Interview

Sonderdezernat Beziehungsgewalt
Interview

Über Gewalt in Beziehungen spricht man nicht. Dabei steigen die Fallzahlen nicht erst seit Corona kontinuierlich an. Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg hat man auf diese Entwicklung im März 2021 reagiert und eine Sonderabteilung geschaffen. Dort ermittelt Staatsanwältin Charlotte Buggenthin zusammen mit sieben Kolleginnen und Kollegen ausschließlich wegen Taten, die im Rahmen einer Beziehung begangen wurden. Ein Gespräch über einen Deliktsbereich mit hoher Dunkelziffer.

30. Apr 2025

NJW: Frau Buggenthin, Sie ermitteln bereits seit vielen Jahren ausschließlich wegen Straftaten im Rahmen von Beziehungen. Welche sind das genau?

Buggenthin: Unsere Abteilung ist immer dann zuständig, wenn der Auslöser einer Straftat in der jeweiligen Beziehung selbst liegt und das sachbearbeitende Landeskriminalamt die Bearbeitung in diesem staatsanwaltschaftlichen Sonderdezernat für erforderlich erachtet. Die Palette der Delikte ist dabei sehr vielfältig und kann von einem versuchten Tötungsdelikt über erpresserischen Menschenraub, den Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz bis hin zur falschen Verdächtigung oder Beleidigung reichen. Tagtäglich konfrontiert sind wir im Schwerpunkt mit sämtlichen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und gegen die persönliche Freiheit.

NJW: Was können Sie uns zum typischen Täter bzw. zur typischen Täterin sagen? Gibt es den/die überhaupt? Und wie sieht es mit den Opfern aus?

Buggenthin: Die Frage nach der Tätertypologie ist eine große. Ich erlaube mir für die häufigste Konstellation – heterosexuelle Beziehung, Täter ist der Mann, das Opfer Frau – herunterzubrechen, dass es auf Täterseite die Geschichte eines irgendwie gearteten oder empfundenen eigenen Scheiterns zu sein scheint, die zusätzlich auf Aggressivität und/oder Misogynie trifft. Eine Sozialisation in patriarchalischen Strukturen macht meiner Meinung nach zusätzlich anfälliger für derartige Verhaltensweisen. Ebenso sind Eifersucht, empfundene Kränkung, Besitzdenken und Machtansprüche häufig Ursachen für physische und psychische Gewaltausübung durch den Täter. Opfer von Beziehungsgewalt kann letztlich jede oder jeder von uns sein.

NJW: Wie viele Anzeigen erreichen Ihr Dezernat im Jahr, und in wie vielen Fällen erfolgt eine Verurteilung?

Buggenthin: In den letzten drei Jahren waren in unserer Abteilung pro Jahr jeweils über 8.000 Neueingänge (Js-Verfahren) zu verzeichnen. 2022 wurden 496 Beschuldigte, vorletztes Jahr 427 Beschuldigte angeklagt. Hinsichtlich 748 (2022) und 614 (2023) Beschuldigter wurde der Erlass eines Strafbefehls beantragt. Im Jahr 2022 wurden über 780 Beschuldigte, 2023 knapp 570 Beschuldigte rechtskräftig verurteilt.

NJW: Oft werden Ermittlungen eingestellt bzw. scheitert eine Verurteilung, weil Betroffene Anzeigen zurücknehmen oder in der Hauptverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Ärgerlich, oder?

Buggenthin: Als Staatsanwältin ist es meine vorrangige Aufgabe, Straftaten aufzuklären und zu verfolgen. In unserem Deliktsbereich ist allerdings das wichtigste Beweismittel der von der Straftat betroffene Mensch, und dieser ist komplex und agiert individuell. Versetzt man sich vor dem Hintergrund einer einmal oder noch immer geführten Beziehung in die Lage von Zeugen, die vor der Polizei oder dem Gericht der Wahrheitspflicht unterliegen und nun Rede und Antwort stehen sollen, empfinde ich großes Verständnis für diese Zwangslage. In diesem Kontext ist allerdings wichtig herauszustellen, dass Anzeigende oder Zeugen bei einem später nicht mehr vorhandenen Strafverfolgungsinteresse regelhaft keinen Einfluss mehr nehmen können, ob weiter ermittelt wird und diese Taten angeklagt werden oder nicht. Diese Entscheidung obliegt der Staatsanwaltschaft. Wenn beispielsweise Straftaten im Beisein von Kindern begangen werden, bejahen wir generell das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung. Die Zeugin oder der Zeuge bleiben dann, manchmal auch gegen deren Willen, zu einer Aussage verpflichtet.

NJW: Vorausgesetzt, sie berufen sich nicht auf § 52 StPO. Da ist man doch als Anklägerin bestimmt ungehalten, oder?

