Interview

Azubi-geprüfte Ausbildungskanzleien
Interview

Seit Jahren beklagen Anwaltskanzleien den Fachkräftemangel. So wird es für sie nicht nur schwieriger, geeignetes Personal zu gewinnen, auch die Zahl der Ausbildungsverträge im Berufsfeld der Rechtsanwaltsfachangestellten (ReFa) geht kontinuierlich zurück. Gegen diesen Trend hat sich die RAK Koblenz im November 2023 mit der Einführung des Qualitätssiegels „Azubi-Geprüft“ für Ausbildungskanzleien gestemmt, das mittlerweile auch von anderen Kammern vergeben wird. Lassen sich dadurch mehr Bewerber für eine Ausbildung zur ReFa gewinnen? Fragen an die Geschäftsführerin der Kammer, Melanie Theus.

14. Mai 2025

NJW: Wie viele Ausbildungsverträge zählt die RAK Koblenz aktuell? Und wie verhält sich diese Zahl zu der der Ausbildungsverträge von vor fünf bzw. zehn Jahren?

Theus: Im Jahr 2024 haben wir 92 neue Ausbildungsverträge registriert, vor fünf Jahren waren es noch rund 140 neue Verträge im Jahr, vor zehn Jahren ca. 200.

NJW: Beobachten Sie einen ähnlichen Trend bei der Entwicklung der Anzahl der ausbildenden Kanzleien?

Theus: Ja, wer keine Azubis mehr gefunden hat, hat sich notgedrungen anderweitig organisieren müssen.

NJW: Wie erklären Sie sich, dass die Ausbildung in Kanzleien sowohl für die Auszubildenden als auch für die Ausbilder heutzutage so wenig attraktiv ist?

Theus: Ausbildungszahlen sind branchenübergreifend rückläufig. Bezogen auf die ReFa-Ausbildung spielen meines Erachtens viele Aspekte eine Rolle: begrenzte Aufstiegschancen, Arbeitszeiten, im Branchenvergleich eine geringere Ausbildungsvergütung, insbesondere aber auch eine fehlende „Wohlfühlatmosphäre“, die zunehmend zu Ausbildungsabbrüchen führt.

NJW: War das mit ein Grund für die Einführung des Qualitätssiegels „Azubi-Geprüft“ vor knapp 1 ½ Jahren?

Theus: Im Rahmen eines Beitrags zu dem Thema, den ich zusammen mit einer Kollegin verfasst habe (BRAK Mitt. 2023, 212, Anm. d. Red.), sind wir Ursachen zu Ausbildungsabbrüchen nachgegangen. Insbesondere wurden dort auch Berichte eingearbeitet, die mir Azubis in meiner Eigenschaft als Berufsschullehrerin angetragen haben. Neben Kritik an der Vergütung wurde insbesondere auch deutlich, dass es vielen Azubis an Support und Wertschätzung in ihrer Ausbildung fehlt, Rechtsanwälte sich nicht sachgerecht in die Ausbildung einbringen und eine schlechte Behandlung der Auszubildenden zunimmt. Hierdurch entsteht natürlich ein schlechter Ruf der Anwaltschaft unter (angehenden) Auszubildenden insgesamt, worunter auch die Kanzleien bei der Suche nach neuen Auszubildenden leiden, die sich um diese vorbildlich kümmern. Ausgangspunkt für die Einführung des Siegels war es daher, den Fokus von den einzelnen Negativbeispielen im Ausbildungsmarkt wegzunehmen und die Ausbilder sowie Kanzleien hervorzuheben, die eine gewinnende und fördernde Arbeitsatmosphäre bieten und sich in der Ausbildung engagieren. Künftige Bewerber können durch das Siegel erkennen, dass vor ihnen schon mal ein „Gleichgesinnter“ diese Kanzlei positiv bewertet hat und mit seiner Ausbildung dort zufrieden war.

NJW: Vom wem ist diese Initiative seinerzeit ausgegangen?

Theus: „Azubi-Geprüft“ ebenso wie das Qualitätssiegel „geprüft von RA-Fachangestellten“ haben wir im Rahmen unserer Ausbildungsinitiative als Team in der Geschäftsstelle entwickelt. Insbesondere bei der Entwicklung der Fragen haben uns auch ReFas und Rechtsfachwirte aus unserem Bezirk unterstützt. Ich habe neben dem Jurastudium lange Zeit in der Werbung gearbeitet – wenn man etwas „verkaufen“ will, muss man den Käufer fragen. Am meisten beschäftigt hatte mich nach den Befragungen der Schüler also die Frage: „Woher weiß man denn, welche Kanzlei gut ausbildet und wo man gut behandelt wird?“

NJW: Und darauf soll das Siegel „Azubi-Geprüft“ Antworten geben. Welche Voraussetzung muss eine Ausbildungskanzlei erfüllen, um damit werben zu dürfen? Und welche Rolle spielen dabei die Auszubildenden?

