Interview
Die Doppelrolle der US-Justizminister
Interview

Nach seiner Wiederwahl hat der designierte US-Präsident Donald Trump sein Kabinett zusammengestellt. Nachdem sein erster Wunschkandidat für den Posten des Justizministers durchgefallen war, hat er mit Pam Bondi eine weitere loyale Unterstützerin für diese Position berufen. 

22. Jan 2025

Wir haben diese Nominierung zum Anlass genommen, um uns mit Prof. Dr. Lisa Washington von der Universität Wisconsin-Madison über die weitreichenden Befugnisse zu unterhalten, die US-Justizminister haben.

NJW: In den USA nimmt der Justizminister, die Justizministerin eine Sonderstellung ein. Können Sie uns die in aller Kürze erläutern?

Washington: In den USA spricht man häufig von der sogenannten Doppelrolle des United States Attorney General (AG). Gemeint ist, dass der AG einerseits ein wichtiger politischer und rechtlicher Berater des US-Präsidenten ist und andererseits die USA in rechtlichen Angelegenheiten als unparteiischer Leiter des Department of Justice (das US-amerikanische Justizministerium) repräsentiert. Dem AG kommt für die Umsetzung der politischen Agenda des Präsidenten meist eine wichtige Rolle zu. Häufig ernennt der Präsident für diese enorm einflussreiche Kabinettsposition einen engen Berater bzw. Beraterin. Eines der umstrittensten historischen Beispiele hierfür ist die Ernennung von Robert Kennedy zum AG durch seinen Bruder John F. Kennedy. Aber auch Robert Nixons Entscheidung, seinen Kanzleipartner John Newton Mitchell zu ernennen, oder die Berufung von Eric Holder durch Barack Obama, leitender Rechtsberater während seines Wahlkampfs, sind Beispiele dafür, dass Vertrauensverhältnisse bei der Ernennung häufig eine entscheidende Rolle spielen.

NJW: Welche Aufgaben und Befugnisse gehen mit dem Amt einher?

Washington: Unter anderem führen AGs Ermittlungen, leiten Klagen ein und erstellen Rechtsgutachten über eine Vielzahl von Themen in verschiedenen Regierungsabteilungen. Konkret ging es dabei in den letzten zehn Jahren häufig um umstrittene rechtspolitische Fragen von der Legalisierung von Marihuana über gleichgeschlechtliche Ehen bis zu Diskriminierung im Wahlsystem.

NJW: Sind aufgrund dieser Doppelfunktion rechtliche Konflikte nicht quasi vorprogrammiert? Wir denken da etwa an Ermittlungen gegen hochrangige Regierungsvertreter bis hin zum Präsidenten selbst.

Washington: Absolut. Ich denke, die Frage ist eher, wie der individuelle AG mit solchen Konflikten umgeht. Dies wird dann besonders deutlich, wenn dem (ehemaligen) Präsidenten oder dem AG selbst Fehlverhalten vorgeworfen wird. Sowohl Watergate als auch die Strafverfahren gegen Donald Trump sind prominente Beispiele hierfür. In einem solchen Fall gibt es die Möglichkeit, einen unabhängigen Staatsanwalt oder Ermittler zu ernennen. Für die Leitung der bundesstaatlichen Strafverfolgung im Falle Trump ernannte der aktuelle AG, Merrick Garland, Jack Smith zum „Special Counsel“.

NJW: Welche Folgen hat die Neubesetzung des US-Justizministeriums für dessen noch laufende strafrechtliche Ermittlungen gegen Trump?

Washington: Jack Smith hat die Strafverfahren gegen Trump (Trump v. United States) auf Bundesebene bereits eingestellt. Dieser Schritt war zu erwarten und wäre wohl spätestens mit der Neubesetzung des AG erfolgt. Das Department of Justice hat eine seit langem geltende Norm gegen die Strafverfolgung eines amtierenden Präsidenten angewandt. Theoretisch könnten die Verfahren nach Trumps Amtszeit wieder aufgenommen werden. Smith betonte in seiner Begründung zum Antrag auf Einstellung der Verfahren, diese habe nichts mit der Begründetheit der Vorwürfe zu tun. Bereits vor Trumps Wiederwahl zum 47. Präsidenten der USA war allerdings fraglich, ob die Strafverfahren auf Bundesebene letztlich zu einer rechtskräftigen Verurteilung führen würden. Denn im August 2024 veröffentlichte der Supreme Court eine Entscheidung in Trump v. United States, wonach der Präsident absolute Immunität für die „verfassungsrechtlichen Kernaufgaben“ und „mutmaßliche Immunität“ für alle anderen Amtshandlungen genießt. Schon wenige Wochen nach der Entscheidung des Supreme Courts reichte Jack Smith eine abgeänderte Anklage mit reduzierten Vorwürfen ein.

