Urteilsanalyse

Kau­sa­li­tät und Be­weis­last bei ver­meint­li­chen "Impf­schä­den"
Urteilsanalyse
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Zur An­er­ken­nung eines Ge­sund­heits­scha­dens als Folge einer Schä­di­gung i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG ge­nügt nach einem Be­schluss des BSG die Wahr­schein­lich­keit des ur­säch­li­chen Zu­sam­men­hangs.

13. Okt 2023

An­mer­kung von 
Rechts­an­walt Flo­ri­an Els­ner, BUSSE & MIES­SEN Rechts­an­wäl­te Part­ner­schaft mbB, Ber­lin
 
Aus beck-fach­dienst Me­di­zin­recht 10/2023 vom 06.10.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des mo­nat­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Me­di­zin­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Me­di­zin­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Me­di­zin­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Zwi­schen den Be­tei­lig­ten war strei­tig, ob die Ge­sund­heits­stö­run­gen der Klä­ge­rin als Impf­scha­den zu ent­schä­di­gen sind.

Die Klä­ge­rin (Kl.) wurde am 26.11.2009 gegen In­flu­en­za A H1N1 (sog. „Schwei­ne­grip­pe“) ge­impft. Am 01. und 08.12.2009 such­te die Kl. den imp­fen­den Arzt wegen fol­gen­der Be­schwer­den auf: Herz­klop­fen, Herz­ra­sen, kalte Fin­ger, Schwä­che, leich­te Er­müd­bar­keit; nach der Imp­fung sei es zu Fie­ber und Übel­keit ge­kom­men. In den nach­fol­gen­den Jah­ren such­te die Kl. wegen zahl­rei­cher un­ter­schied­li­cher Be­schwer­den ver­schie­de­ne Ärzte und Kli­ni­ken auf; die Kl. wurde wegen un­ter­schied­li­cher Ver­dachts­dia­gno­sen un­ter­sucht. Die Un­ter­su­chungs­be­fun­de waren je­weils un­auf­fäl­lig, so­dass von ver­schie­de­nen Ärz­ten und Kli­ni­ken der Ver­dacht auf das Vor­lie­gen einer So­ma­ti­sie­rungs­stö­rung ge­äu­ßert wurde. Die psych­ia­tri­sche Be­hand­lung der Kl. führ­te zu einem Be­fund­be­richt an das Ver­sor­gungs­amt, nach dem zu be­fürch­ten sei, dass „bei fort­be­stehen­der Ein­schrän­kung von Krank­heits- und Be­hand­lungs­ein­sicht die be­schrie­be­ne Sym­pto­ma­tik i. S. einer hy­po­chon­dri­schen Stö­rung in Ver­bin­dung mit einer leich­ten ko­gni­ti­ven Stö­rung wei­ter fort­be­stehen werde. Die Kl. stell­te am 09.11.2011 einen An­trag auf Ver­sor­gung nach dem In­fek­ti­ons­schutz­ge­setz (IfSG) und mach­te hier­für die Fol­gen der Imp­fung gegen die Schwei­ne­grip­pe gel­tend.

