Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 11/2021 vom 15.09.2021
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Sachverhalt
Die Betroffene ist geistig behindert und steht seit 1992 unter Betreuung. Seit 2005 ist ihre Schwester als ehrenamtliche Betreuerin für „alle Angelegenheiten incl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post“ eingesetzt.
Mit dem Tode ihres Vaters wurde die Betroffene mit einem Erbteil von 1/11 zur nicht befreiten Vorerbin ihres Vaters. Insofern war die Mutter der Betroffenen zur Nacherbin eingesetzt, die Betroffene und deren Schwester zu Ersatzerbinnen.
Die Mutter der Betroffenen verstarb am 19.03.2016. Insoweit wurde die Betroffene mit einem Erbteil von 1/5 ebenfalls zur nicht befreiten Vorerbin nach ihrer Mutter. Nacherbin nach dem Tod der Betroffenen ist deren Schwester G.
Für die jeweils der Betroffenen zugewandten Erbteile wurde dauerhafte Testamentsvollstreckung angeordnet. Mit dem Tode der Mutter wurde die Betreuerin zugleich Testamentsvollstreckerin. Für die Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber der Testamentsvollstreckerin wurde ein Ergänzungsbetreuer bestellt.
Mit Kostenansatz der Kostenbeamtin vom 09.10.2018 wurde gegenüber der Betroffenen als Kostenschuldnerin ein Betrag von 937,96 EUR geltend gemacht. Dieser umfasst für die Jahre 2017 und 2018 jeweils eine Gebühr nach Nr. 11101 KV GNotKG aus einem Geschäftswert von 185.979,02 EUR bzw. 185.969,60 EUR.
Hiergegen erhob die Betreuerin Erinnerung und machte geltend, das Vermögen der Betroffenen bestehe im Wesentlichen aus der Erbschaft nach der verstorbenen Mutter. Über diesen Erbteil dürfe sie als Testamentsvollstreckerin jedoch nicht verfügen. Die Erträge aus dem Nachlass seien nur für die persönlichen Bedürfnisse ihrer Schwester - der Betroffenen - zu verwenden. Die Kostenbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte die Sache dem Richter vor. Dieser gab der Erinnerung statt und hob den Kostenansatz vom 09.10.2018 vollständig auf.
Gegen diesen Beschluss legte der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse mit Schreiben vom 18.03.2020 Beschwerde ein und beantragte, diesen aufzuheben und den angefochtenen Kostenansatz wiederherzustellen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde insoweit stattgegeben, als es den Kostenansatz des Amtsgerichts vom 09.10.2018 hinsichtlich der erhobenen Gebühren aus Nr. 11101 KV GNotKG i.H.v. jeweils 380 EUR wiederhergestellt hat. Insoweit hat es die Erinnerung der Betroffenen zurückgewiesen.
Die Betreuerin der Betroffenen hat gegen den vorbenannten Beschluss die zugelassene weitere Beschwerde erhoben.
Entscheidung: Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen, weil für die Bemessung der Betreuergebühr auch das Vermögen des Betroffenen zu berücksichtigen, das dieser im Wege eines sog. Behindertentestaments als nicht befreiter Vorerbe erlangt hat und das einer dauerhaften Testamentsvollstreckung unterliegt.
Zum maßgeblichen Reinvermögen des Betroffenen gehört grundsätzlich auch der Nachlass, der ihm als Vorerbe zugefallen ist (vgl. Korintenberg/Fackelmann, GNotKG, 21. Aufl., KV Vorbem. 1.1 Rn. 12). Der Vorerbe ist „echter Erbe“ und wird - unabhängig von einer Befreiung nach § 2136 BGB - Inhaber der Vermögenssubstanz des Nachlasses (vgl. BeckOK-BGB/Litzenburger, § 2100 Rn. 41 [Stand: 01.05.2021]; MüKo-BGB/Lieder, 8. Aufl., § 2100 Rn. 31). Dies gilt auch bei einem sog. Behindertentestament. Dieses ist in der überwiegend und auch hier praktizierten Gestaltung - der sog. Erbschaftslösung - dadurch gekennzeichnet, dass der behinderte Abkömmling zum nicht befreiten Mitvorerben eingesetzt wird, und zwar sowohl neben dem Längerlebenden beim Tod des zuerst versterbenden Elternteils als auch neben den gesunden Abkömmlingen beim Tod des Längerlebenden (vgl. BeckOK-BGB/Litzenburger, aaO. Rn. 20). Neben der nicht befreiten Vorerbschaft und einem Vorausvermächtnis für den Behinderten ist hinsichtlich seines Erbteils eine mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehene Dauertestamentsvollstreckung angeordnet worden.
