Interview

„Jutta Courage“
Interview

„Jutta Limbach – ein Leben für die Gerechtigkeit“. So lautet der Titel einer aktuellen Biographie über eine Frau, die als Juristin, Wissenschaftlerin und Politikerin eine beispiellose Karriere gemacht hat. Die verlief nicht immer glatt und gradlinig, weiß die Autorin Gunilla Budde, Professorin für Deutsche und Europäische Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Wir haben nachgefragt.

7. Apr 2025

NJW: Können Sie sich noch an ihre erste Begegnung mit Jutta Limbach erinnern?

Budde: Natürlich! Begegnungen mit Jutta Limbach vergisst man nicht. Es war 2011, ich war damals Vizepräsidentin meiner Universität. Zum Internationalen Frauentag am 8.3.2011 suchte ich nach einer Festrednerin. Kurz nachdem ich 1989 nach Berlin gezogen war – mein Doktorvater hatte einen Ruf an die FU Berlin erhalten – war die Koalition zwischen SPD und Alternativen Liste mit dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper ans Ruder gekommen. Und Momper hatte sage und schreibe acht Frauen in seinen Senat berufen – bis heute ein einmalige Akt. Eine davon war Jutta Limbach. Die trat nun fast jeden Abend vor die Kamera, und bald merkte ich, was für eine ungewöhnliche Frau das ist. Sie schrieb ich also an, um sie für unseren Frauentag zu gewinnen. Sie antwortete schnell und herzlich, hatte aber am 8.3. schon einen vollen Kalender. Da haben wir den Frauentag kurzerhand einen Tag vorgelegt. Sie kam, sprach und beeindruckte alle mit ihrer humorvollen und klugen Rede.

NJW: Und dabei entstand die Idee, eine Biografie über sie zu schreiben?

Budde: Allerdings. Und zwar exakt bei ihrem Besuch am 7.3.2011 in Oldenburg. Nach der Feierstunde gingen wir noch gemeinsam essen, im Restaurant ihres Hotels. Als wir uns gerade verabschieden wollten, kam uns Ralph Giordano entgegen. Er hatte zuvor in einer Buchhandlung seine Memoiren vorgestellt. Die beiden kannten sich, und wir setzten uns zu dritt für einen Absacker an die Hotelbar. Bald frage Giordano: „Frau Limbach, wann schreiben Sie denn Ihre Memoiren?“ Entrüstet antwortete sie: „Sicher nie. Ich traue meinem Gedächtnis nicht.“ Giordano hakte nach: „Schreibt denn jemand wenigstens Ihre Biografie?“ Da dreht sie sich zu mir, zwinkerte und sagte: „Das macht mal Frau Professor Budde.“ Voilá!

NJW: Was waren Ihre maßgeblichen Quellen – Familie, Weggefährten, Akten etc.?

Budde: Als Jutta Limbach 2016 starb, ging ihr Nachlass zunächst ins Staatsarchiv nach Berlin und wenig später ins Staatsarchiv Koblenz. Natürlich zunächst ungeordnet und nicht zugänglich. Nach meinem ersten Gespräch mit Peter Limbach, ihrem Mann, hat er sich dafür stark gemacht, dass ich schnell Akteneinsicht bekam. Überdies habe ich mit ihm viele weitere Interviews geführt, ebenso mit Jutta Limbachs Schwester Brigitte Wagner und den Kindern Caroline, Daniel und Benjamin. Überdies habe ich mit ihren engsten Mitarbeiterinnen gesprochen und mit zahlreichen weiteren Weggefährten. Und ich hatte das Glück, dass Peter Limbach mir ihre elf Tagebücher aus der Berliner Senatszeit anvertraute.

NJW: In gewisser Weise war eine juristische Karriere für Limbach vorgezeichnet. War dieser Berufsweg für sie auch immer klar oder hat sie auch mit anderen geliebäugelt?

Budde: „Vorgezeichnet“ war die juristische Karriere keineswegs. Eigentlich wollte sie lieber politische Journalistin werden. Auch ein Weg in die Politik schwebte ihr bereits früh vor. Doch beides schien ihr zu unsicher, da hat sie erst einmal das Jurastudium begonnen.

