Interview

Politisches Weisungsrecht noch zeitgemäß?
Interview

Am politischen Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten scheiden sich die Geister. Während die Kritiker es gerade mit Blick auf das Erstarken antidemokratischer Kräfte für gefährlich erachten, sehen die Befürworter in einer Abschaffung einen Widerspruch zum Demokratieprinzip. Brandenburg geht nun einen Mittelweg und hat im Februar neue Transparenzregelungen zum Weisungsrecht geschaffen, um insbesondere die Unabhängigkeit der Strafverfolgung weiter zu festigen. Ob das gelungen ist, haben wir uns zusammen mit Dr. Jürgen Brauer, Generalstaatsanwalt in Koblenz a. D., angesehen.

16. Apr 2025

NJW: Zunächst sollten wir klären, unter welchen Voraussetzungen ein Justizministerium per Weisung Einfluss auf staatsanwaltliche Ermittlungen nehmen kann.

Brauer: Das Weisungsrecht ist in §§ 146, 147 GVG geregelt. Allgemein wird zwischen dem internen und dem externen Weisungsrecht unterschieden. Unter dem internen Weisungsrecht (§ 146 GVG) versteht man Weisungen innerhalb der Staatsanwaltschaften, also Weisungen der Behördenleitung an Staatsanwältinnen und -anwälte. Die Weisungen können sowohl allgemeine Rechtsfragen betreffen als auch im Einzelfall in Bezug auf die Sachbearbeitung eines bestimmten Verfahrens ergehen. Das gilt entsprechend im Verhältnis zu den Generalstaatsanwaltschaften. Als externes Weisungsrecht wird das des zuständigen Ministeriums gegenüber den Staatsanwaltschaften bezeichnet. Es ist in § 147 Nr. 1 GVG für den Bundesjustizminister gegenüber dem Generalbundesanwalt und in § 147 Nr. 2 GVG für das Landesjustizministerium gegenüber den Landesstaatsanwaltschaften geregelt. Aus dem Gesetzeswortlaut „Recht der Aufsicht und Leitung“ folgt nicht nur eine umfassende hierarchische Kontrollbefugnis staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit, sondern auch das Recht, konkrete Anweisungen in einem speziellen Verfahren zu erteilen. Lediglich die Ersatzvornahme, die in § 145 GVG geregelt ist, steht den Ministerien nicht zu, da sie selbst keine staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen ergreifen können.

NJW: Heißt das, dass im Einzelfall auch ein Durchgriff vom Ministerium auf den bearbeitenden Staatsanwalt möglich ist?

Brauer: Ja, im Einzelfall könnte tatsächlich eine ministerielle Weisung unmittelbar an den bearbeitenden Staatsanwalt – unter Umgehung der Generalstaatsanwaltschaft und der jeweiligen Behördenleitung – ergehen. Das erscheint mir aber als eine nur sehr theoretische Möglichkeit. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass jemals in der Praxis eine solche Weisung erteilt worden wäre.

NJW: Wie oft wurden Sie in Ihrer Zeit als Generalstaatsanwalt angewiesen bzw. haben derartige Weisungen erteilt?

Brauer: Weisungen des Ministeriums allgemeiner Art, die in Form von Rundschreiben oder Verwaltungsvorschriften ergehen, sind nichts Ungewöhnliches. Sie regeln beispielsweise Berichtspflichten, die Organisation der Staatsanwaltschaften, aber auch den Umgang mit entlassenen und noch für gefährlich erachteten Straftätern oder die Mindestverbüßungsdauer bei einer Entscheidung nach § 456a StPO (Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung) sowie vieles mehr. Dagegen ist mir in den fast neun Jahren meiner Amtszeit als Generalstaatsanwalt keine einzige Weisung zur Sachbehandlung eines konkreten Verfahrens erteilt worden. Das gilt erst recht für eine Weisung, die „über meinen Kopf hinweg“ unmittelbar einer Staatsanwaltschaft oder gar direkt einem Dezernenten erteilt worden wäre. Dagegen habe ich selbst durchaus Weisungen erteilt. Solche zur Sachbehandlung im Allgemeinen hatten nicht selten die Form von Handreichungen, etwa zur Anwendung der §§ 153, 153a StPO, zur Behandlung von Haftsachen oder zur Auslegung des öffentlichen Interesses in § 376 StPO. Es gab aber auch Weisungen zur Sachbearbeitung im Einzelfall. Regelmäßig betraf dies Fälle, mit denen die Generalstaatsanwaltschaft auf eine Beschwerde nach § 172 I StPO, im Berichtswege, im Rechtsmittelzug oder bei einer Geschäftsprüfung befasst wurde.

NJW: Wie bewerten Sie das Weisungsrecht angesichts der zunehmenden Erstarkung extremistischer Kräfte?

