NJW: Waren die Bauernproteste auch eine Herausforderung für die Rechtsabteilung Ihres Verbands?
Müller-Ruchholtz: In einem Land, das so reich an rechtlichen Vorgaben ist wie Deutschland, ergeben sich natürlich auch im Zusammenhang mit Demonstrationen zahlreiche Fragen aus der Mitgliedschaft.
NJW: Welche waren bzw. sind das konkret?
Müller-Ruchholtz: Wir haben schon in den letzten Jahren vermehrt Kontakt zu den Ordnungsbehörden gehabt. Die Anmeldung von Versammlungen und die Abstimmung mit Polizei und Ordnungsämtern hat eine gewisse Routine. Der Bauernverband Schleswig-Holstein hat bewusst auf Blockadeaktionen jeder Art verzichtet und überwiegend Kolonnenfahrten und Mahnfeuer angemeldet. Zu den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen haben wir unsere Mitglieder mit Merkblättern und über unsere Verbandszeitschrift informiert. Bei den Fahrten spielen zum Beispiel die Regelungen der StVO zum geschlossenen Verband oder Fragen zur Kfz-Versicherung eine Rolle. Nach unserer Auffassung durften die Fahrten auch mit grünem Kennzeichen durchgeführt werden, da es sich bezogen auf die vorliegenden Zwecke und Ziele der Demonstrationen (Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung) um landwirtschaftliche Belange handelt, so dass die Verwendung im Zusammenhang und im Rahmen des Betriebs eines landwirtschaftlichen Unternehmens stattfand. Mahnfeuer sind durch die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG als eine besondere Form der Kundgebung einer gemeinsamen Überzeugung gedeckt. Bestimmungen des Abfall- (KrWG, PflAbfVO-SH), Naturschutz- (LNatSchG, BNatSchG), Immissions- (LImschG, BImSchG) und Brandschutzrechts (WaldSchV-SH, BRSchG-SH) sind natürlich mitzudenken.
NJW: Beraten Sie auch Landwirte, gegen die im Zuge der Proteste etwa wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt wird?
Müller-Ruchholtz: Bei den vom Bauernverband Schleswig-Holstein angemeldeten und durchgeführten Aktionen wurden Autobahnen oder deren Auffahrten nicht genutzt oder blockiert. Bislang hat uns keine entsprechende Anfrage seitens der Mitglieder erreicht.
NJW: Kritiker haben die Angemessenheit der Demonstrationen mit Treckern infrage gestellt. Zu Recht?
Müller-Ruchholtz: Trecker sind das herausragende Symbol für die Landwirtschaft und verschaffen die notwendige Aufmerksamkeit für die berechtigten Anliegen der Landwirte. Gleichwohl kommt es bei deren Einsatz schnell zu (Verkehrs-)Beeinträchtigungen für die Bevölkerung, so dass ein maßvoller Einsatz geboten ist.
NJW: Schlagzeilen machten auch die Blockade einer Fähre, auf der sich Vize-Kanzler Robert Habeck befand. Ende letzten Jahres fuhren aufgebrachte Landwirte mit ihren Traktoren vor dem Privathaus der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin vor. Wie bewerten Sie derartige Aktionen rechtlich?
Müller-Ruchholtz: Wir waren an der Aktion in Schlüttsiel nicht beteiligt und haben uns umgehend davon distanziert. Das können Sie auch auf unserer Homepage www.Bauern.SH nachlesen. Das Bedrängen und Bedrohen von Politikern untergräbt den demokratischen Diskurs und hilft uns bei der Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen nicht. Gewalt darf niemals ein Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein. Ob es zu strafrechtlich relevanten Vorkommnissen gekommen ist, klären Polizei und Staatsanwaltschaft.
NJW: Haben Sie als Verband Möglichkeiten, um gegen Mitglieder vorzugehen, die mit ihren Aktionen die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschreiten?
Müller-Ruchholtz: Unsere Satzung bietet uns die Möglichkeit, Mitglieder auszuschließen, deren Verhalten das Ansehen oder die Interessen des Bauernverbandes schädigt. In meiner Zeit im Verband musste diese Regelung allerdings noch nie angewendet werden.
NJW: Die Proteste haben insgesamt stark polarisiert. Waren Sie als Rechtsabteilungsleiter mit eher kritischen oder eher zustimmenden Reaktionen konfrontiert?
Müller-Ruchholtz: Wir haben außerordentlich viel Zuspruch erhalten, auch von Menschen, die nicht unmittelbar etwas mit der Landwirtschaft zu tun haben. Es gab aber auch Reaktionen, die die Grenze von Beleidigung und Bedrohung deutlich überschritten haben.
NJW: Was sind eigentlich die Hauptaufgaben der Rechtsabteilung des Verbands, wenn keine Proteste stattfinden?
