechtliche Wertung

Ein Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers (VN) ergebe sich aus der fehlenden Angabe zur Zugehörigkeit des Versicherers zu einem Sicherungsfonds nicht.

Die Ausübung eines Widerspruchsrechts sei rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB, wenn hiermit eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse des Versicherungsnehmers ausgenutzt wird. Die Gewährung eines Widerspruchsrechts sei kein Selbstzweck. Kein Widerspruchsrecht bestehe, wenn die vollständige und zutreffende Information ihrer Art nach dem VN keinen Anlass hätte geben können, vom Abschluss des Vertrages abzusehen, weil sie ihn im Vergleich mit der unvollständigen beziehungsweise unzutreffenden Information begünstigt.

Der Kläger verfolge mit der Ausübung des Widerspruchsrechts kein schützenswertes Eigeninteresse, sondern berufe sich nur auf eine formale Rechtsposition. Die vollständige und zutreffende Information über die Verpflichtung der Beklagten zur – von der Aufsichtsbehörde überwachten (§ 125 VAG a.F.) – Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds habe einem Interessenten schon ihrer Art nach keinen Anlass geben können, vom Vertragsschluss abzusehen, weil es sich um eine für ihn ausschließlich vorteilhafte Einrichtung handle.

Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, sei hier nicht entscheidungserheblich. Auch im Fall einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells sei es dem ordnungsgemäß belehrten VN, der sich aus den genannten Gründen nicht auf eine Unvollständigkeit der Verbraucherinformation berufen könne, nach Treu und Glauben verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13, Besprechung von Grams, FD-VersR 2014, 361040).

Praxishinweis 

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bereits mit Urteil vom 10.02.2021 (Az.: IV ZR 32/20BeckRS 2021, 2498) hatte der Senat einen ähnlichen Fall entschieden. Dort hatte der Versicherer fälschlicherweise in den Verbraucherinformationen die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds verneint, obwohl er tatsächlich einem solchen angehörte. Auch dort stellte der BGH darauf ab, ob die vollständige und zutreffende Information den VN im Vergleich zur unvollständigen beziehungsweise unzutreffenden Information begünstigt.

BGH, Urteil vom 22.06.2022 - IV ZR 14/21 (OLG Karlsruhe), BeckRS 2022, 17200