Interview
Ein vielseitiger Arbeitgeber
Interview

Die Gewinnung qualifizierten Nachwuchses stellt für die Justiz vor dem Hintergrund sinkender Absolventenzahlen und der anstehenden Pensionierungswelle eine große Herausforderung dar. Vereinzelt werden die Einstellungsvoraussetzungen abgesenkt, um offene Stellen besetzen zu können. Wir haben die Präsidentin des OLG Hamm Gudrun Schäpers zu Maßnahmen und Strategien befragt, um den Personalbedarf der Justiz langfristig zu decken.

5. Feb 2025

NJW: Wie stellt sich die Personalsituation in Ihrem OLG-Bezirk dar?

Schäpers: Im richterlichen Bereich liegt der Anteil der offenen Stellen momentan unter 1%. Zudem verfügen wir über einen Bewerberpool, der aktuell kontinuierliche Neueinstellungen gewährleistet. Wir können trotz hoher Anforderungen an eine fachliche und persönliche Qualifikation nach wie vor unter den Besten auswählen. In anderen Dienstzweigen gelingt es uns ebenfalls bislang, mit gezielten Maßnahmen der Nachwuchsgewinnung die Stellen weitestgehend zu besetzen. Es wird aber zunehmend herausfordernder. Wir können uns also nicht entspannt zurücklehnen.

NJW: Weshalb ist die Justiz als Arbeitgeber für junge Juristinnen und Juristen scheinbar nicht mehr so attraktiv, wie sie es früher war?

Schäpers: Ich meine, die Justiz ist in der Gesamtschau nach wie vor ein attraktiver Arbeitgeber. Sie bietet eine gesellschaftlich im höchsten Maße relevante und sinnstiftende Tätigkeit auf sehr hohem fachlichem Niveau. Es gibt aber geänderte Rahmenbedingungen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Absolventinnen und Absolventen mit Zweitem Staatsexamen bundesweit um fast 20% zurückgegangen. Parallel ist zusätzlich die Vielfalt der Berufsmöglichkeiten deutlich angestiegen. Gerade in der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es ein großes Spektrum an Aufgaben und damit sowohl viele Möglichkeiten zur Spezialisierung, als auch Dezernate für echte „Allrounder“, so dass sich ganz verschiedene Persönlichkeiten angesprochen fühlen können. Für viele Menschen sind verständlicherweise auch flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit der Telearbeit und eine hohe Planungssicherheit unschätzbare Vorteile. Dieser Mix ist nach wie vor attraktiv. Dabei darf aber die Entwicklung der Besoldung für den Wettbewerb um die besten Köpfe genauso wenig aus dem Blick geraten wie eine moderne, zukunftsgewandte Ausstattung, insbesondere der IT, die schon für eine sachgerechte Aufgabenerledigung unabdingbar ist.

NJW: Bereits seit einiger Zeit werden die Anforderungen an den Notendurchschnitt der Bewerberinnen und Bewerber zurückgeschraubt. Was spricht für, was gegen diese Strategie?

Schäpers: Eine gute Examensnote allein ist per se keine Garantie für eine gute Richterinnen- bzw. Richterpersönlichkeit, weil es eben auch um Qualifikationen für die konkrete Berufsausübung geht, die als solche mit dem Examen nicht geprüft werden. Zudem können sich Bewerberinnen und Bewerber, die zunächst dem Papier nach notenmäßig schwächer erscheinen, als sehr kompetent erweisen. Jedenfalls für die ordentliche Gerichtsbarkeit in NRW bedarf es nach meiner Auffassung derzeit keiner Absenkung. Eine gute Note im Zweiten Staatsexamen bringt die Vermutung mit sich, dass die Bewerberin, der Bewerber juristisch besonders gut qualifiziert ist. Dabei ist das Prädikat auch in NRW kein zwingendes Kriterium, so dass seit Längerem auch Bewerberinnen und Bewerber zu den Vorstellungsrunden eingeladen werden können, die mindestens 7,76 Punkte erreicht haben und sich durch besondere persönliche Eigenschaften und Leistungen auszeichnen. Die Noten sind ein wichtiger Anhalt für die nötigen fachlichen Kompetenzen, juristischen Fähigkeiten, Disziplin und das Urteilsvermögen. Sie helfen uns, die Qualität der Rechtsprechung zu gewährleisten, das Vertrauen der Gesellschaft in die Justiz zu stärken und sicherzustellen, dass Entscheidungen auf einer fundierten und sorgfältig abgewogenen Grundlage getroffen werden.

