Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 04/2021 vom 23.04.2021
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Sachverhalt
Der Erblasser war seit 2009 in zweiter Ehe verheiratet mit der Beteiligten zu 2. Die erste Ehefrau des Erblassers ist 2005 vorverstorben. Der Beteiligte zu 1 ist der Sohn des Erblassers aus jener ersten Ehe. Der Erblasser hatte keine weiteren Kinder.
Der Erblasser und seine erste Ehefrau errichteten unter dem 11.02.2003 in der Form eines eigenhändigen gemeinschaftlichen Testaments ein von beiden Eheleuten unterschriebenes und mit „Testament“ überschriebenes Dokument, wonach nach ihrer beider Tod der Beteiligte zu 1 Vorerbe und die Enkeltochter - die Tochter des Beteiligten zu 1 – Nacherbin sein sollte.
Das Nachlassgericht hat unter dem 28.07.2005 aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen Erbschein erteilt, der den Erblasser und den Beteiligten zu 1 zu je ½ als Erben der ersten Ehefrau ausweist.
In das Vermögen des Erblassers und seiner ersten Ehefrau fiel neben Bankguthaben im Wesentlichen ein Hausgrundstück, als dessen Eigentümer ursprünglich die Ehegatten zu je ½ im Grundbuch eingetragen waren.
Am 06.03.2006 erklärten in einer mit „Selbstanfechtung eines Testaments, Zuwendungsverzichtsvertrag und Erbvertrag“ überschriebenen notarielle Urkunde der Erblasser, der Beteiligte zu 1 und die Tochter des Beteiligten zu 1 unter anderem folgendes:
- Der Erblasser erklärte, dass das Schriftstück vom 11.02.2003 nicht das Testament der Eheleute habe darstellen, sondern lediglich als Grundlage für ein Gespräch bei einem Notar habe dienen sollen. Für den Fall, dass es sich um ein gemeinschaftliches Testament handeln sollte, erklärte er dessen Anfechtung.
- Der Erblasser erkannte an, dass der Beteiligte zu 1 den in der Urkunde vom 11.02.2003 nur unvollkommen oder überhaupt nicht zum Ausdruck gekommenen Willen einer gegenseitigen Alleinerbeinsetzung bisher respektiert habe. Der Beteiligte zu 1 habe alle Bankguthaben auf den Erblasser übertragen. Auf eine Übertragung eines Miteigentumsanteils an der in den Nachlass fallenden Immobilie werde verzichtet. Der Beteiligte zu 1 habe aber bestätigt, dass er zu Lebzeiten des Erblassers auf Geltendmachung der ihm bezüglich des Grundbesitzes durch den Erbfall nach der ersten Ehefrau des Erblassers zugeflossenen Rechte gegenüber dem Erblasser verzichte. Mit Unterzeichnung des Vertrages wiederholte der Beteiligte zu 1 diesen Verzicht.
- Der Erblasser setzte den Beteiligten zu 1 mit vertragsmäßiger Bindung als seinen Erben ein und machte ihm die Auflage, im Falle des Verkaufs der Immobilie den Verkaufserlös an die Tochter des Beteiligten zu 1 abzuführen, welche er auch als Ersatzerbin einsetzte.
- Die Tochter des Beteiligten zu 1 erklärte für den Fall, dass das Schriftstück vom 11.02.2003 doch als wirksames Testament angesehen werden sollte, für sich und ihre Rechtsnachfolger auf sich daraus ergebende Nacherbenrechte zu verzichten.
- Der Beteiligte zu 1 und dessen Tochter trafen ihrerseits Verfügungen von Todes wegen im Hinblick auf die ihnen aufgrund der letztwilligen Verfügungen des Erblassers zufallende Immobilie.
Nach der Eheschließung des Erblassers mit der Beteiligten zu 2 im Jahre 2009 erklärte der Erblasser in notarieller Urkunde vom 15.04.2010 die Anfechtung der in dem Erbvertrag vom 06.03.2006 getroffenen Verfügungen wegen Übergehens der Beteiligten zu 2 als Pflichtteilsberechtigter.
Der Erblasser hat außerdem am 11.05.2010 ein Testament errichtet, mit dem er die Beteiligte zu 2 zu seiner Alleinerbin eingesetzt und den Beteiligten zu 1 mit dessen Stamm ausdrücklich enterbt hat.
Nach dem Tod des Erblassers hat der Beteiligte zu 1 am 18.10.2018 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweisen soll.