NJW: Lassen Sie uns nochmal auf die Doppelfunktion des AG zurückkommen. Auch wenn diese auf uns befremdlich wirkt, hat sie möglicherweise auch Vorteile?

Washington: Ich würde in dem Zusammenhang nicht von konkreten Vorteilen sprechen. Vielmehr passt diese Doppelfunktion einfach besser in das US-Justizsystem.

NJW: Inwiefern unterliegen Amtshandlungen, namentlich Weisungen des AG ihrerseits einer Kontrolle?

Washington: Der US-Präsident kann den AG zwar entlassen, praktisch kommt es aber nie dazu. Bei Konflikten zwischen dem Präsidenten und dem AG kann Letzterer selbst zurücktreten. Zuletzt wurde eine solche Entlassung im Zusammenhang mit Jeff Sessions relevant, der während der ersten Amtszeit von Trump letztlich unter enormem politischen Druck zurücktrat.

NJW: Ist die Organisation der Staatsanwaltschaften in den einzelnen Bundesstaaten ähnlich aufgebaut? Insbesondere: Haben auch sie eine Doppelfunktion wie der Attorney General?

Washington: Jeder Bundesstaat hat seinen eigenen AG (State Attorney’s General). Allerdings werden die AGs in den meisten Bundesstaaten nicht ernannt, sondern demokratisch gewählt. Nur auf Hawaii, in New Hampshire, New Jersey, Wyoming und Alaska wird der AG vom Gouverneur ernannt. AGs in den Bundesstaaten haben meist erheblichen Einfluss auf die Prioritätensetzung bei der Strafverfolgung. In den letzten Jahren wurden einige AGs im Zusammenhang mit angeblichem Wahlbetrug auch auf nationaler Ebene diskutiert. Zu nennen wäre beispielsweise Ken Paxton in Texas, der mit seinen Vorwürfen, es hätte bei der Präsidentschaftswahl 2020 massiven Betrug gegeben, monatelang Schlagzeilen machte.

NJW: Unterliegen die District Attorneys dabei den Weisungen des Attorney General?

Washington: Nein, der AG hat keinen Einfluss auf District Attorneys in den einzelnen Bundesstaaten, sondern nur auf die Assistant United States Attorneys (AUSA) auf Bundesebene. District Attorneys sind Staatsanwälte auf lokaler Ebene, die ihrerseits gewählt werden.

NJW: Donald Trump verknüpft mit der Nominierung von Pam Bondi die Hoffnung, dass sie die Politisierung der Strafverfolgung auf Bundesebene beenden werde. Wie politisch ist diese denn? Und muss nicht vielmehr befürchtet werden, dass sie künftig noch politischer wird?

Washington: Pam Bondi wurde wohl in erster Linie aufgrund ihrer unter Beweis gestellten politischen Loyalität zu Trump nominiert. Seine Vorwürfe, die Strafverfahren gegen ihn seien außergewöhnlich politisch, sind schlicht nicht mit der Realität zu vereinbaren. Soweit die Verfolgung von Trump als ehemaligen Präsidenten ungewöhnlich scheint, so lässt sich sagen, dass Trump in seiner Amtszeit immer wieder an die Grenzen des Rechts stieß – am deutlichsten wohl im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6.1.2021. Wie sich die Strafverfolgung nun auf Bundesebene im Einzelnen entwickelt, bleibt natürlich abzuwarten. Bemerkenswert ist meiner Ansicht nach jedoch, dass Trump noch selbst während des Wahlkampfs offen von der Strafverfolgung seiner politischen Gegner und Journalisten sprach. 

Prof. Dr. Lisa Washington, LL.M., studierte Jura an der Humboldt-Universität zu Berlin und legte dort das Erste juristische Staatsexamen ab. Von der Freien Universität Berlin wurde sie mit einer rechtsvergleichenden Arbeit über die diskriminierenden Wirkungen von Verständigungen in Deutschland und den USA promoviert. In den USA absolvierte sie LL.M.-Studiengänge sowohl an der Columbia Law School als auch an der University of Wisconsin Law School. Vor ihrer wissenschaftlichen Karriere war Washington, die im US-Bundesstaat New York zur Anwaltschaft zugelassen ist, unter anderem als Strafverteidigerin bei der Non-profit-Organisation Bronx Defenders in New York tätig. Seit Juli 2023 lehrt sie als Assistant Professor of Law an der University of Wisconsin Law School.

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Interview: Monika Spiekermann.