Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 22/2020 vom 04.11.2020
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StGB §§ 44, 69, 316 I, II
Sachverhalt
Der Angeklagte war auf einer Geburtstagsfeier, die er gegen 01:00 früh mit einem Freund verließ. Die beiden mieteten je einen E-Scooter und fuhren damit in die Fußgängerzone. Der Angeklagte fuhr in Schlangenlinien eine Strecke von 150 oder 200 Metern, bevor er der Polizei auffiel. Er wurde angehalten und eine Blutentnahme angeordnet. Die BAK des Angeklagten ergab 1,13 Promille. Der Führerschein wurde vorläufig beschlagnahmt.
Der Angeklagte erhielt wegen dieses Geschehens einen Strafbefehl, gegen den er Einspruch einlegte. Etwas mehr als sechs Monate nach der Beanstandung kam es zur Hauptverhandlung. In dieser wurde der Angeklagte in dem hier vorgestellten Urteil wegen fahrlässiger Begehung des § 316 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Zudem wurde ihm für die Dauer von sechs Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Die Zeit der amtlichen Verwahrung des Führerscheins aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis wurde für anrechenbar erklärt. Somit war im Zeitpunkt der Tat die Frist des Fahrverbots gerade abgelaufen.
Rechtliche Wertung
Von einem Entzug der Fahrerlaubnis könne ausnahmsweise abgesehen werden, entschied das AG. Ein Fahrverbot, wenn auch für sechs Monate, sei ausreichend. Zunächst sei nicht näher zu untersuchen, ob die Grenze der absoluten Fahruntauglichkeit mit einem E-Scooter schon bei einer BAK von 1,1 erreicht sei. Beim Angeklagten liege die BAK über 1,1 Promille und er sei wegen Fahrens in Schlangenlinien gefahren, sodass jedenfalls relative Fahruntüchtigkeit sicher vorgelegen habe.
Nach § 69 StGB müsse wegen einer rechtswidrigen Tat die Fahrerlaubnis entzogen werden, wenn eine Trunkenheitsfahrt zugrunde liege. Voraussetzung sei aber, dass der Angeklagte in einer Ausnahmesituation gefahren sei. Hier stehe es nicht fest, ob es notwendig sei, die Maßregel der Sicherung und Besserung zu ergreifen. Die Nebenstrafe des Fahrverbots sei hier wohl ausreichend.
Zu beachten sei auch, dass der E-Scooter sich erheblich von Kraftfahrzeugen sonstiger Art unterscheide. Um ihn zu fahren, bedürfe es keiner Fahrerlaubnis. Der Roller wiege auch nur 20-25 kg und man könne mit diesem Fahrzeug nicht mehr als 20 km/h fahren. Selbst mit einem Fahrrad seien höhere Geschwindigkeiten möglich. Es sei von Gesetzes wegen keine Helmpflicht angeordnet. Auch daraus ergebe sich, dass der Gesetzgeber das Fahren mit einem E-Scooter anders beurteile als das Fahren mit einem Pkw. Die Fahrt insgesamt sei nicht mit einer Fahrt eines Pkw vergleichbar. Man sei mit einem motorisierten Gefährt in der Regel auch bereits zu dem Ort des Trinkens unterwegs, während hier der Angeklagte zu Fuß zu der Festivität gekommen war und auf dem Heimweg zu Fuß plötzlich spontan den Entschluss fasste, sich mit Elektrokraft zu bewegen.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist sicherlich im Moment der Rechtslage entsprechend. Ob der Gesetzgeber die inkriminierte Bestimmung ändern wird, steht jedenfalls im Bereich der Möglichkeit. Für die Praxis ist die Entscheidung daher jedenfalls von Bedeutung.
AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.06.2020 - 661 Js 59155/19, BeckRS 2020, 13863