NJW: Schon als junge Wissenschaftlerin musste sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Das war damals viel schwieriger als heute. Ist ihr dieser Spagat während ihrer beeindruckenden Karriere gut gelungen?

Budde: Sie selbst hätte wahrscheinlich gesagt, nicht gut genug. Aber in der Berliner Zeit gab es noch begeisterte Großeltern, die helfend einsprangen. Vor allem aber hatte sie mit ihrem Mann Peter einen verlässlichen Partner an ihrer Seite, einen frühen „neuen Vater“, der den Löwenanteil der Familienarbeit übernahm. Und in Bonn, wo die Familie ihren Hauptwohnsitz hatte, gab es dann noch eine Riege von Kindermädchen.

NJW: Wie ist Jutta Limbach zu ihren „Lebensthemen“ gekommen?

Budde: An erster Stelle ist hier die Familie zu nennen. Schon ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann, die als ehemaliges Dienstmädchen im Kaiserreich den ersten Arbeiterinnenverein gründete, war ein großes Vorbild. Auch die Großmutter Elfriede Ryneck, eine der „Mütter“ der Weimarer Verfassung, hat ihr, wie sie in viele Interviews betonte, ihren Lebenskompass mit auf den Weg gegeben. Starke Frauen, die sich früh für die Gleichberechtigung eingesetzt haben, auch über viele Hürden hinweg.

NJW: Nach 18 Jahren an der Hochschule stand eine große berufliche Veränderung an. Wie kam es dazu?

Budde: Momper suchte Frauen für seinen Senat. Kurz zuvor hatte Jutta Limbach für das Präsidentenamt an der FU kandidiert und so auf sich aufmerksam gemacht. Sie war gerade 50 geworden und sah, als man sie fragte, eine Chance, noch mal etwas Neues zu probieren, was sie immer schon interessiert hatte.

NJW: Hat sie sich als Quereinsteigerin in der Politik schnell zurechtgefunden oder dort zunächst „gefremdelt“?

Budde: Leicht haben es die Herren in der Politik allen acht Senatorinnen nicht gemacht. Aber die Quereinsteigerinnen haben sich mit ihrem wöchentlichen „Hexenfrühstück“ einen Raum des Austauschs und der Selbststärkung geschaffen. Liest man Juttas Tagebücher, dann haderte sie schon mal mit der Welt der Politik, aber sehr bald fand sie Gefallen daran und wurde immer souveräner.

NJW: War sie aus Ihrer Sicht ein politisches Talent?

Budde: Aber hallo, auf jeden Fall! Sie agierte klug und besonnen und immer mit einem Schuss Humor und Herzlichkeit. Heute wären wir froh, so ein Talent zu haben.

NJW: Auch der Weg bis an die Spitze des höchsten deutschen Gerichts war alles andere als einfach. Erzählen Sie mal.

Budde: Als es um die Nachfolge des Vizepräsidenten Mahrenholz ging, war der Ruf nach einer Frau für diese Position immer lauter geworden. Man wollte Abschied nehmen von den „Schneewittchensenaten“, die mit einer Frau und sieben Männern besetzt waren. Die SPD war am Zug, einen Vorschlag zu machen. Und man hatte Hertha Däubler-Gmelin versprochen, sie zu nominieren. Das stieß allerdings bei der CDU und vor allem bei Wolfgang Schäuble auf wenig Begeisterung. Es folgte ein langes Hick-Hack innerhalb der SPD, Jutta Limbachs Name kam ins Spiel, aber man hat sie lange bekniet, ihr Interesse zurückzunehmen. Was für ein Ansinnen! Für eine Juristin ist ein Platz im höchsten Gericht des Landes ein Lebenstraum. Natürlich auch für Jutta Limbach. Mit ihr konnte auch die CDU gut leben, und so hat sie sich letztlich durchgesetzt.

NJW: Was war sie denn für eine Präsidentin bzw. was zeichnete den speziellen Limbach-Stil in Karlsruhe aus?

