NJW: Angela Merkel hat kürzlich in einem Interview gesagt, ihr bereite es Sorge, dass Elon Musk einen Großteil der Satelliten kontrolliere. Über welche Größenordnung reden wir da?
Schladebach: Derzeit umfasst die Satelliten-Megakonstellation „Starlink“ knapp 7.000 hintereinander gereihte Satelliten auf einer unteren Erdumlaufbahn von ca. 500 km Höhe. Insgesamt soll diese Konstellation am Ende ca. 40.000 Satelliten besitzen.
NJW: Wie konnte es dazu kommen, dass eine Person in diesem sensiblen Bereich über so viel „Marktmacht“ verfügt?
Schladebach: Elon Musk will Internetdienstleistungen für die ganze Welt anbieten. Die Raumfahrt ist für ihn eher ein Hilfsmittel zur „Möblierung des Weltraums“, insbesondere zum Aufbau einer besseren Internet-Infrastruktur. Dieses Ziel verfolgt er kontinuierlich. In seiner Person vereinen sich gleichermaßen Geschäftsmann und Weltraum-Visionär. Ohne seine Ideen und immensen Investitionen wäre die Raumfahrt nicht auf dem heutigen Stand. Hiervon profitieren viele Staaten, indem sie die Transportkapazitäten der SpaceX-Raketen nutzen können.
NJW: Gibt es für den Betrieb von Satellitensystemen nicht spezielle Regeln, die so viel privaten Einfluss verhindern?
Schladebach: Regeln gibt es nur für die erstmalige Positionierung von Satelliten auf Erdumlaufbahnen. Da die Nutzung des Weltraums auch für Privatunternehmen nach Art. I des Weltraumvertrags grundsätzlich frei ist, können Unternehmen über die zuständigen nationalen Behörden (in Deutschland die BNetzA) bei der International Telecommunication Union (ITU) in Genf Frequenzpositionen beantragen, denen dann konkrete Satellitenpositionen im Weltraum entsprechen. Die Position des Satelliten folgt der zugeteilten Frequenz. Das auffallend anspruchslose Vergabeverfahren basiert lediglich auf dem Grundsatz des „First come, first served“ und wird von der US-amerikanischen Federal Communications Commission (FCC) im Sinne der Anträge von Musk kräftig genutzt. Um allen Staaten den Zugang zu allen Erdumlaufbahnen auch in der Zukunft offen zu halten, muss für jeden ITU-Vertragsstaat auf jeder Umlaufbahn zumindest eine Position (Frequenz) freigehalten werden. Das ist Folge des im Weltraumrecht geltenden Gemeinschaftsgedankens. Diese kleinere quantitative Begrenzung ist jedoch die einzige relevante Einschränkung bei der Satellitenpositionierung.
NJW: Ansonsten erfolgt die Begrenzung von Marktmacht durch das Kartellrecht. Hier nicht?
Schladebach: Der auch für die untere Erdumlaufbahn geltende Weltraumvertrag von 1967 sieht kein Kartellrecht vor. Auch gelten insoweit die Regelungen des europäischen (Art. 101 ff. AEUV, DMA) oder des nationalen Kartellrechts nicht. Im Übrigen dürfte ohnehin fraglich sein, wie ein sachlich, räumlich und zeitlich relevanter Markt sowie eine marktbeherrschende Stellung auf Erdumlaufbahnen rechtssicher zu bestimmen wären.
NJW: Könnte Musk etwa Wettbewerbern das Internet abschalten?
Schladebach: Da Elon Musk seine Internetdienstleistungen über privatrechtliche Verträge anbietet, steht es ihm unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfristen jederzeit frei, die Versorgung mit Internet zu beenden.
NJW: Welche Relevanz hat Satellitentechnik und damit auch deren Regulierung für die (Digital-/Medien-)Wirtschaft?
Schladebach: Leider wird diese hochwichtige Frage viel zu selten gestellt: Weite Bereiche der digitalen Welt auf der Erde laufen über Satellitentechnik. Ob Navigationsdienste im Auto, ob Google-Maps, ob TV- und Rundfunkübertragungen. Die hierfür erforderlichen Kommunikationssatelliten sind technisch hochentwickelte Weltraumgegenstände, operieren aber in einer vollkommen lebensfeindlichen Umwelt und sind daher sehr vulnerabel. Um sie funktionstüchtig zu halten, bedürfen sie auch rechtlich eines viel besseren Schutzes. Das betrifft zudem deren Lebensdauer. Verlieren sie nach einigen Jahren ihre Funktion, gelten sie als Weltraumschrott. Ungeachtet der Tatsache, dass sich kaum ein Staat um dessen Rückholung kümmern möchte, ist der Verbleib funktionsloser Satelliten im Weltraum eine große Gefahr für die funktionierende Kommunikationsinfrastruktur. Erst wenn Kollisionen von Satelliten zu einem digitalen Blackout auf der Erde führen, wird sich die Menschheit dieses Problems bewusst werden. Wer stabile digitale Kommunikation über Satelliten will, muss rechtliche Vorkehrungen zu ihrem Schutz treffen.
