NJW: Das Phänomen der Raubkopien aus Asien ist ja nicht neu. Gibt es neue Entwicklungen auf diesem Gebiet?
Kilchert: Plagiate sind tatsächlich ein Dauerbrenner für deutsche Unternehmen. Nach dem chinesischen Sprichwort „Die gute Kopie ehrt den Meister“ wurde das lange als hinzunehmende Begleiterscheinung der globalisierten Wirtschaft abgetan. Aber wir haben es heute in allen Bereichen – von der Industrie über die Medizin bis zu Konsumprodukten – mit einer neuen Dimension zu tun. Aus China lässt sich heute praktisch alles bestellen, die Flugzeuge von Händlern wie Temu landen täglich mit ihrer Ware in Europa. Die Geschwindigkeit und leider auch die Qualität der Fälschungen haben extrem zugenommen.
NJW: Mit welchen Strategien lassen sich Plagiate am besten entlarven?
Kilchert: Unsere Mandanten erkennen sehr schnell die Unterschiede zwischen Original und Fälschung, wenn das Plagiat vorliegt. Schwieriger ist es, an die „Täter“ – also die Hersteller der Produkte in China – heranzukommen. Dazu ist im wahrsten Sinne des Wortes Detektivarbeit nötig. Wir arbeiten mit erfahrenen Agenturen dort zusammen, die auch mal Mitarbeiter in einen Betrieb einschleusen. Wenn schon ein Verdacht bei einem chinesischen Hersteller besteht, kann ein Testkauf hilfreich sein, der verschleiert und mit einer plausiblen Story stattfinden sollte. Unter bestimmten Umständen kann auch der Zoll eingeschaltet werden, der auf einen Antrag zur Grenzbeschlagnahmung hin tätig wird. Das funktioniert in der Praxis aber leider nur bei Design- und Markenverletzungen, da diese für Zollbeamten schnell erkennbar sind.
NJW: Hilft das denn, wenn eine Patentverletzung – etwa auf einer Messe – festgestellt wird, der Aussteller aber längst über alle Berge ist?
Kilchert: Hier kommt es maßgeblich darauf an, dass prompt reagiert wird. Das Ziel ist, innerhalb der ersten Messetage durch eine einstweilige Verfügung den Stand des Fälschers zu schließen, um maximale Durchsetzungskraft zu erzeugen. Die Publicity einer solchen Maßnahme ist enorm und wird von unseren Mandanten gerne pressewirksam genutzt. Es kann aber auch vorkommen, dass sich das Messepersonal der Fälscher einfach aus dem Staub macht. In einem solchen Fall sollte man einfach die nächste Ausstellung abwarten. Taucht der Fälscher wieder auf, kann man aus dem bereits erwirkten gerichtlichen Titel direkt vor Ort mit einem Gerichtsvollzieher vollstrecken.
NJW: Wie kooperativ sind die asiatischen Behörden, wenn die Fälscher in Fernost sitzen?
Kilchert: Wir haben gute Erfahrungen mit Streitverfahren in China gemacht, die wir zusammen mit hiesigen Kollegen für deutsche Mandanten geführt haben. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei die Wahl eines geeigneten Gerichtsstandorts mit Richtern, die im IP-Recht Erfahrung haben. Dann können die Erfolgsaussichten eines Streitverfahrens gut antizipiert werden und lokale Bande spielen keine Rolle. China ist – auch aufgrund des ständigen Drucks der Europäischen Union in IP-Fragen – viel weiter, als man oft annimmt.
NJW: Tun deutsche Unternehmen genug dafür, um ihre Patente, Gebrauchsmuster oder Designs zu schützen?
Kilchert: Diese Frage kann man nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Es kommt auf die Branche, die wirtschaftliche Bedeutung der Schutzrechte und den jeweiligen Markt an. Als Daumenregel empfehlen wir Firmen, die in China wirtschaftlich tätig sind oder Wettbewerb von dort befürchten, nicht zu lange zu warten, bis eigenes geschütztes Geistiges Eigentum gegen Verletzungen in oder aus diesem Land geltend gemacht wird. Wir sagen: Je schneller ein Fälscher in China auf ihre Kosten wächst, umso schneller füllt sich seine Kriegskasse, und es wird schwierig, ihn wieder vom Markt zu verdrängen.
NJW: Was ist bei der Anmeldung von Patenten oder Designs zu beachten – gerade in Hinblick auf qualitativ hochwertige Massenfälschungen?