Die Beteiligte zu 2 ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten und hat zugleich ihrerseits beantragt, ihr einen Alleinerbschein zu erteilen.
Mit Beschluss vom 20.03.2019 hat die Richterin des Nachlassgerichts den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1.
Entscheidung: Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sich die Erbfolge nach dem Erblasser aus dem zuletzt errichteten Einzeltestament vom 11.05.2010 ergibt, in welchem der Erblasser die Beteiligte zu 2 zu seiner Alleinerbin eingesetzt und zudem ausdrücklich den Beteiligten zu 1 mit seinem Stamm enterbt hat.
Der Wirksamkeit der Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 2 in dem Testament vom 11.05.2010 steht die Bindungswirkung des Erbvertrages oder des Ehegattentestamentes des Erblassers und seiner ersten Ehefrau nicht entgegen.
Der Erblasser hat mit der Urkunde vom 15.04.2010 wirksam die Anfechtung der in dem Erbvertrag vom 06.03.2006 erfolgten Erbeinsetzungen aus dem Anfechtungsgrund des § 2079 S. 1 Alt. 3 BGB erklärt. Bei der Selbstanfechtung eines Erbvertrages müssen gemäß § 2281 Abs. 1 Hs. 2 BGB in Abweichung von § 2079 S. 1 BGB die Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes nicht beim Erbfall, sondern zum Zeitpunkt der Anfechtung vorliegen. Zu jenem Zeitpunkt bestand der genannte Anfechtungsgrund des Übergehens einer Pflichtteilsberechtigten. Der Erblasser war seit 2009 verheiratet mit der Beteiligten zu 2. Diese gehört als Ehegattin des Erblassers gemäß § 2303 Abs. 2 BGB seit Eheschließung und damit nach Abschluss des Erbvertrages vom 06.03.2006 zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Der Erblasser überging die Beteiligte zu 2 auch bei seinen Verfügungen in dem Erbvertrag, denn eine Zuwendung von Todes wegen machte er dieser nicht.
Der Erblasser erklärte die Selbstanfechtung des Erbvertrages in der nach § 2282 Abs. 3 BGB vorgeschriebenen notariell beurkundeten Form. Er erklärte die Anfechtung auch gegenüber den richtigen Adressaten. Die Selbstanfechtung eines Erbvertrags ist gemäß § 143 Abs. 1 BGB nämlich gegenüber den weiteren Vertragsbeteiligten zu erklären.
Schließlich ist die Anfechtungsfrist des § 2283 Abs. 1 BGB von einem Jahr gewahrt, die nach Absatz 2 Satz 1 Alternative 2 der vorgenannten Vorschrift in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Erblasser von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Im vorliegenden Fall der Anfechtung wegen des Übergehens eines aufgrund einer später erfolgten Eheschließung als Pflichtteilsberechtigter hinzugetretenen Ehegatten, kann dies frühestens der Zeitpunkt der Eheschließung sein.
Die Anfechtung war auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil einer Anfechtung der Schutz des Vertrauens des Beteiligten zu 1 in den Bestand der Regelungen des Erbvertrages entgegenstünde oder der Erblasser die Anfechtung rechtsmissbräuchlich und treuwidrig erklärt hätte.
Ist das Anfechtungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen, kann sich ein Ausschluss nur ausnahmsweise ergeben, wenn der Erblasser die Voraussetzungen der Anfechtung selbst erst durch ein gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten verstoßendes Verhalten (§§ 242, 138 BGB) herbeigeführt hat (vgl. MüKoBGB/Musielak, 8. Aufl., § BGB § 2281 BGB, Rn. 15).
In der neueren Literatur wird darüber hinaus für sog. entgeltliche Erbverträge diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen das Anfechtungsrecht auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes möglicherweise weitergehend einzuschränken ist (vgl. zum Meinungsstand im Einzelnen: Mayer in Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag, 6. Aufl., § 2281, Rn. 24 f.). Von dieser Ansicht wird angeführt, dass bei dem sog. entgeltlichen Erbvertrag das Äquivalenzprinzip - der Austausch gleichwertiger Leistungen - den Bindungsgrund darstelle, so dass ein Vertragsteil, der sich in Ansehung der zu seinen Gunsten getroffenen Verfügung von Todes wegen zu lebzeitigen Leistungen verpflichtet, im Hinblick auf die erbrachten Leistungen schutzwürdig sei.