Brauer: Ich sehe das externe Weisungsrecht sehr kritisch, und das unabhängig vom Erstarken extremistischer Kräfte. Es diskreditierte schon immer die Arbeit der Staatsanwaltschaften. Und so wird es bleiben, solange die Möglichkeit politischer Einflussnahme auch nur im Raume steht. Namentlich in spektakulären, die Öffentlichkeit stark bewegenden Fällen oder involvierten prominenten Personen wird eine unabhängige, nur an sachlichen Kriterien orientierte Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Zweifel gezogen oder vorauseilender Gehorsam unterstellt werden können. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass die Generalstaatsanwälte – anders als der Generalbundesanwalt – immerhin keine politischen Beamten mehr sind.

NJW: Brandenburg will die Unabhängigkeit der objektivsten Behörde der Welt mithilfe von Transparenzregeln stärken. Wie soll das gelingen?

Brauer: Der Justizminister in Brandenburg hat seine Allgemeinverfügung zu den Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften dahin ergänzt, dass Weisungen der Textform bedürfen und zu den Akten zu nehmen sind. Das soll Mutmaßungen über politische Einflussnahmen den Boden entziehen.

NJW: Sind die Staatsanwälte dort nun gegen unzulässige Einflussnahmen geschützt?

Brauer: Das erscheint aus meiner Sicht zweifelhaft. Das im GVG normierte Weisungsrecht findet seine Grenzen auch jetzt schon im Legalitätsprinzip. Nach einhelliger Auffassung darf die Weisung zudem weder sach- noch rechtswidrig sein. Daran ändern auch ministerielle Verfügungen nichts. Im Hinblick auf die beschränkten Einsichtsrechte in die Verfahrensakten und die dienstlichen Geheimhaltungspflichten gewährleistet die Regelung zudem nur eine sehr limitierte Transparenz. Außerdem ist es dem Ministerium unbenommen, im Einzelfall von seiner eigenen Anordnung abzuweichen.

NJW: Nicht nur Sie, auch der EuGH und die EU-Kommission sehen das Weisungsrecht kritisch. Lässt sich dieser Kritik mit Transparenzregeln begegnen?

Brauer: Klare Antwort: Nein. Der EuGH hat 2019 wegen der Weisungsgebundenheit die Unabhängigkeit deutscher Staatsanwälte grundsätzlich in Zweifel gezogen und ihnen deshalb das Recht, Europäische Haftbefehle auszustellen, aberkannt. Ich befürchte, dass an dieser Auffassung wie auch immer gestaltete Transparenzregeln nichts ändern. Denn im Kern bleibt das Weisungsrecht unverändert erhalten.

NJW: Einige Bundesländer haben sich zu §§ 146, 147 GVG interne Richtlinien gegeben, andere wollen ganz auf den Einsatz von Weisungen verzichten oder diese zumindest transparenter machen. Muss hier nicht quasi zwingend eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen werden?

Brauer: Für eine bundeseinheitliche Regelung würde sich eine Ergänzung der RiStBV anbieten. Damit wäre aber das grundsätzliche Problem nicht gelöst. Transparenzregeln mögen ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein. Sie beseitigen aber nicht die Ursachen des Übels, sondern versuchen, die Symptome zu lindern. Nach meinen Erfahrungen gibt es selbst unter deutschen Generalstaatsanwältinnen und -staatsanwälten keine einheitliche Auffassung zum Weisungsrecht. Ich habe daher Bedenken, dass sich die Länder auf eine einheitliche Lösung verständigen könnten.

NJW: Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat im Sommer 2024 einen Entwurf vorgelegt, der Weisungen nur noch zur Verhinderung rechtswidriger Entscheidungen, soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht, oder im Bereich der Ermessensausübung vorsieht. Ist das eine geeignete Grundlage für eine bundeseinheitliche Regelung?

Brauer: Aus den genannten Gründen sehe ich auch dieses Gesetzesvorhaben sehr kritisch. Zunächst ändert es nichts an der materiellen Rechtslage. Hinzukommt, dass bisher ministerielle Weisungen politisch immer riskant waren, weshalb offensichtlich nur sehr selten hiervon Gebrauch gemacht wurde. Die geplante detaillierte Ausgestaltung des Weisungsrechts im GVG könnte diese Hemmschwelle senken, denn wer will ernsthaft gegen die Anwendung geltenden Rechts Vorbehalte erheben? Im Ergebnis könnte die Änderung die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften nicht stärken, sondern geeignet sein, selbst eine Weisung im Einzelfall unter Verweis auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung zu legitimieren.

Dr. Jürgen Brauer war von März 2014 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Ende 2022 Leiter der Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz.

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Interview: Monika Spiekermann.