Interview

Rechtskunde in die Lehrpläne
Interview

Recht durchdringt sämtliche Lebensbereiche und -sachverhalte. Umso wichtiger ist es, seine Rechte zu kennen; das gilt insbesondere für junge Menschen. Doch da liegt einiges im Argen, hat Prof. Dr. Andreas Gran beobachtet. Der Jurist, selbst Vater von drei Söhnen, hat deshalb ein Buch geschrieben, in dem er anhand von verschiedenen Lebenssituationen Rechtswissen für junge Menschen vereinfacht erklärt. Wir haben nachgefragt.

28. Mai 2025

NJW: Trotz der überragenden Bedeutung des Rechts kommt es im Lehrplan der Schulen allenfalls als Randthema vor. Woran liegt das?

Gran: Seit Jahren hemmen organisatorische und personelle Herausforderungen Bildungsreformen, also bleibt kaum Raum für neue Impulse. Angesichts fehlender Lehrkräfte wagt man sich an unsere anspruchsvolle Geisteswissenschaft wohl nicht heran, obwohl „Rechtskunde“ auch durch juristische Berufsträger, nebenberuflich oder ehrenamtlich, vermittelt werden kann. Herausfordernd dürfte zudem die Sorge der Lehrkräfte hinsichtlich inhaltlicher Überforderung sein. Die entsprechende Didaktik wäre Neuland. Recht wird bei der Ausbildung in Pädagogik grundsätzlich nur in eigener Sache als Schulrecht vermittelt. Lehrende haben deshalb Sorge, „falsch“ zu unterrichten. „Wer nichts macht, macht nichts falsch“ darf aber nicht das Ziel sein.

NJW: Es muss also etwas geschehen. Weshalb und was konkret?

Gran: Die Wissenslücken in der Bevölkerung sind so eklatant, dass Vielen bereits die Existenz unseres BGB nicht bekannt ist, also „Bürgerliches Recht ohne Bürger“. Es muss doch möglich sein, zumindest bis zum Abitur, aber gerne auch früher, schulisch allen jungen Menschen zu erklären, wo unsere rechtlichen Regelungen zu finden sind, und sie grob zu skizzieren. Politisch wurden zumindest allgemeine Versprechungen hinsichtlich der Modernisierung unserer Bildungslandschaft gemacht. Nun gilt es, etwas spürbar umzusetzen, trotz des administrativen Aufwands. Lehrkräfte müssen positiv ermutigt und selbst ausgebildet werden, damit auch ohne Lektüre der Fachkommentare leichtere Rechtsfragen vereinfacht beantwortet werden können, ohne „Wenn und Aber“. Sie sollten in gesellschaftsrelevanten Fächern aus eigener Motivation heraus Rechtsthemen ansprechen. Dann könnte Wissensdurst bei den „Beschulten“ aufkommen. Man könnte im Unterricht etwa fragen: „Wissen Sie, ob man gleich das Geld für ein defektes neues Handy zurückverlangen kann?“ Dazu muss aber in den Unterrichtsstunden signalisiert werden, dass solche Themen willkommen sind.

NJW: Stichwort Handy: Für welche Lebenssituationen müssten Jugendlichen Rechtsgrundlagen vermittelt werden?

Gran: Sie sollten insbesondere befähigt werden, in unserer Konsumgesellschaft auch wehrhaft zu sein. Basis ist nach meiner Einschätzung ein Grundverständnis des BGB, also insbesondere von Willenserklärungen, Geschäftsfähigkeit, Anfechtung, Widerruf, Vertretung, Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Gewährleistung und Haftung. Dazu habe ich eine empirische Untersuchung mit hunderten Befragten durchgeführt, wobei erhebliche Defizite nachweisbar waren. Der Großteil meint beispielsweise, ein Recht darauf zu haben, dass nur der angegebene Preis bezahlt wird. Natürlich sind auch öffentlich-rechtliche Grundlagen hilfreich, insbesondere beim Strafrecht, aber das sehe ich nicht als Kern an. Das ist selten jugendlicher Alltag.

NJW: Sie sind selbst Vater. Welche persönlichen Erfahrungen machen Sie, wenn Sie Ihren Kindern Recht vermitteln wollen? Interessiert sie das, oder finden sie das eher langweilig?

Gran: Teil der Schulbildung meiner Söhne war bzw. ist Rechtliches kaum, ein wenig Grundrechte, etwas Jugendstrafrecht allenfalls. Interesse verspüre ich aber immer bei Alltagssituationen. Dazu folgendes Beispiel: „Papa, ich will nicht am Sportcamp teilnehmen, aber es ist schon bezahlt. Aus allen Verträgen kommt man binnen zwei Wochen aber doch immer raus, oder?“ Der Älteste hat sich zumindest nicht abschrecken lassen und studiert Jura. Der Mittlere ist in der Oberstufe und fand das Manuskript zum Buch prima und verständlich. Der Jüngste war neugierig und saß mit zehn Jahren vor mir, um spielerisch einen Vertragsschluss zu besprechen. Ich meine deshalb schon, dass sich unaufdringlich Neugierde wecken lässt. In der Tat muss man dennoch aufpassen, dass juristisches Belehren nicht langweilt, am besten durch Bezugnahme auf Lebenssituationen, die gut vorstellbar sind.