NJW: Was sind die Gründe dafür, dass der Weltraum so umfassend privatisiert worden ist?
Schladebach: Der Weltraum ist nach Art. I des Weltraumvertrags ein hoheitsfreier Gemeinschaftsraum, gehört also allen Staaten dieser Welt gemeinsam, quasi in gesamthänderischer Verbundenheit. Die Privatisierungstendenzen beziehen sich allein auf die neuen Nutzer. Das sind zunehmend private Raumfahrtunternehmen. Hatten früher nur staatliche Raumfahrtagenturen wie die NASA, Roskosmos oder die ESA die personellen und finanziellen Kapazitäten für Raumfahrtaktivitäten, treten heute immer mehr Privatunternehmer hinzu und kooperieren mit den staatlichen Agenturen. Aufgrund großer finanzieller Mittel sind sie in der Lage, Raumfahrzeuge zu bauen, zu testen und zu nutzen. Die hauptsächlichen Akteure sind Richard Bransons Virgin Galactic, Elon Musks SpaceX und Jeff Bezos’ Blue Origin. Weltraumrechtlich sehr beachtlich ist, dass man bereits Mitte der 1960 er Jahre an private Unternehmen gedacht und sie in Art. VI des Weltraumvertrags dem grundsätzlich für Staaten geltenden Weltraumrecht unterstellt hat. Das muss als äußerst visionär bewertet werden.
NJW: Als Eigentümer der Plattform X wetterte Musk zuletzt gegen den Digital Services Act. Ist der DSA geeignet, private Macht der Diensteanbieter wirksam zu begrenzen bzw. zu kontrollieren?
Schladebach: Musks ablehnende Haltung gegenüber härteren Regelungen in der EU ist im Hinblick auf den höheren verfassungsrechtlichen Stellenwert der „Freedom of speech“ in den USA durchaus nachvollziehbar, aber im Ergebnis nicht berechtigt. Wenn sich der DSA zutreffend gegen problematische Tendenzen der freien Rede wie Hate speech und Fake news wendet, mag das als Einschränkung des kommunikativen Spektrums wahrgenommen werden, ändert aber an der Existenz der Meinungsfreiheit nichts. Sondern es trägt vielmehr zu einem kultivierten Meinungsaustausch in Online-Medien bei. Das müsste auch im Interesse Elon Musks sein, der in der neuen Regierung Trump offenbar auch staatliche Verantwortung erhalten soll.
NJW: Neben dem DSA gibt es zahlreiche weitere europäische und nationale Regelwerke, die die Plattformen regulieren sollen. Für wie wirkungsvoll halten Sie diese?
Schladebach: Im digitalen Wirtschaftsrecht ist der EU-Gesetzgeber derzeit besonders aktiv, weil er den berechtigten Eindruck hatte, dass sich die Digitalbranche völlig ungezügelt und für die Nutzer gefährlich entwickelt. Neben dem schon erwähnten DSA wird man zu diesen neuen Regelwerken auch bereits die DS-GVO und nunmehr den Digital Markets Act, die KI-Verordnung und datenrechtliche Verordnungen wie den Data Act und Data Governance Act zu zählen haben. Sämtliche EU-Sekundärrechtsakte sind nicht mehr als auf Umsetzung angewiesene Richtlinien, sondern als unmittelbar geltende Verordnungen erlassen worden, was einen deutlichen Gesinnungswandel der EU anzeigt: Verbindlichkeit, Vereinheitlichung, Klarheit, Durchsetzbarkeit sollen im Digitalbereich verstärkt werden, was positiv zu bewerten ist. Zusammen mit neuen behördlichen Strukturen wie dem Digital Service Coordinator halte ich diese Rechtsakte für wirkungsvoll. Ob sie inhaltlich auch aufeinander exakt abgestimmt, also kohärent gestaltet sind, muss sich noch zeigen.
Prof. Dr. Marcus Schladebach, LL.M., leitet die Forschungsstelle für Öffentliches Recht, Medienrecht sowie Luft- und Weltraumrecht an der Universität Potsdam. Zuvor war er als Referent im brandenburgischen Landesjustizministerium und im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie nach der Habilitation 2013 in Augsburg als Lehrstuhlvertreter in Kiel, Göttingen, Düsseldorf und Hagen tätig.
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