NJW: Welche Aussagekraft haben Examensnoten ganz generell hinsichtlich der Qualifikation einer künftigen Richterin bzw. eines künftigen Staatsanwalts?

Schäpers: Wie gesagt, überdurchschnittlich gute Examensnoten sind ein guter Indikator für hohe fachliche Kompetenzen, die für die Arbeit in der Justiz zentral sind. Natürlich sind aber auch weitere Qualifikationen, die mit dem Examen nicht per se abgeprüft werden – beispielsweise Kommunikationsfähigkeit, Verhandlungsführung, Empathie und Führungsqualitäten – ebenso entscheidend für die richterliche Tätigkeit. In unseren eintägigen Auswahlverfahren am OLG Hamm geht es für uns deshalb ganz besonders auch darum, ob die Bewerberinnen und Bewerber die persönliche Eignung für den richterlichen Beruf mitbringen.

NJW: Wäre es denkbar, bei den Anforderungen an den Notendurchschnitt je nach Verwendung des Bewerbers zu differenzieren?

Schäpers: Meines Erachtens sind gleiche Anforderungen an den Notendurchschnitt wichtig – und zwar unabhängig vom jeweiligen Einsatzbereich. Die richterliche Tätigkeit hat grundlegende Bedeutung für das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsprechung. Gerichte tragen die Verantwortung, Konflikte zügig, effizient und nachhaltig zu lösen und dabei die Interessen und Bedürfnisse der Menschen unabhängig von der Höhe des Streitwerts oder des Einsatzbereichs stets im Blick zu behalten. Wir stellen Menschen in den richterlichen Dienst ein, die ganz bewusst an mehreren Gerichten in unterschiedlichen Dezernaten eingesetzt werden. Durch diese Wechsel kann jede junge Richterkraft Erfahrungen sammeln. Auf dieser Grundlage werden sehr persönliche Entscheidungen über den weiteren beruflichen Weg getroffen. Es entwickeln sich unterschiedliche Richterpersönlichkeiten. Und genau das braucht die Justiz.

NJW: Ein Wechsel von der Kanzlei in den Justizdienst ist hierzulande relativ selten, was auch an der Altersgrenze für die Verbeamtung liegt. Muss die Justiz hier durchlässiger bzw. flexibler werden?

Schäpers: Aus meiner Sicht ist die Justiz hier flexibel. Wir stellen inzwischen häufiger neue Kolleginnen und Kollegen ein, die zuvor in Anwaltskanzleien oder in der Wirtschaft tätig waren und dann in die Justiz wechseln. Die Vorerfahrung, die sie aus dieser Tätigkeit mitbringen, ist sehr wertvoll. Sie verfügen oft über ein tiefgehendes Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge, umfangreiche Verhandlungserfahrungen und ein praxisorientiertes Problemlösungsdenken – Fähigkeiten, die in der richterlichen Tätigkeit von großem Nutzen sind. Schon vor einigen Jahren ist in NRW die Altersgrenze für die Einstellung als Beamter oder Richter auf die Vollendung des 42. Lebensjahres angehoben worden, die sich zudem in besonderen Fällen erhöhen kann. Wenn man bedenkt, dass die allermeisten Absolventinnen und Absolventen des Zweiten Staatsexamens deutlich unter 30 Jahre alt sind, ist die Distanz bis zum Ausschluss einer richterlichen Laufbahn durch die Altersgrenze doch recht groß.

NJW: Gilt das auch für Karrierewege junger Richterinnen und Staatsanwälte?

Schäpers: Die Justiz hat im richterlichen Dienst viele sehr unterschiedliche Positionen in der Rechtsprechung und auch in der Gerichtsverwaltung anzubieten. Früher wurde oft genug die Regel gelebt, dass eine einmal angetretene Planstelle nicht mehr verlassen wird. Solange sich die Kolleginnen und Kollegen dort, wo sie sind, wohl fühlen und gut aufgehoben sind, ist das ja auch gut so. Aber zunehmend nehme ich nach einiger Zeit den Wunsch nach einer Veränderung wahr. Dem kann intern durch Dezernatswechsel oder auch durch Behördenwechsel und Abordnungen – auch außerhalb der Justiz – Rechnung getragen werden. Zudem gibt es Förder- und Personalentwicklungsprogramme. Insgesamt sind wir in den letzten Jahren bei den Karriereangeboten und -wegen nicht nur transparenter, sondern auch durchlässiger und flexibler geworden.