NJW: Dann gehört Rechtskunde also ab einer bestimmten Klassenstufe verbindlich auf den Lehrplan?

Gran: Das meine ich durchaus. Allein auf intrinsische Motivation junger Menschen zu bauen, ist bei dieser komplexen Materie naiv. Unsere Gesellschaft basiert auf Regeln, und deren Verständnis ist geradezu existenziell für Solidarität. Da wir ohnehin die Schulpflicht haben, muss dies im Lehrplan etwa wie folgt umgesetzt werden: Vermittlung der wesentlichen Vorgaben des BGB zu Vertragsschlüssen und -störungen anhand von Praxisbeispielen. Für dieses Ziel würde ich in den Lehrplänen durchaus andere Bereiche streichen. Zumindest im meinem Leben spielten nämlich der Magnetismus und Feinheiten der zweiten Fremdsprache keine entscheidende Rolle, aber beim Kauf meines ersten Mopeds fehlte jegliches Know-how. Das sollte auch bei Lehrplänen bedacht werden, damit die jungen Menschen wirklich „nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen“.

NJW: Jugendliche sind heutzutage vor allem digital unterwegs, an einer Stelle bezeichnen Sie das Handy als „lebenswichtigste Ware für junge Menschen“. Läge da ein Online-Angebot nicht am nächsten?

Gran: Obwohl ich aus einer Generation komme, die als Jugendliche bereits den Walkman für eine große Errungenschaft hielt, muss die Schlagkraft des Internets eigentlich genutzt werden. Gedrucktes ist allerdings für mich immer noch die attraktivste Form des Wissenstransfers, und ein Buch in Händen zu halten sollte trotz Digitalisierung nicht vernachlässigt werden. Unsere jungen Menschen sind schon zu weit in die digitale Welt eingetaucht. Darum habe ich mich nicht für Podcasts entschieden, um mein Anliegen zu vermitteln. Vielleicht wäre das ein guter nächster Schritt. Bei meinen Untersuchungen zu Rechtskenntnissen habe ich aber bereits Online-Umfragen durch Links genutzt und dadurch junge Menschen quasi hinter dem Handy erreicht. Neben der Schulbildung ist es sicher hilfreich, im Internet geeignete Lernportale zu errichten.

NJW: Engagieren Sie sich über Ihr Buch hinaus für die Rechtsbildung junger Menschen?

Gran: Im Grunde habe ich meine Berufserfahrungen niedergeschrieben, da ich zwar als Wirtschaftsanwalt in Großkanzleien hauptberuflich arbeitete, aber für mich persönlich eine berufliche Weiche gestellt hatte. Deshalb habe ich seit elf Jahren als Hochschullehrer intensiven Kontakt zu jungen Menschen außerhalb der juristischen Fakultäten. In etwa 5.000 Stunden Vorlesungen zu rechtlichen Grundlagen habe ich versucht, didaktische Wege zu finden, um den Stoff effektiv zu vermitteln. Auch als Mitglied im Jugendhilfeausschuss habe ich mich eingebracht und in diesem Kreis vor den Vertretern von Institutionen der Jugendbildung und der Schulen für Rechtsbildung geworben. Das ist eine konstruktive Lebensaufgabe, für die ich dankbar bin.

NJW: Sie haben an anderer Stelle den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen von Rechtskunde für junge Menschen betont. Können Sie das konkretisieren?

Gran: In gesellschaftlicher Hinsicht wünsche ich mir eine sozialliberale Gemeinschaft, die nicht allzu viel „Obrigkeit“ braucht, um konfliktfrei zu funktionieren, in der wir Regeln kennen und autonom befolgen. In wirtschaftlicher Hinsicht streben wir nach „Privatautonomie“. Wenn aber Rechtskenntnisse fehlen, sind Konflikte oder Resignation vorprogrammiert, und dann kommt der frustrierte Hilferuf nach dem Staat. Verbraucher- und Mieterschutzverbände usw. sind wegen der Chancenungleichheit wichtig, aber breite Hilfe zur Selbsthilfe durch Bildung wäre besser. Beispiel: Vom Gesetz abweichende Vereinbarungen bei Kaufverträgen im B2C-Bereich sollten der Vertragsfreiheit unterliegen, sonst verkümmert die Eigenverantwortung. Solche gesetzgeberischen Eingriffe belasten die freie Marktwirtschaft. Sofern Rechtskompetenz zuvor allen schulisch vermittelt wurde, ist eigenverantwortliche Teilhabe am Wirtschaftsleben auch zumutbar. Mein gesamtes Anliegen basiert somit auf dem klassischen Ideal des aufgeklärten, kompetenten Menschen. 

Prof. Dr. Andreas Gran studierte Jura in Frankfurt a. M. und Brüssel. Seit 1997 ist er zur Anwaltschaft zugelassen. 2014 berief ihn die ISM International School of Management in Frankfurt a. M. zum Professor. Sein Buch „Rechtswissen für junge Menschen“ erscheint demnächst im Frankfurter Wochenschau-Verlag.

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Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.