Ob der Nachlass des Betroffenen auch in einer solchen Konstellation zum gebührenrechtlich maßgeblichen Vermögen gehört, ist in der obergerichtlichen Judikatur und im Schrifttum lebhaft umstritten. Eine höchstrichterliche Entscheidung dieser Frage existiert nicht und kann in dem für Gerichtsgebühren nach dem GNotKG vorgesehenen Instanzenzug auch nicht herbeigeführt werden. Die wünschenswerte Vereinheitlichung ist daher dem Gesetzgeber vorbehalten.
Ein Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums ist der Auffassung, in Fällen des Behindertentestaments könne der Nachlass bei der Ermittlung des Reinvermögens als Grundlage der gerichtlichen Jahresgebühr für eine - zumindest auch - die Vermögenssorge umfassende Dauerbetreuung nicht werterhöhend berücksichtigt werden (vgl. OLG München FGPrax 2019, 89; OLG Bamberg BeckRS 2019, 44347; OLG Köln ZEV 2019, 704; OLG Zweibrücken ZEV 2021, 184; Korintenberg/Fackelmann, aaO., KV 11101 Rn. 37a; Jürgens/Luther, Betreuungsrecht, 6. Aufl., KV GNotKG, Teil 1 Rn. 4 f.; Hofer FamRZ 2020, 950).
Zwar komme es für die Bemessung des Geschäftswerts nicht darauf an, ob das Vermögen des Betreuten verwertbar oder verfügbar sei, wohl aber darauf, ob sich die Betreuung auf das gesamte Vermögen des Betreuten oder nur auf einen Teil desselben beziehe. Die Beschränkung des Verfahrenswerts in Fällen der Dauerbetreuung mit unmittelbarem Bezug auf lediglich einen Teil des Betreutenvermögens gründe in der Verknüpfung zwischen der Höhe des von der Maßnahme betroffenen Vermögens und dem Bearbeitungsaufwand sowie dem Haftungsrisiko des Fiskus. Eine solche Beschränkung auf einen Teil des Vermögens könne sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Einschränkung im Bestellungsbeschluss, sondern auch „aus den Verhältnissen“ ergeben. Das dem Betreuten über ein sog. Behindertentestament zugewandte, der Dauerverwaltung durch einen Testamentsvollstrecker unterliegende Vermögen falle nicht unter die vom Betreuungsgericht zu kontrollierende Verwaltungstätigkeit des Betreuers, sondern der des Testamentsvollstreckers. Gegenstand der Betreuung im Bereich der Vermögenssorge sei wegen dieser Zuständigkeit nicht unmittelbar das der Testamentsvollstreckung unterliegende Nachlassvermögen, sondern lediglich die Ausübung der Kontrollrechte (§ 2218 BGB) und ggf. die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Testamentsvollstrecker (§§ 2217 Abs. 1, 2219 Abs. 1 BGB).
Der Senat folgt jedoch der Gegenansicht (vgl. OLG Hamm FGPrax 2020, 293 und FGPrax 2015, 278; OLG Celle NJOZ 2021, 680 und NZFam 2017, 327; OLG Stuttgart FGPrax 2020, 195; OLG Karlsruhe ZEV 2021, 186; OLG Rostock BeckRS 2021, 13095; Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Aufl., KV Vorbem. 1.1 Rn. 3; Sikora, ZEV 2020, 563, 564).