Theus: Der Ausbilder muss nachweisen, an zwei Führungskräfteseminaren teilgenommen zu haben, das heißt sich selbstkritisch mit der eigenen Führungsrolle auseinandergesetzt zu haben. Der Antrag wird unterstützt durch eine/n in der Kanzlei beschäftigte/n Azubi, die/der die Antragsunterstützung durch die Beantwortung eines Fragebogens „Zufriedenheit als Azubi“ ausfüllt und unterschreibt. Hier werden gesetzlich zwingende Ausbildungsinhalte abgefragt und ob der Azubi im betreffenden Lehrjahr auch wirklich die dazugehörigen praktischen Arbeiten erledigen darf, wie etwa Rechnungen schreiben, Mahnsachen oder Zwangsvollstreckungsvorgänge bearbeiten. Daneben wird beispielsweise unter anderem bestätigt, dass eine Ausbildungsvergütung mindestens nach den aktuellen Vergütungsempfehlungen der RAK gezahlt wird. Eigentlich erteilt dann der Azubi das Siegel, denn er muss insbesondere bestätigen, dass er sich bei seinem Ausbilder gut unterstützt und gefördert fühlt.

NJW: Kann es auch wieder aberkannt werden?

Theus: Zunächst einmal darf die Kanzlei mit dem Siegel drei Jahre lang werben, eine Anschlusszertifizierung muss durch eine/n anderen Azubi unterstützt werden. Die Zertifizierung kann auch innerhalb dieses Zeitraums widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen zur Erlangung des Siegels nachträglich wegfallen oder Gründe bekannt werden, die eine Zertifizierung versagt hätten. Relevant, das heißt überprüfbar, würde dies also, wenn etwa Beschwerden von Azubis einer „Siegelkanzlei“ erfolgen.

NJW: Was können Sie uns zu dessen Erfolg sagen? Und wie lässt sich der überhaupt ermitteln?

Theus: Wir haben einen Rückgang der Ausbildungsabbrüche um 20 %, „Siegelkanzleien“, die Bewerber finden, Azubis und ReFas mittlerweile aus dem ganzen Bundesgebiet, die anrufen und sich bedanken. Insbesondere die Führungskräfteseminare, die die Ausbilder dazu absolvieren müssen, scheinen für beide Seiten einen fruchtbaren Boden für eine gemeinsame Kommunikation zu bilden. Außerdem haben viele Kammern das „Azubi-Siegel“ bereits übernommen. Trotzdem ist es noch ein langer Weg, aber ich glaube, es war ein guter Schritt in die richtige Richtung.

NJW: Unterstellen wir mal, ein Ausbilder wird von seinen Auszubildenden schlecht bewertet – suchen Sie dann das Gespräch mit ihm, um etwaige Missstände zu eruieren und abzustellen?

Theus: Das ist einer der Aspekte, der mich persönlich bei diesem Projekt am meisten begeistert. Veränderung im Ausbildungsbereich erreichen wir nur durch Kommunikation unter allen Beteiligten. Ausbilder, die ein Siegel haben möchten, müssen mit ihren Auszubildenden in Austausch treten, sie brauchen die Unterstützung mindestens eines Auszubildenden. Hierdurch können unausgesprochene Themen angegangen werden, und der Azubi erfährt, dass seine Meinung wichtig ist und gehört wird. Auch erhalten wir als Kammer dadurch die Möglichkeit, bei etwaigen Missständen in die Kommunikation eingebunden zu werden. Und selbstverständlich suchen wir dann das Gespräch und bieten Lösungsansätze; gerade dies gehört zu unseren Aufgaben als zuständige Stelle nach dem BBiG.

NJW: Mittlerweile bringen sich Anwälte vermehrt im Rahmen der Berufsberatung ein und gehen aktiv auf potenzielle Bewerberinnen und Bewerber zu. Was bringt das in Sachen Azubi-Mangel?

Theus: In keinem Berufszweig kann man sich heute noch zurücklehnen, Bewerber kommen nicht mehr automatisch. In einem guten Arbeitsklima sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe aufeinander zugehen. Es ist ein gutes Signal, dies bereits in der Bewerbersituation zu tun.

NJW: Was können Ausbildungskanzleien außerdem noch unternehmen, um dem Fachkräftemangel gegenzusteuern?

Theus: Kurz gesagt: Wertschätzung zeigen! Fragen Sie Ihre Angestellten und Auszubildenden, was Sie tun sollten, um für Gleichgesinnte attraktiver zu werden. Ein glücklicher Mitarbeiter ist der beste Botschafter Ihrer Kanzlei und ein Magnet für neue Fachkräfte.

Melanie Theus studierte Jura an der Universität zu Köln. Im Mai 2011 wurde sie zur Anwaltschaft zugelassen und ist seitdem als selbstständige Rechtsanwältin tätig. Seit Juli 2018 ist sie Geschäftsführerin der RAK Koblenz. Daneben engagiert sie sich in der ReNo-und ReFa-Berufsausbildung: An der BBSW – berufsbildende Schule Wirtschaft Koblenz unterrichtet sie das Lernfeld 12 (ZPO). Sie ist Mitglied des Prüfungsausschusses ReFa der RAK Koblenz und gehört dem Vorstand des Fördervereins der BBSW an.

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Interview: Monika Spiekermann.