NJW: Schon als Jugendlicher deutete bei Ihnen vieles auf eine Karriere als Musiker hin. Warum haben Sie sich dann doch für Jura entschieden?
Wenner: Ich sah die Alternative gar nicht. Es war klar, dass nach dem Abitur ein Studium kam. Das Ergebnis meiner Erziehung und vielleicht Ausdruck der Zeit Mitte der 1970 er Jahre.
NJW: Hat Sie die Juristerei im gleichen Maße begeistert wie die Musik?
Wenner: Die Begeisterung für Jura kam spät. Jurist wurde ich nicht aus Leidenschaft. Ich wollte in die Pädiatrie, wahrscheinlich, weil mein Vater Kinderarzt war. Dem stand aber der Numerus clausus im Weg. Dass Jura Spaß machen kann, habe ich erst im fünften Semester ansatzweise erkannt. Dass Jura Spaß macht, weil es das Ergebnis präzisen Denkens ist, habe ich erst vollständig nach dem Ersten Examen als Mitarbeiter am Institut für Internationales Privatrecht der Universität in Bonn verstanden. Da war meine Begeisterung für Musik schon über 15 Jahre vorhanden. Bereut habe ich die Entscheidung für Jura allenfalls in der Spätzeit meines Berufs, in der ich zusehends feststellte, dass und wie das Streben nach materiellen Werten Menschen nachteilig beeinflusst. Aber die Begeisterung für Musik war immer größer als die für das Recht.
NJW: Als Wirtschaftsanwalt haben Sie sich unter anderem einen Namen als Berater von Unternehmen im Bereich von Restrukturierung sowie Krise und Insolvenz gemacht. Warum nicht als Syndikus in der Musikbranche?
Wenner: Ich war kein Insolvenzberater. Ich habe (oft) aus Insolvenzen stammende – sehr große und schwierige – Zivilverfahren geführt oder begleitet. Und ich habe kollisionsrechtliche Fragestellungen bearbeitet. Oft solche aus dem Internationalen Insolvenzrecht, in dessen Bereich ich ja auch viel publiziert habe. Mein Anspruch war stets, meine Aufgaben mit wissenschaftlicher Präzision zu erfüllen. Ein Leben als Syndikus, einerlei in welchem Bereich, hätte das nicht ermöglicht und kam für mich nie in Betracht. Ich bin auch nicht sicher, ob ein Syndikus aus der Musikbranche mehr zum Musik machen kommt als ein in einer Kanzlei tätiger Jurist.
NJW: Welche Rolle spielte in der Zeit die Musik in Ihrem Leben?
Wenner: Meist eine sehr zurückgedrängte Rolle. Ich habe wenig Musik gehört, um möglichst unbeeinflusst Musik schreiben zu können. Ich habe aber auch wenig Musik geschrieben und gemacht, weil mich die Arbeit oft sehr in Anspruch genommen hat. Es war nicht unüblich, über viele Monate ohne ein einziges freies Wochenende zu arbeiten. Und der Arbeitstag ging oft bis in die Nacht. Aber Musik war immer da. Ich habe regelmäßig Instrumente gespielt, es sind immer wieder Lieder entstanden, und ich habe in den letzten fünf Jahren meiner beruflichen Tätigkeit immer wieder Studioaufnahmen gemacht. Mehr Musik als Jura gab es lediglich in meiner Zeit als Mitarbeiter am Institut für IPR der Universität Bonn. Dort hatte ich einen 20-Stunden-Job. Der ließ mir Zeit, in der ich Songs geschrieben und oft in einem Tonstudio aufgenommen habe. Gelitten hat damals allerdings meine Promotionsarbeit. Diese musste ich dann zu Beginn meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt fertigstellen.
NJW: Es heißt, die Musik sei für Sie ein Tagebuch Ihrer Erlebnisse gewesen, die Sie mit Gitarre oder Klavier festgehalten hätten. Das stellen wir uns mit Blick auf Ihre anwaltliche Tätigkeit schwierig vor.
Wenner: Meine Erlebnisse waren ja überwiegend juristischer Natur. So ein Tagebuch existiert nicht. Aber es gab in der beruflichen Zeit natürlich auch private Ereignisse, aus denen sich manchmal Lieder ergaben. Oft aus Zeitgründen allerdings auch lediglich eine Skizze. Deshalb gibt es eine Reihe von Songs, die ich vor 30 Jahren begonnen, jetzt aber erst zu Ende geschrieben habe. Und unzählige Skizzen, aus denen noch kein Lied geworden ist.
