Standpunkt
„Justice Tech“
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Brigitte_Zypries_2013_01_klein
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Die Digitalisierung der Justiz wird dynamisch vorangetrieben – und bleibt doch meilenweit hinter dem zurück, was schon möglich wäre. Von technischer Waffengleichheit mit der Anwaltschaft und Legal-Tech-Dienstleistern kann noch keine Rede sein. Es ist deshalb wichtig, dass alle Marktteilnehmer in einem konstruktiven Dialog bleiben und sehen, was an anderer Stelle passiert. 

4. Nov 2024

Beinahe täglich gibt es Nachrichten, die wie Erfolgsmeldungen klingen: Das Bundesjustizministerium veröffentlicht im Akkord Gesetzentwürfe, zuletzt etwa für ein Regelwerk, das die Übermittlung von elektronischen Behördenakten an Gerichte vereinheitlicht und maschinenlesbar machen soll. Oder zuvor die grundlegende Novelle zur Erprobung von Online-Verfahren im Zivilprozess, für die eigens ein neues 12. Buch in die ZPO eingefügt werden soll. Auch die Justizministerinnen und -minister in den Ländern haben das Thema oben auf ihrer Agenda: „Digitalisierungsprojekte gemeinsam anpacken und Kräfte bündeln“, lautete eine der Losungen bei ihrer letzten Konferenz. Es gibt eine „KI-Vision der Justiz“, eine „KI-Strategie“ soll in Kürze folgen.

In der täglichen Praxis aber ist die elektronische Akte immer noch nicht flächendeckend im Einsatz und ob das überall in der gesetzlich vorgesehenen Frist gelingt, ist ungewiss. Digital über das besondere elektronische Anwaltspostfach zugestellte Dokumente werden in den Gerichten vielerorts ausgedruckt. KI-Tools sind nur vereinzelt im Einsatz und selbst erfolgreich erprobte Tools werden nicht ausgerollt. Oftmals fehlt es sogar immer noch an der technischen Ausstattung für die Durchführung von Videoverhandlungen.

Dass Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderliegen, hat Gründe. Dies Haushaltslage in Bund und Ländern ist angespannt, für die dringend notwendigen Investitionen fehlt das Geld. Auch qualifiziertes IT-Personal ist schwer für die Justiz zu gewinnen. Für IT-Themen sind daher oft Richterinnen und Richter zuständig, die dann für die spruchrichterliche Tätigkeit fehlen – und häufig auch nicht die nötige technische Expertise haben. Die digitale Ausstattung der Gerichte hakt auch daran, dass es bundesweit drei verschiedene Verbünde von Ländern mit eigenen Systemen der Aktenführung gibt. Auch sonst erschwert die Arbeitsteilung zwischen den Ländern die Überwindung von Insellösungen und Inkompatibilitäten.

Doch wo ein Wille ist, sind auch Wege. Das zeigt sich beispielsweise in den diversen Foren, die sich der Justizdigitalisierung angenommen haben. Ende November kommen beispielsweise wieder hochrangige Vertreter und Entscheidungsträger aus Rechtspraxis und Rechtspolitik beim 3. Digital Justice Summit zusammen, dessen Hauptmedienpartner der Verlag C.H.Beck ist, zu dem auch die NJW und diese Plattform gehören. Sein Ziel ist es, die beteiligten Akteure zu vernetzen und den Austausch von Fachwissen und Erfahrungen über bzw. mit Fragen der Digitalisierung der Justiz in Deutschland und Europa zu fördern und vorantreiben. Und wenn alles sehr gut läuft, wird der eine oder die andere Justizminister oder Senatorin vom Thema begeistert und treibt die Digitalisierung in den Gerichten des Bundeslandes voran.

 Thematische Schwerpunkte werden dieses Jahr die Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality Anwendungen im Gerichtssaal bilden. Die Vorträge und Dialoge werden zeigen, welche Anwendungen bereits erfolgreich – auch in anderen Staaten – laufen und auch bei uns einzuführen wären. Deutsche Start-ups im Legal Tech Bereich werden ihre Ideen für die Digitalisierung der Justiz pitchen. Zudem werden Fragen der Governance und Fallstricke des föderalen Systems zu erörtern sein.

 Klar ist: Die weitere Digitalisierung der Justiz ist eine wesentliche Voraussetzung für einen funktionsfähigen Rechtsstaat in den nächsten Jahren. Denn den personellen Aderlass durch den Ruhestand der Babyboomer wird man nicht durch Neueinstellungen auffangen können. Und ein gut funktionierender Rechtsstaat ist in Zeiten schwindenden Vertrauens in staatliche Institutionen wichtiger denn je.

Die 3. Denkfabrik Digital Justice Summit findet statt am 25. und 26. November in Berlin. Das Programm finden Sie hier.

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.

Brigitte Zypries ist Bundesjustiz und Bundeswirtschaftsministerin a.D. sowie Kongresspräsidentin des 3. Digital Justice Summit.