NJW: KI hat den Kanzleialltag massiv verändert. Wie wirkt sich das auf die Ausbildung junger Anwältinnen und Anwälte aus?
Kempermann: Die Auswirkungen sind aktuell noch eher gering. Die meisten Kanzleien und Unternehmen sind noch dabei herauszufinden, wie sich die Lösungen mit dem größten Nutzen einsetzen lassen. Klar ist aber schon jetzt: Learning on the Job wird schwieriger. Denn die KI-Systeme präsentieren (vermeintlich) fertige Lösungen. Die Denkarbeit erfolgt nicht bei der Erstellung der Antwort für die Mandanten, sondern bei der Auswahl der richtigen Lösung, beim Prompting und der anschließenden Bewertung der Antworten. Dafür bedarf es Erfahrung, die Berufseinsteiger naturgemäß noch nicht haben. Diese Quadratur des Kreises hat meines Wissens noch niemand gelöst. Aktuell führen wir nicht nur Berufseinsteiger, sondern auch erfahrene Kollegen im Rahmen von Impulsvorträgen und Schulungen im Umgang mit der bei uns im Einsatz befindlichen Technik an das Thema KI heran. Eine Prompting-Bibliothek, die wir gerade aufbauen, unterstützt zusätzlich.
NJW: Wie und wo lassen sich Berufseinsteiger künftig noch sinnvoll in die Mandatsarbeit einbeziehen?
Kempermann: Junge Köpfe, die offen für neue Technologien sind, bringen neue und unkonventionelle Ansätze ein. Durch diese anderen Herangehensweisen – auch beim Einsatz von KI-Tools – können sie in der Mandatsarbeit einen wertvollen Beitrag leisten.
NJW: Neben der Frage nach der Organisation stellt sich auch die der Finanzierung der Ausbildung, denn Mandanten sind immer weniger bereit, für Berufsanfänger zu zahlen. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Kempermann: Das ist kein neues Thema, sondern die Frage wird schon seit geraumer Zeit gestellt. Aus dem Markt wissen wir, dass sich die Stundensätze gerade bei internationalen Sozietäten kontinuierlich und teils massiv gesteigert haben. Darauf reagieren die Mandanten. Wir sind aber davon überzeugt, dass bei richtigem Einsatz von KI-Lösungen und entsprechender Ausbildung der Anwälte durchaus die Effizienz erhöht wird, mit der die Mandatsarbeit erledigt werden kann. Für uns bedeutet dies gleichzeitig, dass wir die jungen Kolleginnen und Kollegen noch schneller in komplexe Fälle einarbeiten und einbeziehen können. Berufseinsteiger haben im Einsatz von Technik sicher auch im Vergleich zu erfahreneren Kollegen den Vorteil, technikaffiner zu sein. Wir sind daher davon überzeugt, dass auch unsere Berufseinsteiger schon Mehrwert für die Mandanten liefern, etwa durch kluge Gedanken zum Prompt Engineering. Und generell wird die Bedeutung des anwaltsbezogenen Stundensatzes mit einer höheren Durchdringung von KI-Angeboten am Markt zurückgehen. Daher wird die Abhängigkeit zwischen Berufsanfängern und Stundensatz sinken.
NJW: Lassen sich die hohen Einstiegsgehälter vor diesem Hintergrund dann noch rechtfertigen?
Kempermann: Unsere Einstiegsgehälter reflektieren die Qualität unserer Bewerberinnen und Bewerber und signalisieren Wertschätzung sowie Vertrauen in die jungen Kolleginnen und Kollegen. Wir stellen ein, wenn wir davon überzeugt sind, dass diese Einstellung uns weiterbringen wird. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Anzahl der sehr guten Absolventen in den letzten Jahren auch immer weiter rückläufig ist und sein wird.
NJW: Was bedeuten diese Veränderungen für die Geschäftsmodelle großer Kanzleien mit hoher Leverage?
Kempermann: Bei Heuking arbeiten wir traditionell mit einer eher niedrigen Leverage. Von daher müssten Sie diese Frage unseren Wettbewerbern mit höherer Leverage stellen. Unsere Partnerinnen und Partner sind sehr intensiv in die Mandate involviert. Wir glauben, dass wir eben durch die erhöhte Bedeutung der Erfahrung beim Einsatz von KI und der Bewertung der Ergebnisse gerade dadurch gut aufgestellt sind. Wir waren schon immer die „Trusted Advisor“ der Leitungsebene unserer Mandanten – wir gehen davon aus, dass sich das eher noch verstärken wird.