Kilchert: Die Qualität der Anmeldung ist das A und O, um Patente oder Designs erfolgreich durchzusetzen, wenn es darauf ankommt. Versäumnisse in dieser Frühphase können später nur sehr schwer oder gar nicht ausgemerzt werden. Potenzielle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung sind schon hier zu berücksichtigen. Eine profunde Kenntnis der Unternehmensstrategie hilft dabei und sollte in die Anmeldung einfließen. Ein qualitativ hochwertiges Patent, das auf die Lizenzvergabe abzielt, sollte anders formuliert sein als ein Patent, das zur Eroberung einer Marktposition eingesetzt wird. Die Gestaltung des Schutzbereichs erfordert langjährige praktische Erfahrung sowohl bei der Erlangung als auch bei der streitigen Durchsetzung. Kanzleien, die beides gut beherrschen, sind rar gesät.
NJW: Patentstreitigkeiten dauern vor Gericht oft ewig. Kann die Rechtsdurchsetzung mit dem Tempo der Kopisten überhaupt mithalten?
Kilchert: Mit einer guten Strategie lässt sich das bereits mit den etablierten Rechtssystemen bewerkstelligen. Einen richtigen Schub gab das vor rund zwei Jahren in Kraft getretene Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) – ein (fast) EU-weites einheitliches Gerichtssystem, verbunden mit dem neuen Einheitspatent. Die Durchsetzung von Patenten ist nicht nur (fast) EU-weit einheitlich möglich, sondern auch sehr schnell. Das neue Gerichtsverfahren ist „front-loaded“ und hat extrem kurze Fristen. Die Beschleunigung dient dem Patentinhaber, der in kurzer Zeit und mit großer geografischer Reichweite zu seinem Recht kommt.
NJW: Was war die kurioseste Fälschung, die Ihnen in den letzten Jahren untergekommen ist?
Kilchert: Leider sind wir sehr humorlos bei Plagiaten, die unsere Mandanten betreffen. Kuriose Fälle finden sich bei der Aktion Plagiarius, die Negativpreise für besonders dreiste Fälschungen verleiht. Als flankierende Maßnahme haben wir dort hin und wieder Mandanten unterstützt, um Fälschungen einem größeren Publikum bewusst zu machen. Die Pressemitteilungen haben es bis nach Asien geschafft und wurden sicher von dem einen oder anderen Fälscher gelesen.
NJW: Was raten Sie Start-ups, deren Geschäftsmodell oft auf nur einer einzigen Erfindung beruht?
Kilchert: Wirtschaftlich besonders erfolgreiche Firmen haben nach unserer Erfahrung erkannt, dass der konsequente Schutz von Innovationen eine Art der Wertschätzung bedeutet. Wer als Start-up langfristig so denkt, wird entdecken, dass gute Erfindungen in einer solchen Unternehmenskultur besser florieren als in einer Umgebung, die ausschließlich auf die Monetarisierung von Patenten fokussiert ist. Die in den Anfangsjahren drückenden Patentkosten können durch kreative Strategien an die finanziellen Möglichkeiten eines Start-ups angepasst werden. Plagiate können Gründern schnell den Boden unter den Füßen wegziehen. Der Idealismus junger Unternehmer mit einer genialen Geschäftsidee wird dann mit der Realität des unfairen Wettbewerbs konfrontiert. Da gilt es, schnell und mit Wucht gegenzusteuern.
NJW: Welche Folgen können solche Plagiate haben?
Kilchert: Das reicht vom rein finanziellen Schaden bis zu gravierenden Konsequenzen etwa bei gefälschten Medikamenten oder Medizinprodukten. Hier können Milligramm abweichender Zutaten lebensbedrohlich sein. Minderwertige Autoteile können im Ernstfall zu tödlichen Unfällen führen. Aber schon alleine der Rufschaden durch minderwertige Produkte, die mit dem Patentinhaber assoziiert werden, kann erheblich sein. Denn nicht nur für Laien, auch für Fachleute ist der Betrug oft nicht erkennbar.
Jochen Kilchert ist Partner bei Meissner Bolte in München. Seit über 20 Jahren ist er als deutscher Patentanwalt sowie European Patent Attorney im Marken-, Design-, Wettbewerbs- und besonders im Patentrecht tätig. Dabei berät und vertritt er vor allem mittelständische Unternehmen. Studiert hat er Allgemeinen Maschinenbau an der TU Karlsruhe. Mitglied ist er in zahlreichen Organisationen, darunter der Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR).
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