Solchen Überlegungen vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar wird in Fällen, in denen sich der andere Vertragsteil mit Rücksicht auf die vertragsmäßige Zuwendung in der gleichen Urkunde schuldrechtlich zu einer Leistung verpflichtet, von einem „entgeltlichen Erbvertrag“ gesprochen; diese Bezeichnung ist gleichwohl irreführend (vgl. BeckOKBGB/Litzenburger, 55. Edition, Stand 01.08.2020, § 2274 BGB, Rn. 4). Denn Charakter des Erbvertrages ist, dass es sich um ein abstraktes, unentgeltliches Geschäft handelt, das keinen schuldrechtlichen und keinen gegenseitigen Vertrag darstellt, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Parteien gegenseitig vertragsmäßig bedenken oder wenn sich der Vertragsgegner zu einer Leistung an den Erblasser verpflichtet (vgl. Staudinger/Kanzleiter BGB, 2019, Einl. § 2247 BGB Rn. 3). Ein „entgeltlicher Erbvertrag“ hat insoweit eine Doppelnatur; dabei steht aber die schuldrechtliche Leistungsverpflichtung zur Zuwendung des Erblassers nicht in einem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Sinne von §§ 320 ff BGB wie bei einem gegenseitigen Vertrag (vgl. BGH DNotZ 1995, 148, 153).
Der andere Teil erbringt also Leistungen aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung, die rechtlich unabhängig von der Verfügung des Erblassers besteht. Ein demnach nicht rechtlich, sondern nur tatsächlich begründetes Vertrauen auf den Bestand der Verfügung von Todes wegen kann nach Auffassung des Senats eine Durchbrechung der gesetzlichen Grundwertung nicht rechtfertigen, wonach das Interesse des Erblassers, durch Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung seine Testierfreiheit wiederzuerlangen, Vorzug vor dem Vertrauen des anderen Teils in den Bestand der Verfügung verdient.
Als entsprechende in dem Erbvertrag eingegangene schuldrechtliche Verpflichtung kommt allein der Verzicht des Beteiligten zu 1 auf die Durchsetzung der ihm durch die Erbfolge nach der ersten Ehefrau des Erblassers zugeflossenen Rechte an dem Grundbesitz in Betracht. Die eigenen Verfügungen von Todes wegen des Beteiligten zu 1 und dessen Tochter in der notariellen Urkunde sind dagegen nicht schuldrechtlicher Natur. Mit dem Erbvertrag einschließlich der genannten Verpflichtung des Beteiligten zu 1 sollte offensichtlich einvernehmlich der Zustand herbeiführt werden, der eingetreten wäre, wenn der Erblasser und seine erste Ehefrau sich gegenseitig wirksam zu Alleinerben eingesetzt hätten.
Zudem kann das Vertrauen des Beteiligten zu 1 in den Eintritt einer eigenen erbrechtlichen Position nach dem Erblasser nur insoweit schutzwürdig sein, als diese derjenigen entspricht, wie er sie aufgrund eines gegenseitigen Ehegattentestaments hätte erlangen können. Tatsächlich hat der Beteiligte zu 1 aber keine andere oder schlechtere Position erlangt als es durch ein Ehegattentestament möglich gewesen wäre. Er kann daher auch im Hinblick auf den von ihm erklärten Verzicht auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Erbe nach der ersten Ehefrau des Erblassers schon keinen besonderen Vertrauensschutz geltend machen. Auch von einer nach § 2271 Abs. 2 BGB nach dem Tod der Ehefrau für den Erblasser grundsätzlich bindenden Schlusserbeneinsetzung hätte sich dieser im Falle seiner Wiederverheiratung unter den Voraussetzungen des § 2079 BGB entsprechend § 2281 BGB durch Anfechtung lösen können, so dass der Beteiligte zu 1 auch dann seine gewillkürte Alleinerbenstellung aus dem gemeinschaftlichen Testament verloren hätte.
Ein Ausschluss des Anfechtungsrechts käme demnach nach den eingangs angesprochenen allgemeinen Regeln nur in Betracht, wenn der Erblasser die Voraussetzungen der Anfechtungen selbst erst durch ein gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten verstoßendes Verhalten herbeigeführt hätte. Im Falle der Eheschließung müsste diese also ein treuwidriges gerade gegen die Begünstigten des Erbvertrages gerichtetes Verhalten darstellen, woran allenfalls zu denken wäre, wenn die Ehe allein zu dem Zweck eingegangen wäre, um dem Erblasser die Lösung von den Bindungen der vertragsmäßigen Verfügungen in dem Erbvertrag zu ermöglichen, also um die Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes des § 2079 BGB erst zu schaffen. Dagegen spricht aber schon der Umstand, dass die zweite Ehe des Erblassers bis zu dessen Tod über acht Jahre Bestand hatte, nachdem die Anfechtung bereits kurz nach Eheschließung erklärt worden war.
