Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 25/2022 vom 15.12.2022
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Dies gelte, da im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung ein Postfachinhaber sich eine von Dritten abgegebene Erklärung so zurechnen lasse, als habe er sie selbst abgegeben, wenn er Dritten die Abgabe der Erklärung unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat.
Sachverhalt
Die Beklagte legte gegen ein Versäumnisurteil vom 08.02.2022, das ihrem Prozessbevollmächtigten ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 02.03.2022 zugestellt worden war, am 17.03.2022 Einspruch ein und beantragte nach gerichtlichem Hinweis auf die Verfristung des Einspruchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die sonst stets äußerst zuverlässige Kanzleimitarbeiterin, die den Empfang des Urteils über das beA bestätigt habe, habe das Protokoll sowie das Versäumnisurteil in die Eingangspost für den nächsten Tag (03.03.2022) gelegt, ohne es – entgegen der grundsätzlichen und wiederholten Anweisung – mit dem Eingangsstempel des tatsächlichen Zustellungstages und dem – versehentlich nicht ausgedruckten – Empfangsbekenntnis zu versehen und die entsprechenden Fristen zu notieren. Daraufhin sei der Posteingang am nächsten Tag von einer anderen Mitarbeiterin mit dem Eingangsstempel 03.03.2022 versehen und ausgehend davon die Einspruchsfrist mit Ablauf 17.03.2022 notiert worden. Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf den Einspruch als unzulässig. Die Beklagte legte Berufung ein.
Entscheidung: Mitarbeiterin Wissensvertreterin des Rechtsanwalts
Laut OLG hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
Die Einspruchsfrist sei nicht gewahrt worden. Soweit der Beklagtenvertreter vortrage, am 02.03.2022 habe ihm der Wille zur Entgegennahme des Schriftstücks gefehlt, teile der Senat diese Ansicht nicht. Der Beweis für das Vorliegen des Empfangswillens sei durch das vom Beklagtenvertreter mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Empfangsbekenntnis für den 02.03.2022 erbracht. Sein Vorbringen sei nicht geeignet, diesen Vollbeweis vollständig zu entkräften. Er habe nach seinem eigenen Vortrag seiner Mitarbeiterin die generelle Befugnis eingeräumt, von seiner Signaturkarte unter bestimmten Bedingungen Gebrauch zu machen. Wenn er durch die (rechtswidrige) Überlassung seiner persönlichen Signaturkarte und der Offenlegung der PIN an eine Mitarbeiterin dieser die Möglichkeit eröffne, Signiervorgänge für ihn vorzunehmen, sei gemäß § 166 BGB analog zur Feststellung des Empfangswillens auf die Mitarbeiterin als Wissensvertreterin des Beklagtenvertreters abzustellen. Darauf, dass der Beklagtenvertreter seiner Mitarbeiterin die Verwendung seiner Signaturkarte und seiner PIN im Innenverhältnis – nach eigenen Angaben – nur unter bestimmten Bedingungen gestattet haben wolle, komme es nicht an. Abgesehen davon, dass schon die Weitergabe der Karte und der PIN rechtswidrig gewesen sei, handle es sich bei diesen Bedingungen lediglich um Einschränkungen im Innenverhältnis, die nicht nach außen bekannt geworden seien und auch deswegen keine Wirkung entfalten könnten. Der Beklagten sei nach dem Fristversäumnis auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen, da es vom Beklagtenvertreter verschuldet worden sei.
Praxishinweis
Dass der elektronische Rechtsverkehr für den Anwalt nicht unproblematisch ist, zeigt auch diese Entscheidung des OLG Bremen. Es ist unter keinen Umständen ratsam, § 26 RAVPV zu missachten und den Zugriff auf das anwaltliche beA unter Nutzung des Anwaltszugangs Dritten zu ermöglichen (vgl. in diesem Zusammenhang auch BSG, Urteil vom 14.07.2022 - B 3 KR 2/21 R, m. Anm. Müller RDi 2022, 488).
OLG Bremen, Beschluss vom 20.09.2022 - 3 U 21/22 (LG Bremen), BeckRS 2022, 30984