Auszugehen ist vom Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung. Sowohl Vorbem. 1.1 Abs. 1 als auch Nr. 11101 Anm. Abs. 1 Satz 1 KV GNotKG sprechen von „sein Vermögen“ bzw. vom Vermögen „des von der Maßnahme Betroffenen“. Danach kommt es eindeutig nur auf die zivilrechtliche Zuordnung des Nachlasses zum Vermögen des Betreuten an. Einzige gesetzlich vorgesehene Einschränkung ist das in § 90 Abs. 2 Nummer 8 SGB XII genannte Schonvermögen. Darin liegt ein Unterschied zu § 1836c Nr. 2 BGB, der umfassend auf sozialhilferechtliche Regelungen verweist und auf den in gebührenrechtlichem Kontext wiederum (nur) Nr. 31015 KV GNotKG für die an den Verfahrenspfleger gezahlten Beträge ausdrücklich Bezug nimmt. Schon dies legt nahe, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der in der Kautelarpraxis üblichen Behindertentestamente hinsichtlich der Jahresgebühr nach Nr. 11101 KV GNotKG keinen eigenständigen Vermögensbegriff einführen wollte.
Auch Nr. 11101 Anm. Abs. 1 Satz 2 KV GNotKG rechtfertigt keine andere Sichtweise. Diese Regelung betrifft eine Betreuung, deren Gegenstand nur ein Teil des Vermögens des Betroffenen ist. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Vorgängerregelung des § 92 Abs. 1 Satz 3 KostO übernommen (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 195). Diese wiederum war mit Wirkung zum 31.12.2006 eingeführt worden (BGBl. I 2006, 3416). Der Gesetzgeber wollte hiermit eine seinerzeit in Teilen der Literatur befürwortete „differenzierende Auslegung“ aufgreifen (vgl. BT-Drs. 16/3038, S. 53). Die in der Gesetzesbegründung zitierte Literaturfundstelle differenzierte nach drei Bewertungsgruppen, gelangte hierbei jedoch ebenfalls zur Berücksichtigung des der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlasses.
Die Ansicht, das der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegende ererbte Vermögen sei vom Aufgabenkreis des für die (unbeschränkte) Vermögenssorge bestellten Betreuers nicht erfasst, greift zu kurz und überzeugt nicht. Dass der Betreuer wegen der angeordneten Testamentsvollstreckung keinen unmittelbaren Zugriff auf das ererbte Vermögen hat und der Testamentsvollstrecker zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Vermögens verpflichtet ist, ändert nichts an der Tatsache, dass das ererbte Vermögen dem Betreuten zusteht und dementsprechend auch der Vermögenssorge des insoweit bestellten Betreuers unterliegt. Die vom Betreuer wahrzunehmende Vermögenssorge umfasst in diesem Fall als Kernaufgabe die Kontrolle der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers. Der Betreuer kann als Vertreter des Betreuten auch beantragen, dass einzelne Anordnungen der Erblasser betreffend die Testamentsvollstreckung außer Kraft gesetzt werden. Der Testamentsvollstrecker hat auf Verlangen über das einer Dauerverwaltung unterliegende Vermögen jährlich Rechnung zu legen. Die Einhaltung und ggf. Durchsetzung dieser Verpflichtung hat einen unmittelbaren Bezug zum Nachlassvermögen und obliegt dem Betreuer. Sind Betreuerin und Testamentsvollstreckerin - wie im vorliegenden Fall - personenidentisch, so kommt für die Wahrnehmung der zuvor genannten Rechte die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gemäß § 1899 Abs. 1 BGB in Betracht. Letzteres wird durch die Gebühr nach Nr. 11101 KV GNotKG mit abgegolten.