Nach alledem hat der Erblasser den Erbvertrag vom 06.03.2006 wirksam angefochten, so dass auch die Erbeinsetzung zugunsten des Beteiligten rückwirkend nichtig ist.
Auch die Verfügungen in der Urkunde vom 11.02.2003 stehen der späteren Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2 nicht entgegen.
Selbst wenn das Ehegattentestament noch wirksam gewesen wäre, hätte der Erblasser die darin getroffenen Erbeinsetzungen jedenfalls mit Errichtung des Testaments vom 11.05.2010 durch die darin verfügte Erbeinsetzung (§ 1937 BGB) der Beteiligten zu 2 und zudem die ausdrückliche Enterbung (§ 1938 BGB) des Beteiligten zu 1 und dessen Tochter wirksam widerrufen. Keine der von dem Erblasser in dem Ehegattentestament für den Fall seines Nachversterbens getroffenen Erbeinsetzungen steht aber entgegen der Auffassung der Beschwerde in einem Verhältnis im Sinn des § 2270 Abs. 1 BGB zu einer Verfügung seiner Ehefrau. Die Verfügungen der Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament betreffen nämlich ausschließlich Erbeinsetzungen für den Fall, dass der zweite Ehegatte verstirbt. Für den ersten Todesfall haben die Ehegatten hingegen keine Regelungen getroffen, insbesondere sich nicht gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Sind aber ohne weitere Verfügungen nur die gemeinsamen Kinder (und gegebenenfalls auch deren Kinder) bedacht, stehen diese Verfügungen beider Ehegatten im Zweifel aber nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander. Denn der eine Ehegatte wird nach der Lebenserfahrung die gemeinsamen Abkömmlinge nicht nur deshalb als Erben für den Fall seines Nachversterbens einsetzen, weil der andere in gleicher Weise verfährt, und würde auch nicht von seiner Verfügung absehen, wenn der andere Ehegatte eine andere Erbeinsetzung treffen würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass jeder Ehegatte ein eigenes von den Verfügungen des anderen unabhängiges Interesse daran hat, seinen Nachlass den eigenen Abkömmlingen zukommen zu lassen.
Da demnach die von dem Erblasser in dem Ehegattentestament verfügte Erbeinsetzung nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu einer Verfügung seiner ersten Ehefrau seht, war auch sein Recht zum Widerruf dieser Verfügung nach deren Tod auch nicht nach § 2271 Abs. 2 BGB ausgeschlossen und hinderte den Erblasser nicht an der Errichtung der letztwilligen Verfügung zugunsten seiner zweiten Ehefrau.
Praxishinweis
Es handelt sich um die erste Gerichtsentscheidung, die sich mit der in der Literatur umstrittenen Frage befasst, ob und inwieweit bei einem entgeltlichen Erbvertrag das Selbstanfechtungsrecht des Erblassers eingeschränkt bzw. ausgeschlossen werden muss, um das berechtigte Vertrauen des Vertragspartners in die erbrechtliche Zuwendung zu schützen.
Unbestritten ist dabei der auch vom Senat erörterte Fall, dass der Erblasser den Anfechtungsgrund wider Treu und Glauben unter Verstoß gegen §§ 138, 226, 242 BGB erschlichen hat (BGH NJW 1952, 419; NJW 1962, 1913; BayObLG NJWE-FER 2000, 89, 91). Im Falle der Eheschließung müsste diese allein zu dem Zweck eingegangen worden sein, um dem Erblasser die Lösung von den Bindungen der vertragsmäßigen Verfügungen in dem Erbvertrag zu ermöglichen, also um die Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes des § 2079 BGB erst zu schaffen. Der Umstand, dass der Erblasser den Anfechtungsgrund durch die Wiederheirat wissentlich geschaffen hat, reicht nicht aus (Vgl. BeckOGK/Röhl,
Im Rahmen eines Erbvertrags wird zunehmend eine Einschränkung des Selbstanfechtungsrechts im Falle des venire contra factum proprium befürwortet (Staudinger/Kanzleiter BGB (2019) § 2281 Rn. 10; MüKoBGB/Musielak BGB § 2281 Rn. 16; großzügiger Lange NJW 1963, 1571, 1578). Dabei wird in der Regel hervorgehoben, dass es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmefälle handeln müsse, weil dem Interesse des Erblassers, sich von der ihn bindenden Verfügung durch Anfechtung zu lösen, der Vorrang gebühre.
