Urteilsanalyse
Kein Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung bei bloßen Betriebseinschränkungen
Urteilsanalyse
dcg
© Dirk-Carsten Günther / BLD
dcg

Verlangen die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung, dass die zuständige Behörde den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte schließt, sind bloße Betriebseinschränkungen oder eine teilweise Einstellung des Leistungsangebots laut Landgericht Darmstadt vom Versicherungsschutz nicht erfasst.

16. Aug 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 15/2021 vom 29.07.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

AVB-BS § 1; BGB §§ 242247

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Hotelbetreiberin, unterhält bei dem Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (im Folgenden: AVB-BS) zugrunde. § 1 AVB-BS lautet auszugsweise wie folgt:

«1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt,...»

Im Zeitraum vom 18.03.2020 bis 14.05.2020 waren aufgrund der jeweils geltenden Fassung der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken nicht erlaubt. Für diesen Zeitraum macht die Klägerin Entschädigungszahlungen geltend. Der Beklagte hat eine Eintrittspflicht abgelehnt.

Rechtliche Wertung

Die Klage wurde abgewiesen. Es liege kein Versicherungsfall im Sinn von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS vor, da die Klägerin nicht ausreichend dargelegt habe, dass ihr Betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund behördlicher Anordnungen geschlossen war.

Allgemeine Versicherungsbedingungen seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Damit komme es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an.

Den Wortlaut der maßgeblichen Versicherungsbedingungen (§ 1 Nr. 1a der AVB-BS verlangt, dass «die zuständige Behörde ... a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte ... schließt») müsse der durchschnittliche Versicherungsnehmer grundsätzlich so verstehen, dass die vollständige Schließung der Einrichtung angeordnet worden sein muss, damit ein Anspruch auf Versicherungsleistungen entsteht. Aus dem Wortlaut ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass auch Betriebseinschränkungen oder eine teilweise Einstellung des Leistungsangebots vom Versicherungsschutz erfasst sind. Im Übrigen lege bereits der Begriff der «Betriebsschließungsversicherung» nahe, dass es sich nicht um eine Betriebseinschränkungsversicherung, eine Teilschließungsversicherung oder Ähnliches handelt. Für ein solches Verständnis spreche auch, dass die vereinbarte Tagespauschale am Schaden für den gesamten Betrieb berechnet wird und damit werde dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch verständlich, dass die Auszahlung der Tagespauschale nach Sinn und Zweck die vollständige Schließung des Betriebes voraussetzt.

Der Klägerin sei es nach der Vierten Corona-Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der Hessischen Landesregierung gestattet gewesen, Übernachtungen für Geschäftsreisende anzubieten. Dies sei, wenn auch nicht der Hauptgeschäftszweig, so zumindest in der Vergangenheit Teil des Geschäfts der Klägerin gewesen. Die von ihr dargelegten Einschränkungen bzw. die erheblichen wirtschaftlichen Einbußen dadurch, dass infolge der Corona-Pandemie weniger Geschäftsreisen durchgeführt wurden, es also kaum eine Nachfrage nach Übernachtungen für Geschäftsreisende, der Anmietung von Tagungsräumen oder der Anmietung von Räumen zur Durchführung von privaten oder geschäftlichen Veranstaltungen gegeben hat, genüge für den Eintritt des Versicherungsfalls nicht. Denn das Ausbleiben von Kunden als solches sei von der Betriebsschließungsversicherung nicht umfasst.

Praxishinweis

Dass nach den AVB für die Betriebsschließungsversicherung eine vollständige Betriebsschließung Voraussetzung für eine Deckung ist, musste nicht von vielen Gerichten ausgeurteilt werden – zu eindeutig sind Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der entsprechenden Klauseln.

So wie das LG Darmstadt entschieden auch das LG Mannheim (Urteil vom 16.02.2021 – 11 O 102/20, BeckRS 2021, 2146, Besprechung von Günther, FD-VersR 2021, 436999) nach Abkehr von zunächst anderer Auffassung (LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020 – 11 O 66/20, BeckRS 2020, 7522, Besprechung von Günther, FD-VersR 2020, 429369) und das LG München I (Urteil vom 17.09.2020 – 12 O 7208/20, BeckRS 2020, 23061, Besprechung von Günther, FD-VersR 2020, 432601). Eine Beschränkung kann es nur über § 242 BGB geben (ausführlich hierzu Günther in Günther/Seitz/Thiel, Betriebsschließungs- und Ausfallversicherung in der COVID-19-Pandemie“, Karlsruhe 2021, S.  29 ff).

LG Darmstadt, Urteil vom 09.06.2021 - 26 O 460/20, BeckRS 2021, 17791