Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.
Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 20/2022 vom 29.09.2022
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Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hauses. Im Zuge eines Ausbaus wurde 1999/2000 ein neues Dachgeschoss aufgesetzt und die von der Beklagten, der Tochter der Klägerin, genutzte Wohnung geschaffen. Hierfür nahmen die Klägerin und die Beklagte zwei Darlehen über insgesamt 200.000 DM auf, die im Wesentlichen von der Beklagten alleine getilgt wurden. Darüber hinaus zahlte die Beklagte die hälftigen Kosten für die Instandhaltung und –setzung sowie die Betriebskosten der gesamten Immobilie. Beide Darlehen sind seit 2015 vollständig getilgt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 14.10.2019 wurde die Beklagte zur Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung in Höhe von 800 EUR, beginnend ab Oktober 2019 aufgefordert.
Die Klägerin meint, sie habe, solange die Beklagte das Darlehen zurückgeführt habe, kein Nutzungsentgelt verlangt. Diese Geschäftsgrundlage sei entfallen. Damit schulde die Beklagte Nutzungsentgelt in Höhe der ortsüblichen Miete, bis sie die Wohnung räumt und herausgibt.
Die Beklagte meint, die Klägerin habe sie vor dem Umbau gefragt, ob sie sich vorstellen könne, das Haus aufzustocken. Dabei sei klar gewesen, dass die Umbaukosten durch die Beklagte zu übernehmen gewesen seien und diese dann das Obergeschoss dauerhaft kostenfrei bewohnen könne. Es sei zu keinem Zeitpunkt davon die Rede gewesen, dass die Beklagte Miete zahlen müsse.
Es habe eine grundlegende Vereinbarung gegeben, dass die Beklagte sich dauerhaft Wohnraum durch Zahlung der Darlehen für den Umbau schaffe und diesen fortlaufend habe nutzen können, während die Klägerin den Vorteil gehabt habe, dauerhaft in einem vollständig sanierten Haus leben zu können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe kein Nutzungsentschädigungsanspruch zu. Ein mietvertraglicher Anspruch bestehe nicht, da die Parteien unstreitig keinen Mietvertrag geschlossen hätten. Ansprüche aus § 987 BGB scheiterten daran, dass der Beklagten ein Recht zum Besitz aus § 986 BGB zustehe. Nach Anhörung der Parteien und Vernehmung der Zeugen sei das Gericht davon überzeugt, dass die Parteien eine schuldrechtliche Abrede dahingehend getroffen hätten, dass der Beklagten das Wohnungseigentum an der Dachgeschosswohnung habe übertragen werden sollen. Damit sei der Beklagten nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133,157 BGB) jedenfalls auch ein lebenslanges kostenloses Wohnrecht eingeräumt worden. Einer Wirksamkeit der schuldrechtlichen Abrede über die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums stehe § 311b BGB i.V.m. § 125 BGB nicht entgegen. Es sei der Klägerin nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Formnichtigkeit zu berufen. Es liege ein Fall der Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens vor.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
Entscheidung
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Herausgabe der von ihr genutzten Räume aus § 985 BGB, da der Beklagten ein Recht zum Besitz zustehe.
Das Besitzrecht der Beklagten beruhe aber nicht auf einem lebenslangen unentgeltlichen Wohnrecht. Vielmehr bestehe aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Absprachen zwischen ihnen ein Mietverhältnis.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts könne aus den Zeugenaussagen nicht der Rückschluss gezogen werden, zwischen den Parteien sei vereinbart gewesen, dass die Klägerin der Beklagten das Eigentum an der Wohnung bei Tilgung der Darlehen habe verschaffen wollen und ihr damit zugleich ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für die Beklagte eingeräumt werden sollte.
Es bestehe allerdings kein Grund, zu diesem Punkt die Beweisaufnahme zu wiederholen. Denn diese könne mit anderem Ergebnis verwertet werden.
Dass der Senat aufgrund der Aussagen der Zeugen die Vereinbarung eines lebenslangen unentgeltlichen Wohnrechts nicht für erwiesen halte und diese anders bewerte als das Landgericht, verhelfe der Berufung der Klägerin nicht zum Erfolg.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn zwischen den Parteien (nur) ein unbefristetes und damit jederzeit kündbares Leihverhältnis über die Wohnung vereinbart worden wäre.
Es liege aber kein Leihverhältnis, sondern ein Mietverhältnis vor.
Zwar haben beide Parteien sich darauf berufen, dass es keinen Mietvertrag zwischen ihnen gegeben habe. Dass sie ihre Vereinbarungen selbst rechtlich nicht als Mietvertrag angesehen haben, stehe einer Einordnung der getroffenen Absprachen als Mietvertrag allerdings nicht entgegen.
