Anmerkung von
RA Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 09/2022 vom 09.03.2023
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Sachverhalt
Die beklagte Krankenpflegehelferin war über ihren Arbeitgeber bei der Klägerin, einer Gruppen-Unterstützungskasse, zur Altersversorgung angemeldet worden. Die Unterstützungskasse behielt sich in ihrem Leistungsplan vor, im Versorgungsfall anstelle einer laufenden Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der zehnfachen Jahresrente zu zahlen.
Am 17.3.2021 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihre monatliche Altersrente 1.030,41 EUR betrage und man entsprechend dem Vorbehalt im Leistungsplan die Anwartschaft durch eine Einmalzahlung in Höhe des zehnfachen Jahresbetrages, folglich 123.649,20 EUR, ersetze. Nach Abführung von Lohn- und Kirchensteuer zahlte die Klägerin an die Beklagte 106.476,25 EUR netto aus. Die Beklagte widersprach jedoch der Einmalzahlung und überwies das Geld umgehend an die Klägerin zurück. Daraufhin erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass sie zur Ersetzung der Ansprüche auf laufende Rentenzahlung durch eine Einmalzahlung berechtigt sei.
Die Klage war vor dem ArbG und dem LAG erfolglos.
Entscheidung
Auch das BAG sah keine Befugnis auf Ersetzung des Anspruchs auf laufende Rente durch eine Einmalzahlung. Hierbei stützte sich das BAG auf § 308 Nr. 4 BGB. Danach sind in AGB Änderungsvorbehalte unwirksam, die dem Verwender das Recht einräumen, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Allerdings gilt § 308 Nr. 4 BGB nur für eine Ersetzungsbefugnis, nicht jedoch für eine echte Wahlschuld i.S.v. § 262 BGB. Bei einer echten Wahlschuld sind die beiden zugesagten Leistungen, zwischen denen das Wahlrecht ausgeübt werden kann, jeweils Hauptleistungen und als solche AGB-kontrollfrei. Das BAG hatte folglich zwischen Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis abzugrenzen. Es kam aufgrund der Formulierung der betreffenden Klausel im Leistungsplan der Klägerin zu dem Ergebnis, es sei keine echte Wahlschuld vereinbart gewesen, sondern lediglich das Recht der Klägerin, die ursprünglich geschuldete lebenslange Rente später durch den Anspruch auf Einmalkapitalzahlung zu ersetzen. Folglich sei der Anwendungsbereich von § 308 Nr. 4 BGB eröffnet.
Die Ersetzungsbefugnis sei für die Beklagte ohne weiteres unzumutbar, da die Kapitalzahlung in Höhe von „nur“ zehn laufenden Jahresrenten weit hinter dem tatsächlichen Barwert der Rentenzusage zurückbleibe. Eine mögliche Umdeutung der Klausel dahingehend, dass die Ersetzung der lebenslangen Rente durch eine Kapitalzahlung in Höhe des tatsächlichen Barwerts möglich sei, würde der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, da eine solche Ersetzungserklärung jedenfalls nicht vor dem Eintritt des Versorgungsfalls abgegeben worden sei. Eine spätere Ausübung sei mit § 3 BetrAVG nicht mehr vereinbar.
Praxishinweis
Dem Urteil ist zuzustimmen. Allerdings wirft es eine Reihe von Folgefragen auf. So blieb insbesondere offen, wie das BAG entschieden hätte, wenn statt einer Ersetzungsbefugnis eine echte Wahlschuld vereinbart gewesen wäre, etwa durch die Formulierung: „Die Unterstützungskasse zahlt Ihnen nach Wahl der Kasse entweder eine laufende Rente oder eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der zehnfachen Jahresrente.“ Ebenfalls offen ist, ob die vorbehaltene Ersetzungsbefugnis die Billigung des BAG gefunden hätte, wenn die Kapitalabfindung anhand des tatsächlichen Barwerts hätte berechnet werden sollen. Hier stellt sich die vom BAG schon in anderem Zusammenhang diskutierte Frage, ob auch bei rechnerischer Gleichwertigkeit von Rente und Einmalzahlung der durch die laufende Rente bewirkte lebenslange Schutz für den Mitarbeiter nicht höherwertig ist. Und last but not least ist auch weiterhin das Verhältnis von Kapitalwahlrechten zum Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG ungeklärt. Die Zulässigkeit einer Kapitalwahloption davon abhängig zu machen, ob sie eine logische Sekunde vor oder nach dem Ende des Dienstverhältnisses ausgeübt wird (so aber in Rn. 33 angedeutet), wäre kaum sachgerecht.
AG, Urteil vom 17.01.2023 - 3 AZR 220/22 (LAG Düsseldorf), BeckRS 2023, 2406