Buggenthin: Die Berufung von Angehörigen des Beschuldigten darauf bedeutet für meine tägliche Arbeit häufig den Wegfall des entscheidenden Nachweises der Straftat. Wenn viel Ermittlungsarbeit in ein solches Verfahren geflossen ist, mag dies kurzfristig enttäuschend sein. Insbesondere wenn ich nach vorläufiger Würdigung des Sachverhalts überzeugt war, dass diese Straftaten tatsächlich begangen wurden. Ein Vorwurf an die Betroffenen ist es dabei aber niemals. In Fällen eines plötzlich behaupteten Verlöbnisses hinterfragen wir – und auch die Gerichte – das tatsächliche Vorliegen eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts aber sehr genau. Im Blick behalten wird auch, ob die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht freiwillig oder auf Druck des Beschuldigten hin erfolgt.

NJW: Wie nehmen Sie die Verteidiger der Beschuldigten bzw. Angeklagten wahr?

Buggenthin: Eine offen konfrontative Verteidigung ist in den Fällen von Beziehungsgewalt oder Sexualdelikten glücklicherweise die Ausnahme, aber es gibt sie. Den Versuchen, die Zeugin oder den Zeugen im Rahmen des Fragerechts der Verteidigung gezielt zu verunsichern oder gar zu diskreditieren, treten wir in den Hauptverhandlungen selbstbewusst entgegen. Gleichzeitig darf und muss die Verteidigung gerade in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen auch kritisch nachfragen und auf Widersprüche bei Zeugenaussagen hinweisen können. Es ist dann eine Frage des Umgangs der Prozessbeteiligten miteinander, eine solche Hauptverhandlung für die Zeugen nicht unerträglich werden zu lassen.

NJW: Was können Sie uns zur Dunkelziffer im Kontext mit Beziehungsgewalt sagen?

Buggenthin: In diesem Jahr werden erste Ergebnisse einer neuen umfassenden Dunkelfeldstudie des Bundesfamilienministeriums zur Gewaltbelastung von Männern und Frauen erwartet. In unseren Ermittlungsverfahren kommt es nicht selten vor, dass Zeugen im Rahmen ihrer ausführlichen kriminalpolizeilichen Vernehmung von weiteren Taten aus der Vergangenheit berichten. Sollte insoweit nicht das Strafverfolgungshindernis der Verjährung vorliegen, gelingt es so im Einzelfall, das Dunkelfeld teilweise zum Hellfeld zu machen.

NJW: Immer wieder wird mit Blick auf häusliche Gewalt die Einführung der elektronischen Fußfessel gefordert. Würde das den Opferschutz tatsächlich verbessern?

Buggenthin: Die praktische Umsetzung der elektronischen Fußfessel scheitert derzeit an den hohen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Maßnahme. Es muss eine unmittelbare Gefahr – keine abstrakte – für Leib oder Leben des Opfers bestehen. Bei derartigen Sachlagen greifen dann aber auch andere, möglicherweise geeignetere Maßnahmen. Beispielsweise der Präventivgewahrsam oder der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 112a I Nr. 2 StPO durch das Ermittlungsgericht. Interessant für uns sind die Erfahrungen, die insoweit in Spanien gemacht werden. Seit Einführung der elektronischen Fußfessel im Bereich der Beziehungsgewalt, insbesondere bei Nachstellung, soll es dort zu keinem Fall eines Tötungsdelikts mehr durch den Täter gekommen sein. Allerdings besteht in Spanien auch ein engmaschiges Überwachungs- und Reaktionsnetz im Rahmen der Anwendung dieser Maßnahme.

NJW: Wenn man sich die Delikte ansieht, mit denen Sie Tag für Tag konfrontiert sind, fragt man sich, weshalb Sie sich ausgerechnet auf Beziehungsgewalt spezialisiert haben.

Buggenthin: Vermutlich ist ein entscheidender Aspekt – auch nach so vielen Jahren noch – eine gewisse Empörung über dieses gesellschaftliche und weiterhin sehr vielschichtig existierende Deliktsfeld. Meine Arbeit ermöglicht mir zudem in Teilen, nicht nur das rein Rechtliche an einer Straftat zu sehen und abzuarbeiten. Mich trägt insbesondere der Austausch mit meinen Kollegen aus der Abteilung, mit der Polizei und weiteren Verfahrensbeteiligten. In den Jahren sind für mich kontinuierlich deutliche Veränderungen und Verbesserungen in Sachen Opferschutz sichtbar geworden. Ich bin gern, wenn auch ein kleiner, Teil davon. 

Nach Jurastudium und Referendariat war Charlotte Buggenthin zunächst als Rechtsanwältin sowie als Justiziarin in einem Unternehmen tätig. Der Staatsanwaltschaft Hamburg gehört sie seit 2007 an; seit elf Jahren ist sie auf Ermittlungen im Bereich Beziehungsgewalt spezialisiert.

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.

Interview: Monika Spiekermann.