Die Klägerin habe behauptet, es habe keine Vereinbarung dahingehend gegeben, dass die Beklagte den Wohnraum fortlaufend ohne Entgelt nutzen können sollte. Sie habe aber ebenso vorgetragen, dass ab ca. 2010 vereinbart gewesen sei, dass die künftigen Kosten im Hinblick auf die Instandhaltung des Gebäudes und die laufenden Betriebskosten hälftig geteilt würden. Die Vereinbarung habe gelautet: „Solange du das Darlehen zahlst, musst du keine Miete zahlen“. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht habe die Klägerin zum Darlehen wörtlich gesagt: „Wenn das konkret abgezahlt ist, soll sich meine Tochter auch weiterhin an den Kosten des Hauses beteiligen“. Befragt zu den Nebenkosten habe sie weiter ausgeführt, dass diese bis zum Einzug des Lebensgefährten hälftig geteilt und dann gedrittelt worden seien; zur Treppe habe die Beklagte die Hälfte dazu gegeben, das Schuppendach habe sie alleine bezahlt.
Die Beklagte habe vorgetragen, nach dem Umbau hätten sich beide die Kosten hälftig geteilt. Es habe eine Vereinbarung gegeben, dass sich die Beklagte an sämtlichen Instandhaltungskosten des Gebäudes hälftig beteilige, ebenso wie an den Betriebskosten.
Die Parteien haben somit übereinstimmend vorgetragen, dass es vor dem Umbau und dem Einzug der Beklagten in die Wohnung eine Vereinbarung der Parteien gab, nach der die Beklagte die Darlehensraten zahlen sollte und sich darüber hinaus dauerhaft anteilig an den Betriebskosten der gesamten Liegenschaft und an den Instandhaltungs- bzw. sonstigen Kosten des gesamten Hauses beteiligen sollte.
Hierin liege die Vereinbarung einer Überlassung des Wohnraumes gegen die Leistung einer Miete im Sinne von § 535 Abs. 2 BGB. Miete könne jede Geld- oder geldwerte Leistung sein, etwa auch die Übernahme von Lasten oder auch einmalige Zahlungen, es müssen nicht notwendig wiederkehrende nach Zeitabschnitten bemessene Leistungen sein. Die geldwerte Leistung sei vorliegend in der Übernahme der teilweisen Kredittilgung, der hälftigen Instandhaltuns- und –setzungskosten und den Betriebskosten zu sehen. Zwar könnte die Tragung von Reparaturkosten auch für einen Leihvertrag sprechen, jedoch habe die Beklagte nicht nur die Reparaturkosten auf den von ihr bewohnten Teil des Hauses, sondern bzgl. der gesamten Immobile übernommen. Dies sei zusammen mit der Verpflichtung, im Innenverhältnis die Darlehensschuld der Klägerin gegenüber der Bank zu übernehmen, als Gegenleistung für die Wohnungsnutzung anzusehen.
Bestehe zwischen den Parteien also eine mietvertragliche Vereinbarung, die der Beklagten ein Recht zum Besitz gewährt, komme ein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB nicht in Betracht. Aus demselben Grund könne die Klägerin auch keine Nutzungsersatzansprüche aus §§ 987 ff BGB geltend machen. Diese scheitern ebenfalls am Besitzrecht der Beklagten.
Ein mietvertraglicher Räumungsanspruch bestehe ebenfalls nicht, da das Mietverhältnis nicht gekündigt sei.
Ein mietvertraglicher Zahlungsanspruch bestehe ebenfalls nicht. Das Entgelt für die Gebrauchsüberlassung sei die Abzahlung des Darlehens und die anteiligen Investitions- und Betriebskosten.
Praxishinweis
Der Entscheidung ist zuzustimmen.
Zwar kann allein aus der Übernahme der anfallenden Neben- und Reparaturkosten durch den Nutzer des Wohnraums ohne nähere Absprachen hierzu nicht auf eine Gegenleistung im Sinne des § 535 Abs. 1 BGB zur Gewährung des Mietgebrauchs an dem Wohnraum geschlossen werden (BGH, Urteil vom 20.09.2017 – VIII ZR 279/16, BeckRS 2017, 128292); hier gingen die Leistungen der Mieterin jedoch weiter, denn sie trug auch anteilige Reparaturkosten am Gesamtobjekt, die sonst allein vom Eigentümer (Dach und Fach) zu tragen gewesen wären. Da auch die Gegenleistung (Miete) nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen werden muss (BGH, Urteil vom 05.11.1997 – VIII ZR 55/97, BeckRS 9998, 15633), war im vorliegenden Fall von einem Mietverhältnis auszugehen. Sofern sich jedoch die Mieterin künftig weigern sollte, die Instandsetzungskosten anteilig – wie zwischen den Parteien vereinbart – zu übernehmen, könnte die Vermieterin das Mietverhältnis kündigen.
OLG Brandenburg, Urteil vom 29.03.2022 - 3 U 79/21 (LG Cottbus), BeckRS 2022, 8758