Bezüglich sog. entgeltlicher Erbverträge mehren sich jedoch die Stimmen in der Literatur, dass ein Anfechtungsausschluss bereits aus Rücksicht auf das Vertrauen des Vertragspartners in die erbrechtliche Zuwendung geboten sei (Reimann/Bengel/Dietz/J. Mayer/Dietz, Testament und Erbvertrag, 7. Aufl., § 2281 Rn. 24 f. mit umfassenden Nachweisen). Da die erbrechtliche Zuwendungen im Erbvertrag i.S.d. §§ 2274 ff. BGB nicht synallagmatisch mit den im schuldrechtlichen Vertrag übernommenen Pflichten des Vertragspartners verknüpft sind, beruft sich diese Meinung auf das Äquivalenzprinzip, nämlich darauf, dass die Grundlage der vertragsmäßigen letztwilligen Verfügung im weitesten Sinne im Austauschverhältnis zur vom Vertragspartner übernommenen schuldrechtlichen Pflicht stehe. Dieser Meinung ist der Senat mit dieser Entscheidung unter Hinweis auf die Abstraktheit des Erbvertrags gegenüber dem obligatorischen Rechtsgeschäft entgegengetreten. Der andere Teil erbringe seine Leistungen aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung, die rechtlich unabhängig von der Verfügung des Erblassers bestehe. Diese tatsächliche Verknüpfung reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um eine Durchbrechung der dargestellten gesetzlichen Grundwertung zu rechtfertigen, wonach das Interesse des Erblassers, durch Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung seine Testierfreiheit wiederzuerlangen, Vorzug vor dem Vertrauen des anderen Teils in den Bestand der Verfügung verdient.
Die vom Senat mit Recht abgelehnte Literaturmeinung ebnet in der Tat die rechtlichen Unterschiede zwischen dem Erbvertrag als Verfügung von Todes wegen und lebzeitigen Rechtsgeschäften unangemessen ein. Auch wenn bei Auslegung eines Erbvertrags der Verständnishorizont des (nicht letztwillig verfügenden) Vertragspartners eine bedeutsame Rolle spielt, so darf nicht übersehen werden, dass im Unterschied zu allen anderen Rechtsgeschäften vertragsmäßige erbrechtliche Verfügungen auch wegen eines bloßen Motivirrtums angefochten werden können, und zwar ohne Rücksicht auf die Interessen des Vertragspartners (Krebber DNotZ 2003, 20, 37). Bei Verfügungen von Todes wegen räumt der Gesetzgeber also dem Willen des Erblassers stets Vorrang vor den Verkehrsinteressen anderer ein. Hinzu kommt, dass die Bindung an vertragsmäßige Verfügungen vom Gesetzgeber als Ausnahme von der grundsätzlich unbeschränkten und gemäß § 2302 BGB uneinschränkbaren Testierfreiheit ausgestaltet ist. Nach der hier abgelehnten Gegenmeinung wäre der Erblasser nämlich durch jeden Abschluss eines entgeltlichen Erbvertrags - entgegen § 2302 BGB - verpflichtet, „eine Verfügung von Todes wegen … nicht aufzuheben“, was aber ohne gesetzliche Ausnahmeregelung hierzu unzulässig ist. Deshalb bleiben Vertragspartnern eines entgeltlichen Erbvertrags nur Schadenersatz-, Rückgewähr- oder Bereicherungsansprüche, wenn die Hoffnung auf die erbrechtliche Zuwendung durch Selbstanfechtung zunichtegemacht wird. Diese Ungleichbehandlung der Parteien bei Erbverträgen, die mit Verkehrsgeschäften oder mit einem Erbverzicht verbunden werden, stellt die notarielle Praxis deshalb vor allergrößte Herausforderungen bei der Ausgestaltung solcher Urkunden. Genau genommen erbringt jeder Vertragspartner des Erblassers bei derartigen Erbverträgen „ungesicherte Vorleistungen“ und ist vom Notar entsprechend zu belehren. Eine angemessene Belehrung wird in der Regel darin bestehen, von derartigen entgeltlichen Erbverträgen „die Finger zu lassen“.
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.09.2020 - 20 W 116/19, BeckRS 2020, 43908