NJW-Editorial
Kartellrecht mit Klauen
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Als im Juni letzten Jahres die hohen Gewinne der Mineralölkonzerne die Gemüter beweg­ten, kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein „Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“ an. Seit der Entwurf für eine 11. GWB-Novelle in der Bundes­regierung konsentiert wurde, ist bei den meisten Wirtschaftsverbänden „Heulen und Zähneklappern“ angesagt. Führt die „größte Reform des Wettbewerbsrechts seit ­Ludwig Erhard“ (Habeck) zu einem „Schaden für den Standort Deutschland“ (BDI)?

4. Mai 2023

Der Gesetzentwurf behandelt drei Themen: Nicht kontrovers ist, dass für Bundeskartellamt und private Kläger die Voraussetzungen geschaffen werden, um den europäischen Digital Markets Act durchzusetzen. Gegen ein zweites Unterfangen kann wenig eingewendet werden: Die Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen wird erleichtert. Bislang belässt das Bundeskartellamt nach eigener Auskunft Kartellanten und Unternehmen, die ihre Marktmacht missbrauchen, ihre Unrechtsrendite. Dieser Skandal soll durch eine beinahe unwiderlegliche Vermutung beseitigt werden, dass der Unrechtsgewinn 1 % vom tatbezogenen Umsatz beträgt.

Für Aufregung sorgt das dritte Reformprojekt: Das Bundeskartellamt soll im Anschluss an eine Sektoruntersuchung „Maßnahmen“ ergreifen können – von erweiterten Anmeldepflichten für Fusionen über Vorgaben für die Vertragsgestaltung bis hin zur Entflechtung von Konzernen. Die Voraussetzung für solche Eingriffe ist eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“. Ein Rechtsverstoß der betroffenen Unternehmen ist nicht erforderlich. Das ist – trotz aller Hürden im Gesetz – ein Paradigmenwechsel. Er ist zum einen das Ergebnis einer gewissen Blockade im klassischen Kartellrecht: Große Missbrauchsverfahren dauern zu lang und erreichen zu wenig. Zum anderen verfestigt sich der Eindruck, dass Abhängigkeiten in der Wirtschaft zunehmen und in einigen Märkten die Konzentration steigt. Welche Branche als erste die neue Macht des Bundeskartellamts spüren wird, ist offen: Entsorgungswirtschaft? Märkte mit Ex-Mono­polisten? CO2-intensive Betriebe?

Ein genauer Blick in Märkte und ihre Mechanismen lohnt. Ob man im Anschluss an eine solche Sektoruntersuchung eine behördliche Feinsteuerung („Marktdesign“) für richtig hält, hängt an der Frage, was man dem Bundeskartellamt zutraut und wie sehr man ihm vertraut. Bevor die Politik (die ja gelegentlich nicht ganz frei von populistischen Anflügen sein soll) in Märkten herumfummelt, ist es jedenfalls vorzugswürdig, die wettbewerbsorientierten Fachleute ans Werk gehen zu lassen. Sorgt das Amt wirklich für mehr Wettbewerb, schadet das den Unternehmen nicht – wer sich auf dem Heimatmarkt bewähren muss, ist fit fürs internationale Geschäft. Unbestreitbar ist aber, dass die Macht des Kartellamts wächst. Gerade diese Behörde sollte ein Gespür dafür ­haben, dass Macht zum Missbrauch verführt.

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Prof. Dr. Rupprecht Podszun ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.