Müller-Ruchholtz: Der Bauernverband Schleswig-Holstein ist ein eingetragener Verein, der die berufsständische Interessenvertretung der Landwirtschaft wahrnimmt. Mit gut 16.000 Mitgliedern sind über 80 % der landwirtschaftlichen Betriebe freiwillig bei uns Mitglied, einschließlich Altenteilern, Verpächtern und Junglandwirtinnen und Junglandwirten. Wir betreuen unsere Mitglieder an zehn Standorten in zwölf unselbstständigen Kreisbauernverbänden und der Hauptgeschäftsstelle in Rendsburg, in der auch die Rechtsabteilung angesiedelt ist. Unsere Arbeit fußt im Wesentlichen auf zwei Säulen, nämlich der agrarpolitischen Interessenvertretung und der einzelbetrieblichen Beratung. Agrarpolitisch ist die Rechtsabteilung vor allem im Rahmen von Stellungnahmen zu Gesetzen und Verordnungen gefordert. Von dieser Arbeit „am Gesetz“ profitieren wir sodann bei der Beratung der Betriebe. Mit unserem fünfköpfigen Team sind wir bei allen betriebsbezogenen Rechtsfragen Ansprechpartner. Die Vielfalt der Problemstellungen ist dabei nahezu unbegrenzt und entstammt fast allen Bereichen des öffentlichen und zivilen Rechts. Das Agrarrecht bietet eine große Anzahl von Spezialregelungen in nahezu allen Rechtsbereichen.
NJW: Was heißt das jetzt konkret mit Blick auf die Rechtsfragen und -probleme, mit denen Sie und Ihre Kollegen tagtäglich zu tun haben?
Müller-Ruchholtz: Eigentlich gibt es nichts, was es bei uns nicht gibt. Vom abgefallenen 25 km/h-Schild am Anhänger bis zur GEMA-Gebühr beim Bauernball. Wir beraten im Erbrecht mit den Besonderheiten der Höfeordnung, im Landpachtrecht und im Bau- und Immissionsschutzrecht. Das privilegierte Bauen im Außenbereich nach § 35 BauGB und die TA-Luft bieten reichlich Fallstricke. Die Landwirtschaft hat ein eigenes Sozialversicherungssystem, und Fragen und Beratung zur Landwirtschaftlichen Alterskasse, Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Berufsgenossenschaft gehören zur alltäglichen Routine. Straßenausbaubeitragsrecht, Gesellschaftsgründungen und die unzähligen Vorschriften und Vorgaben für landwirtschaftliche Betriebe im Wasser-, Umwelt- und Naturschutzrecht einschließlich der Stellungnahmen bei Schutzgebietsausweisungen bieten ein vielfältiges Betätigungsfeld. Und schlussendlich ist wohl kaum ein anderer Rechtsbereich so stark durch europäisches Recht geprägt wie das Agrarrecht. Besonders stark wahrnehmbar ist dies im EU-Prämienrecht. Aber auch das Düngerecht mit den vielfältigen Dokumentations- und Nachweispflichten und zum Beispiel die zahlreichen Vorschriften im Lebensmittel-, Tierschutz- und Futtermittelrecht werden maßgeblich in Brüssel geschmiedet.
NJW: Wie sind Sie seinerzeit eigentlich zu dem Verband gekommen und welche zusätzliche (fachliche) Qualifikation muss jemand mitbringen, der dort als Jurist arbeiten möchte?
Müller-Ruchholtz: Für mich war die große Bandbreite der Beratungstätigkeit und die politische Komponente attraktiv. Als ich dann über die Stellenausschreibung stolperte, hat alles gepasst. Landwirtinnen und Landwirte sind eine tolle Mandantschaft, aber auch sehr fordernd. Wie so oft im Leben bilden gemeinsame Werte die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Notwendig für unsere Arbeit ist politisches Interesse und Verständnis für unseren Parlamentarismus. Landwirtschaftliche Kenntnisse sind nicht notwendig. Im Bauernverband Schleswig-Holstein sind die Referate zur Hälfte mit Juristen und Juristinnen und zur anderen Hälfte mit Agraringenieurinnen und Agraringenieuren besetzt. Da findet von beiden Seiten viel Wissensaustausch statt und fördert eine symbiotische Arbeitsweise. Übrigens, demnächst ist bei uns wieder eine freie Stelle in der Rechtsabteilung zu besetzen.
Der gebürtige Schleswig-Holsteiner Michael Müller-Ruchholtz studierte Jura in Hamburg; dort leistete er auch sein Referendariat ab. Seit Mai 2000 ist er in der Rechtsabteilung des Bauernverbands Schleswig-Holstein e. V. tätig; Anfang September 2010 hat er deren Leitung übernommen und wurde zudem zum stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Verbands befördert.
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