Budde: In den Beratungen des Zweiten Senats stach sie dadurch hervor, dass sie erst einmal ruhig den Diskussionen lauschte, dann selbst einstieg und die unterschiedlichen Positionen knapp zusammenfasste. Sie leitete freundlich, aber bestimmt, ließ Abschweifungen nicht zu und sorgte dafür, dass man schnell auf den Punkt kam. Ihre Kolleginnen und Kollegen düpierte sie mit ihrer Fachkenntnis, ihrer sprachlichen Klarheit und ihrem reichen Bildungsschatz. Der war häufig bei Fällen gefragt, bei denen man auch historische und philosophische Hintergründe mitbedenken musste. Überdies war es ihr wichtig, dass die Urteile des Bundesverfassungsgerichts so klar nach außen vermittelt wurden, dass jede und jeder sie verstand. Transparenz war ihr Zauberwort. Das bewog sie auch, eine Pressesprecherin zu engagieren, die knapp und klar das Urteil erklärte und wie es zustande gekommen war. Jutta Limbach war es wichtig, dass die Deutschen das Gericht als „ihr“ Gericht verstanden. Als Instanz des Rechts für jedermann, an die sich alle wenden können. Ein Gericht „aller Deutschen“ war ihre Losung, auch der Ostdeutschen, die erst lange damit fremdelten.

NJW: Während ihrer Amtszeit wurde sie wegen der Kruzifix-Entscheidung und des Soldaten-sind-Mörder-Urteils extrem angefeindet. Wie ist sie damit umgegangen?

Budde: Souverän wie immer. Beides waren Urteile, die nicht von ihrem Senat gefällt wurden. Aber als Präsidentin musst sie die natürlich nach außen vertreten. Gerade diese beiden Urteile haben ihr klar gemacht, dass das Gericht ein Kommunikationsproblem hat. Dass die Urteile so erklärt werden müssen, dass es auch alle Nicht-Juristen verstehen.

NJW: Noch während ihrer Zeit in Karlsruhe war Limbach auch für das höchste Amt im Staat im Gespräch. Hat es sie sehr enttäuscht, dass daraus nichts wurde?

Budde: Gleich dreimal wurde ihr Name genannt, als es um das Amt des Bundespräsidenten ging. Allerdings auch immer dann, wenn vorher klar war, dass letztlich die Wahl nicht auf sie fallen würde. Das ist ein leider übliches Muster, wenn es um einen weiblichen Kandidaten geht. Aber nein, sehr enttäuscht war sie nicht. Für sie war das Amt der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts das höchste, was sie erreichen wollte. Da konnte sie wirklich etwas bewegen und nicht nur repräsentieren, auch wenn sie das sicherlich mit Bravour gemacht hätte. Ich fürchte, unser Land ist noch längst nicht bereit für den Einzug einer Frau ins Schloss Bellevue.

NJW: Was waren aus Ihrer Sicht die maßgeblichen Gründe bzw. Eigenschaften von Jutta Limbach, dass sie die Bundesrepublik über Jahrzehnte derart prägte und für viele zum Vorbild wurde?

Budde: Ihre Persönlichkeit, ihre Klugheit, ihre Besonnenheit, ihre Herzlichkeit, ihr Humor, ihre Kompromissbereitschaft, ihr Redetalent und der grenzenlose Einsatz für Gerechtigkeit.

NJW: Sie bekam dafür den fast schon liebevollen Spitznamen Jutta Courage. Wie fand sie den?

Budde: Überaus bezaubernd! Bringt er doch auf den Punkt, dass Frauen einen besonderen Schneid brauchen, um in der dünnen Luft der Politik nach oben zu kommen. Aber auch der Titel „Miss Marple in der roten Robe“ gefiel ihr. Schließlich ist auch Agatha Christies Detektivin immer für eine Überraschung gut und keineswegs so naiv, wie sie zu sein scheint. Immer wieder verblüffte Jutta Limbach, wie es ein Journalist schrieb, „dass sie genauso ist, wie sie aussieht, aber entschieden anders, als man denkt.“

Prof. Dr. Gunilla Budde studierte Geschichte an den Universitäten Hamburg und Bielefeld, ihr Staatsexamen legte sie 1986 in Bielefeld ab. Promotion und Habilitation erfolgten 1993 bzw. 2003 am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Nach einer Lehrstuhlvertretung an der Universität Bielefeld lehrt sie seit 2005 deutsche und europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Biografie „Jutta Limbach – Ein Leben für die Gerechtigkeit“ ist im Februar 2025 im Verlag C.H.Beck, zu dem auch die NJW gehört, erschienen.

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Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.