NJW: Wie viele der Junganwältinnen und Junganwälte, die Sie so wie eben erläutert ausgebildet haben, bleiben langfristig in Ihrer Kanzlei?
Kempermann: Wir hoffen sehr viele. Wir bilden unsere jungen Kolleginnen und Kollegen aus, um ihnen eine gute Basis für ihre Karriere geben zu können. Und natürlich möchten wir, dass sie bei uns bleiben, weil wir den Bestand unserer Kanzlei nur so langfristig sichern können.
NJW: Dann lassen Sie uns mal darüber sprechen, was Sie tun, um Associates langfristig an sich zu binden, von der Ausbildung mal abgesehen.
Kempermann: Wir möchten ein wertschätzendes und vertrauensvolles Arbeitsumfeld aufrechterhalten, damit die Associates mit Freude bei uns arbeiten. Das ist das Wichtigste, denn nur wer Spaß an der Arbeit hat, bleibt lange dabei. Und wir bieten attraktive Karrierewege mit realistischen Partnerchancen – aber auch interessante Alternativen für diejenigen, die womöglich nicht Partner werden, aber dennoch langfristig bei uns bleiben möchten. Außerdem ist unsere Sozietät agil, und wer Spaß an deren Mitgestaltung hat, ist bei uns sehr gut aufgehoben. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass unsere Associates es sehr schätzen, dass Impulse, die sie uns geben, auch aufgenommen werden.
NJW: Wie wird die Ausbildung von Junganwältinnen und -anwälten in Zeiten von KI sowie zunehmendem Kostendruck künftig aussehen?
Kempermann: Es wird noch mehr darauf ankommen, dass die „alten Hasen“ ihr Wissen weitergeben – nicht nur das juristische, sondern vor allem das strategische Wissen und das Gefühl dafür, wie die Ansprechpartner bei den Mandanten „gut mitgenommen“ werden können und wie das Vertrauen hergestellt wird. Wie gebe ich ihnen das Gefühl, dass sie in den richtigen Händen sind oder dass die vorgeschlagene Strategie die richtige ist? Das sind Dinge, die in der universitären Ausbildung keine Rolle spielen, aber massiv wichtig für die Mandatsbeziehung sind. Außerdem müssen wir technologische Kenntnisse vermitteln. Warum gibt die KI die Antworten, wie sie sie gibt? Welches ist das richtige Tool für die konkrete Frage? Was kann ich über das Prompt Engineering steuern und dadurch womöglich Halluzinationen vermeiden? Es wird weggehen von der rein juristischen Bildung hin zu einer Verknüpfung von Jura und Technologie.
NJW: Was bedeutet das für das Anforderungsprofil, das Sie an junge Kolleginnen und Kollegen stellen?
Kempermann: Jemand, der mit dem „ganzen technischen Krams“ nichts anfangen kann, wird als Rechtsanwalt bzw. -anwältin in der Zukunft nicht mehr glücklich werden. Darüber hinaus gewinnen Aspekte wie Leadership, nicht nur in Bezug auf Mitarbeiterführung und Projektmanagement, an Bedeutung. Wir müssen die Weiterentwicklung von Technologie und deren Einsatz in Einklang bringen mit dem Ansatz, der Trusted Advisor zu sein. Selbstverständlich geht es bei unserer Tätigkeit um exzellente juristische Fähigkeiten – das darf der Mandant als Selbstverständlichkeit voraussetzen. Auf der anderen Seite geht es aber auch um die Beratung von Menschen, die am Ende Entscheidungen von weittragender wirtschaftlicher Bedeutung treffen müssen. Dazu braucht es den Trusted Advisor mit Erfahrung bei Verhandlungen, der bzw. die die Mandanten auch hier optimal unterstützt.
Sein Jurastudium absolvierte Dr. Philip Kempermann an den Universitäten Bayreuth und Mainz. Dem Ersten Staatsexamen schloss sich ein LL.M.-Studiengang in Rechtsinformatik (EULISP) an den Universitäten Hannover und Lapland, Rovaniemi/Finnland an. Den juristischen Vorbereitungsdienst durchlief er im Bezirk des OLG Düsseldorf, zur Anwaltschaft zugelassen wurde er 2006. Seit Oktober 2006 ist er im Düsseldorfer Büro von Heuking Kühn Lüer Wojtek tätig, seit dem 1.1.2016 als Equity Partner. Mitglied im Managementausschuss der Kanzlei ist er seit Ende 2020. Kempermann gehört unter anderem der International Bar Association (IBA), der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik e.V. sowie dem Vorstand des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) an.
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