NJW: War Ihr „Doppelleben“ in Ihrer Kanzlei oder Ihren Mandanten bekannt? Haben Sie etwa im Rahmen von Kanzleifeierlichkeiten immer mal wieder performed?
Wenner: Es gab in der Kanzlei und in der Mandantschaft einige, denen meine musikalische Tätigkeit (mehr oder weniger) bekannt war. Als Doppelleben habe ich es nicht empfunden. Bei Kanzleifeiern bin ich nicht aufgetreten. Was Auftritte angeht, bin ich zurückhaltend.
NJW: Im Jahr 2020 sind Sie bei Görg ausgestiegen, um sich nur noch der Musik zu widmen. Gab es dafür einen bestimmten Anlass?
Wenner: Anlass für den Ausstieg waren im Wesentlichen gesundheitliche Gründe. Allerdings wurde zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Songs fertig, an denen ich über Jahre hinweg in einem Studio gearbeitet hatte. Ein Freund spielte diese einem Verleger vor. Ihm gefielen diese Aufnahmen. So kam es, dass mir unmittelbar nach dem Ausstieg aus der Kanzlei mein erster Plattenvertrag angeboten wurde. Und so entstand aus diesen Aufnahmen mein erstes Album. Ein schöner Zufall.
NJW: Dann stimmt es also, wenn es über Sie heißt, dass Sie erst seit dieser Zeit „richtig“ Musik machen?
Wenner: Das ist so, und ich genieße es. Der jetzige Lebensabschnitt ist von Musik erfüllt. Ich habe in fünf Jahren drei Alben veröffentlicht. Erst nach meinem Ausstieg aus dem Beruf habe ich viele Lieder geschrieben oder fertiggestellt, Kontakte zu professionellen Musikern und Produzenten geknüpft, unzählige Stunden in Tonstudios verbracht und ein eigenes Tonstudio aufgebaut. Bei mir hat sich also nach der Tätigkeit als Rechtsanwalt eine weitere umfängliche Betätigung ergeben. Und dies auf einem völlig anderen Gebiet als der Juristerei. Ich habe in diesen fünf Jahren sehr viel gelernt. Über das Musizieren, über das Komponieren und über die Studiotechnik. Egal, wo man hinguckt, hinter jedem Türchen verbirgt sich eine komplexe und nie langweilige Welt. Dafür, dass ich im Leben kein „One Trick Pony“ war, bin ich übrigens sehr dankbar.
NJW: Ihr Wechsel aus der Anwaltschaft zur Musik erfolgte ja zu einem relativ späten Zeitpunkt. Bedauern Sie das, oder ist man für Musik tatsächlich nie zu alt?
Wenner: Zu alt, um Musik zu machen, ist man erst, wenn Geist und Körper das nicht mehr können. Aber natürlich ändert sich Einiges im Laufe der Zeit. In der (guten) Popmusik entwickeln sich viele Songideen aus emotionalen Erlebnissen. Und da gibt es wahrscheinlich in jungen Jahren mehr Auf und Ab’s als im späteren Leben. Man schreibt also wahrscheinlich anders. Und weniger. Außerdem tickt die biologische Uhr. Jedenfalls ich merke beim Spielen eines Instruments, dass meine Gelenke nicht mehr 20 sind. Dennoch: Hätte ich geahnt, dass meine Musik so viel Anklang findet, hätte ich die juristische Tätigkeit wohl früher aufgegeben.
NJW: Wenn ein angehender Jurist oder eine junge Kollegin Sie fragt, ob er oder sie ein Hobby zum Beruf machen soll, was würden Sie ihnen raten?
Wenner: Wer sein Hobby zum Beruf macht, verliert sein Hobby. Wer heutzutage Musik zu seinem Beruf macht, verdient damit wahrscheinlich kein Geld.
Dr. Christian Wenner studierte Jura in Marburg und Bonn. Nach dem Ersten Staatsexamen war er Mitarbeiter am Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Bonn, von der er mit einer rechtsvergleichenden Arbeit zum Rang von Grundpfandrechten promoviert wurde. Als Wirtschaftsanwalt war er einer der Gründungspartner der 1996 aus der Sozietät Schlütter, Lüer & Görg entstandenen Wirtschaftskanzlei Görg. Seit 2020 widmet Wenner sich ausschließlich seiner Musik. Seine drei Alben haben auch international Aufsehen erregt.
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