Damit wird auch dem verfassungsrechtlichen Gebot entsprochen, dass die Höhe der Gebühr für Dauerbetreuungen, die zumindest auch Vermögensangelegenheiten betreffen, durch den Bearbeitungsaufwand des Gerichts und das Haftungsrisiko des Staates sachlich gerechtfertigt sein muss (vgl. BVerfG NJW 2006, 2246). Das Betreuungsgericht hat in der hier vorliegenden Konstellation insbesondere zu prüfen, ob die gegenüber der Testamentsvollstreckerin bestehenden Kontrollrechte ordnungsgemäß wahrgenommen werden (vgl. auch LG Augsburg, ZEV 2017, 525 Rn. 21).
Schließlich gebietet das formalisierte Kostenansatzverfahren ein für den Kostenbeamten praktikabel und einfach zu handhabendes Gebührenrecht. Dies wäre in Frage gestellt, wenn der Kostenbeamte nicht allein auf das Vorhandensein von Vermögenswerten abzustellen hätte, sondern darüber hinaus auch noch eine - im Einzelfall durchaus komplizierte und mit wertenden Überlegungen verbundene - rechtliche Prüfung vornehmen müsste, inwieweit der Kostenschuldner über das ihm zustehende Vermögen auch noch verfügen kann. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob der Betroffene einen Anspruch darauf hat, dass der Testamentsvollstrecker im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung ihm die Geldbeträge zur Deckung der Gerichtsgebühr zur Verfügung stellt. Sachlich kann darüber nur im Rahmen einer Auslegung des Testaments/Erbvertrags der Erblasser entschieden werden. Im Kostenansatzverfahren kann eine solche Entscheidung nicht getroffen werden (vgl. OLG Hamm, aaO.).
Praxishinweis
Die vom Senat des OLG Nürnberg entschiedene Streitfrage entwickelt sich langsam, aber sicher zu einem kostenrechtlichen Flickenteppich: je nach Wohnsitz des Betroffenen und Begünstigten eines sog. Behindertentestaments fallen für die Betreuung erheblich unterschiedliche Gebühren an. Das ist für die Betroffenen äußerst ärgerlich. Der Ruf des Senats nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers ist nachvollziehbar, doch wird sich die Praxis auf dieses kostenrechtliche Stückwerk einzustellen haben.
Dem Senat ist dabei zuzugestehen, dass der Wortlaut der Gebührenvorschrift keine Anhaltspunkte für einen eigenständigen, von § 1922 BGB abweichenden Vermögensbegriff bietet. Zur Zeit der Neufassung des GNotKG im Jahre 2013 war das Behindertentestament höchstrichterlich anerkannt, so dass davon auszugehen ist, dass er hierfür – wie in Anm. 1 zu Nr. 11101 KV GNotKG mit seinem Verweis auf § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII bezüglich des Hausgrundstücks - besondere kostenrechtliche Bestimmungen eingeführt hätte, wenn er es gewollt hätte. Schließlich spricht für die Auffassung des Senats, dass bei einem Behindertentestament sich die Aufgabe sowohl des Betreuers als auch des diesen kontrollierenden Amtsgerichts, die Amtsausübung des Testamentsvollstreckers zu überwachen, auf das gesamte ererbte Vermögen des hierdurch begünstigten Erben bezieht. Hinzukommt, dass die Gegenauffassung einen in der Praxis schwer zu handhabenden Wertungsspielraum eröffnet, der einen schnellen Kostenansatz verhindern kann.
Es ist äußerst bedauerlich, dass § 81 Abs. 3 S. 3 GNotKG eine bundeseinheitliche, höchstrichterliche Entscheidung dieser Kostenfrage verhindert.
Umso wichtiger ist es deshalb, in Behindertentestamenten eine Klausel aufzunehmen, wonach die Betreuungskosten nicht dem Nachlass(anteil) des Betroffenen entnommen werden dürfen (vgl. BGH BeckRS 2017, 103144 mit Anmerkung Litzenburger, FD-ErbR 2017, 387934).
OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.08.2021 - 8 W 1738/21, BeckRS 2021, 22274