NJW: Inwiefern kann die Digitalisierung dazu beitragen, das Personalproblem zumindest zu entschärfen?

Schäpers: Um künftig als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, ist eine gut digitalisierte Justiz unerlässlich. In NRW sind wir hier schon recht weit. Durch die Einführung der elektronischen Akte in – vom Strafrecht weitgehend abgesehen – fast allen Fachbereichen ermöglichen wir ein nahezu vollwertiges Arbeiten am heimischen Arbeitsplatz. Dies schafft Flexibilität in der Organisation der eigenen Arbeit und trägt so zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit zur Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber bei. Wir investieren seit Jahren in die digitale Ausstattung und Ausbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im deutschlandweiten Vergleich stehen wir in NRW dabei wirklich gut da.Wichtig ist aber auch: Wir müssen dranbleiben, noch besser werden und mit der raschen technischen Entwicklung weiter Schritt halten. Und es ist kein Geheimnis: die weitere Digitalisierung wird Geld kosten, welches hierfür zur Verfügung stehen muss, damit wir unsere Aufgaben verlässlich erfüllen, unserem verfassungsmäßigen Auftrag entsprechen und mit anderen Arbeitgebern mithalten können.

NJW: Wie ließe sich der Personalnotstand alternativ beheben? Muss die Personalpolitik in der Justiz möglicherweise insgesamt überdacht werden?

Schäpers: Die gesamte Justiz stellt sich wie andere Arbeitgeber den gewachsenen Herausforderungen des Arbeitsmarkts. Aufgrund frühzeitiger Personalmaßnahmen würde ich für den Hammer Bezirk nicht von einem Personalnotstand sprechen. Um den zahlreichen Pensionierungen der „Baby-Boomer“ in allen Dienstzweigen zu begegnen, sind verschiedenste Maßnahmen ergriffen worden, um dies so gut wie möglich auszugleichen. Um mit dem Wandel des sich stetig ändernden Arbeitsmarktes Schritt zu halten, optimieren wir in allen Laufbahngruppen unsere Nachwuchsgewinnung, die Bewerberansprache, Einstellungsverfahren und unser Onboarding-Programm. Diesen Wandel müssen wir fortlaufend leben und weiterentwickeln, wenn wir unsere Ziel-gruppen weiter erreichen wollen. Aus meiner Sicht wird es noch wichtiger, so frühzeitig wie es geht, für die juristischen Berufe zu interessieren, sei es in Schulen – auch durch Rechtskundeunterricht -,  an den Hochschulen und natürlich im Referendariat. Außerdem gilt es, Informationen über die Medien zu vermitteln, die Interessierte erreichen, also auch über soziale Medien. Daneben helfen Mentoring, selbstverständliche Unterstützung und moderne kollegiale Begleitung bei der Bildung gut funktionierender Teams. Wir haben tolle Menschen in der Justiz, die sich für und um Andere kümmern.

NJW: Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund die von der JuMiKo Ende November 2024 beschlossene gemeinschaftliche Kampagne zur Nachwuchsgewinnung?

Schäpers: Ich begrüße die bundesweite Bündelung von Ressourcen, um die Justiz als vielseitigen Arbeitgeber hervorzuheben, aber auch um die Wichtigkeit eines funktionierenden Rechtsstaats gemeinsam zu betonen. Existierende Kampagnen sind oft auf den Richter- und Staatsanwaltsberuf zugeschnitten. Werbung für die Justiz sollte aber auch die anderen vielfältigen Berufe in den Fokus rücken und dabei ehrliche und realistische Versprechen geben, die unsere Attraktivität als Arbeitgeber herausstellen.

Seit 1996 ist Gudrun Schäpers im richterlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. Dem OLG Hamm gehört sie seit 2006 an. Am 5.7.2021 wurde sie zur Präsidentin des Gerichts ernannt.

Dieser Inhalt ist zuerst in leicht gekürzter Fassung in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.)

Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.