Anmerkung von
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Sebastian Braun, LEX MEDICORUM, Leipzig
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 02/2022 vom 04.02.2022
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Sachverhalt
Dem Verfahren lag eine Abmahnung der Klägerin zu Grunde, welche die Berufsaufsicht über die Zahnärzte in ihrem Bezirk ausübt und den Internetauftritt des Beklagten als irreführend ansah. Der Beklagte, ein niedergelassener Zahnarzt, erwarb in Österreich einen Masterabschluss mit dem Titel “Master of Science Kieferorthopädie” (MSc). Seit dem Abschluss erbrachte er kieferorthopädische Leistungen. Eine Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie absolvierte er nicht. Auf seiner Internetseite warb er mit der Bezeichnung “Praxis für Kieferorthopädie”, ohne seine fehlende Fachzahnarztausbildung offenzulegen.
Entscheidung
Der BGH stellt mit seiner Entscheidung fest, dass die im Internetauftritt gewählte Bezeichnung ”Praxis für Kieferorthopädie” als irreführend anzusehen sei und die Fehlvorstellung hervorrufen würde, dass der Beklagte Fachzahnarzt für Kieferorthopädie sei. Ihm sei es außerdem zumutbar gewesen dieser Vorstellung durch Aufklärung entgegenzuwirken. Dem Durchschnittsverbraucher seien Facharzt- und Fachzahnarztbezeichnungen zwar nicht fremd, er kenne auch den Begriff des “Fachzahnarztes für Kieferorthopädie” und noch mehr die gebräuchliche Abkürzung “Kieferorthopäde”. Darunter stelle sich der Verbraucher einen Zahnarzt vor, der eine anerkannte Weiterbildung im Fachgebiet Kieferorthopädie habe. Das Gericht unterstrich, dass der Durchschnittsverbraucher jedoch grundsätzlich nicht wisse, dass das Verbot der Tätigkeit außerhalb des Fachgebiets für Ärzte, nicht für Zahnärzte gelte und kieferorthopädische Leistungen daher auch durch approbierte Zahnärzte erbracht werden können, die sich nicht als „Kieferorthopäde“ oder „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ bezeichnen dürfen. Aufgrund der streitgegenständlichen Angabe “Kieferorthopädie” gelängen somit die angesprochenen Verkehrskreise zu der Vorstellung, dass der Beklagte eine absolvierte Weiterbildung in dem Fachgebiet Kieferorthopädie habe. Auch wenn die vom Beklagten gewählte Bezeichnung als objektiv zutreffend anzusehen ist, kann diese, nach Wertung des BGH, aufgrund der fehlenden Kenntnis des zahnärztlichen Berufsrechts zu einem falschen Verständnis führen.
Ferner unterstreicht das Gericht, dass es dem Beklagten grundsätzlich weiterhin möglich sein muss, mit dem ihm erlaubten Leistungen zu werben. Insoweit muss er jedoch einer Irreführung durch entsprechende Hinweise entgegenwirken und deutliche Hinweise auf die Art seiner Zusatzqualifikationen veröffentlichen.
Praxishinweis
Die Angabe von Spezialisierungen oder Zusatzbezeichnungen ist ein „Dauerbrenner“, der regelmäßig Gegenstand von berufs- und werberechtlichen Entscheidungen ist. Einmal mehr wird höchstrichterlich bekräftigt, dass Bezeichnungen, die eine erhöhte Expertise in einem bestimmten Gebiet suggerieren, sorgfältig zu wählen sind und ggf. sogar unzulässig sein können. Der BGH schätzt die Rechtslage vorliegend anders ein, als es noch das OLG Düsseldorf in der Vorinstanz getan hat. Dieses sah die gleiche Fallgestaltung als nicht irreführend im Sinne von § 5 I 2 UWG an, da die von der Internetwerbung angesprochenen Verkehrskreise die beanstandeten Angaben dahingehend verstünden, dass in der Zahnarztpraxis kieferorthopädische Behandlungen angeboten werden und der Zahnarzt über einen entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkt verfüge. In der Beratungspraxis wird sich diese Auffassung jedoch nach der vorliegenden Entscheidung wohl nicht mehr durchsetzen.
Auch wenn Werbung und Außendarstellung für Zahnarztpraxen grundsätzlich möglich ist, bestehen regelmäßig Hürden im berufsrechtlichen werberechtlichen oder auch gebührenrechtlichen Segment. Für Aufsehen hat insofern die Entscheidung des OLG Hamburg vom 14.04.2020 gesorgt (3 W 17/20). Das Gericht hatte entschieden, dass die Auslage eines Werbeflyers in einer Zahnarztpraxis, in dem für den Kauf von elektrischen Zahnbürsten damit geworben wird, dass ein Rabatt auf den Preis der Zahnbürste gewährt wird und auch die Kosten für eine professionelle Zahnreinigung erstattet werden, nicht per se gegen das zahnärztliche Berufsrecht oder gegen das Heilmittelwerberecht verstoßen (hierzu auch Scholz, medstra 2021, 354).
BGH, Urteil vom 29.07.2021 - I ZR 114/20 (OLG Düsseldorf), GRUR-RS 2021, 25491