Die be­auf­trag­te Dipl. med. G. stell­te in ihrem Be­richt an den Be­klag­ten (Bekl.) zahl­rei­che Sym­pto­me fest, an denen die Kl. nach der Imp­fung ge­lit­ten habe (z.B. Herz­stol­pern, Be­nom­men­heit, Kopf­schmer­zen), trotz in­ten­sivs­ter Dia­gnos­tik in ver­schie­de­nen Kli­ni­ken und Spe­zi­al­am­bu­lan­zen habe bis­her aber keine ein­deu­ti­ge Dia­gno­se ge­stellt wer­den kön­nen. Der me­di­zi­ni­sche Be­ra­ter des Bekl. ge­lang­te in sei­ner Stel­lung­nah­me zu dem Er­geb­nis, dass ein Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen Imp­fung und den ge­klag­ten Be­schwer­den un­wahr­schein­lich sei, denn weder sei eine Aku­t­re­ak­ti­on un­mit­tel­bar nach der Imp­fung zu be­le­gen noch sei für die ge­klag­te Sym­pto­ma­tik in der Folge ein or­gan­pa­tho­lo­gi­sches Kor­re­lat nach­zu­wei­sen. Hier­auf lehn­te der Bekl. den An­trag auf Be­schä­dig­ten­ver­sor­gung nach dem IfSG ab. Gegen die Ab­leh­nung ihres Wi­der­spru­ches wand­te sich die Kl. an das So­zi­al­ge­richt, das die Klage eben­so ab­wie­sen. Ins­be­son­de­re habe sich die schon vom Bekl. auf­grund der ihm vor­lie­gen­den me­di­zi­ni­schen Un­ter­la­gen fest­ge­stell­te man­geln­de Kau­sa­li­tät zwi­schen der an­ge­schul­dig­ten Imp­fung und dem Be­schwer­de­bild der Kl. durch die wäh­rend des Kla­ge­ver­fah­rens durch­ge­führ­te wei­te­re Be­weis­er­he­bung er­här­tet. Die nach der Zu­rück­wei­sung der Be­ru­fung durch das LSG ein­ge­leg­te Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de hat das BSG zu­rück­ge­wie­sen. Die nach­ste­hen­de Dar­stel­lung der Ent­schei­dung be­schränkt sich auf die Er­wä­gun­gen des LSG in des­sen Ur­teils­be­grün­dung.

Ent­schei­dung

Die Be­ru­fung sei zu­läs­sig, aber un­be­grün­det, so das LSG. Das SG habe die Klage zu­recht ab­ge­wie­sen, der Be­scheid des Bekl. sei recht­mä­ßig. Grund­la­ge für die An­er­ken­nung einer Er­kran­kung als Impf­scha­den seien die §§ 60, 61 IfSG. Zur An­er­ken­nung eines Ge­sund­heits­scha­dens als Folge einer Schä­di­gung i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG ge­nü­ge die Wahr­schein­lich­keit eines ur­säch­li­chen Zu­sam­men­hangs (§ 61 S. 1 IfSG). Die Recht­spre­chung des BSG habe dazu fol­gen­de Maß­stä­be ent­wi­ckelt: Es müss­ten der Ein­tritt einer über eine üb­li­che Impf­re­ak­ti­on hin­aus­ge­hen­den ge­sund­heit­li­chen Schä­di­gung, also eine Impf­kom­pli­ka­ti­on, sowie eine – dau­er­haf­te – ge­sund­heit­li­che Schä­di­gung, also ein Impf­scha­den, vor­lie­gen. Der Senat könne aber nicht fest­stel­len, dass die Kl. durch die Imp­fung eine (dau­er­haf­te) Ge­sund­heits­schä­di­gung er­lit­ten habe. Die Vor­aus­set­zun­gen für die Fest­stel­lung des er­for­der­li­chen Ur­sa­chen­zu­sam­men­hangs lägen nicht vor, weder nach § 61 S. 1 IfSG noch nach § 61 S. 2 IfSG im Sinne einer „Kann-Ver­sor­gung“. Die Nicht­er­weis­lich­keit einer Impf­kom­pli­ka­ti­on gehe zu Las­ten der Kl.; für eine „Be­weis­last­um­kehr“ gebe es keine Rechts­grund­la­ge. Der Senat halte zudem die erst­in­stanz­lich ein­ge­hol­ten Gut­ach­ten für über­zeu­gend und habe keine Zwei­fel an der Fach­kom­pe­tenz der be­auf­trag­ten Sach­ver­stän­di­gen.

Pra­xis­hin­weis

Mit Be­schluss vom 22.05.2023 (Az.: B 9 V 4/23 BH) hat das BSG die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gegen das ge­gen­ständ­li­che Ur­teil des Hes­si­sches LSG rechts­kräf­tig zu­rück­ge­wie­sen.

BSG, Be­schluss vom 22.05.2023 - B 9 V 4/23 BH (LSG Hes­sen), BeckRS 2023, 13446