Interview
Die deutsche Stimme der Global Legal Voice
Interview

Anfang nächsten Jahres bekommt die International Bar Association (IBA) mit Prof. Dr. Jörg K. Menzer, Partner bei Noerr, einen neuen Vizepräsidenten. Er ist dort kein Unbekannter, engagiert sich seit vielen Jahren in der führenden internationalen Vereinigung von Rechtsanwälten, Rechtsanwaltskammern und Kanzleien. Wir haben seine Wahl Ende September zum Anlass genommen, um uns mit ihm über seine neue Funktion in Zeiten fortschreitender Angriffe auf rechtsstaatliche Grundsätze zu unterhalten.

13. Nov 2024

NJW: Zunächst einmal Gratulation zu Ihrer neuen Funktion in der IBA. Bevor wir uns darüber unterhalten, wäre es gut, wenn Sie unseren Lesern in aller Kürze Aufgaben und Bedeutung der IBA erläutern könnten.

Menzer: Die IBA wurde 1947 gegründet, inspiriert durch die United Nations (UN). Mehr als 180 Anwaltskammern aus 175 Ländern, 80.000 Kolleginnen und Kollegen sowie 300 der größten Anwaltsgesellschaften weltweit sind in der IBA organisiert. Ziel ist es, dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit Geltung zu verschaffen und die Unabhängigkeit der Justiz zu schützen. Im Rahmen von Fachtagungen werden Guidelines und Empfehlungen zum internationalen Recht entwickelt. Das IBA Human Rights Institute (HRI) engagiert sich global für Kolleginnen und Kollegen, die für die Einhaltung der Menschenrechte eintreten, und unterstützt Anwältinnen und Anwälte, die von staatlicher Verfolgung betroffen sind. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Kanzleien und Anwaltskammern bietet die IBA eine Plattform zum Austausch und Kontakte in der ganzen Welt. Fachspezifische Ausschüsse, wie etwa zum Law Firm Management, zu Arbitration oder zu LGBTQI+, um nur wenige zu nennen, arbeiten an aktuellen Themen, veranstalten Fachtagungen und tauschen sich in regionalen Foren aus. Diese Arbeit wird durch Partnerschaften mit Organisationen wie der UN, der OECD, der Weltbank, der WHO etc. abgerundet. Über die Mitgliedsorganisationen wie etwa der BRAK und dem DAV findet ein reger Austausch zu regulatorischen Fragen ebenso statt wie die Kommunikation zu den dort organisierten Kolleginnen und Kollegen.

NJW: Wie viele deutsche Mitglieder hat die IBA?

Menzer: Grundsätzlich sind alle 165.000 Anwältinnen und Anwälte in Deutschland Mitglieder der IBA, da die BRAK und der DAV sogenannte Membership Organisations der IBA sind und damit alle Kolleginnen und Kollegen in der IBA repräsentieren. In den Group Member Firms und als Einzelanwältinnen und -anwälte engagieren sich rund 10.000 Kolleginnen und Kollegen.

NJW: Wie funktioniert die Meinungsbildung in einer derart großen Organisation, die Anwälte aus den unterschiedlichsten Rechtssystemen repräsentiert?

Menzer: Die IBA wird vom Council geleitet. Darin sind die Membership Organisations, die sogenannten Chairs der Divisions der IBA sowie der IBA-Vorstand vertreten. Im Council werden Fragen zur Policy diskutiert und Resolutionen der IBA verabschiedet. Diese Meinungsbildung wird in den Divisions der IBA vorbereitet. Die IBA ist daher als NGO einerseits eine Bottom-Up und andererseits teilweise eine Top-Down strukturierte Organisation. So wird sichergestellt, dass auf allen Ebenen Rechtsansichten aus allen Kontinenten der Welt berücksichtigt werden.

NJW: Wie relevant ist die Arbeit der IBA für die deutsche Anwaltschaft?

Menzer: Sehr! In der IBA wird internationales, europäisches und nationales Recht weiterentwickelt sowie die Unabhängigkeit unseres Berufsstands – zusammen mit der Standesvertretung der deutschen Anwaltschaft und ihrer Kolleginnen und Kollegen weltweit – verteidigt. Diese Basis ist fragiler, als wir oft denken. Ohne eine unabhängige Anwaltschaft und Justiz kann die deutsche Anwaltschaft weder national noch international tätig sein.

NJW: Was bedeuten die aktuellen geopolitischen Spannungen sowie das Erstarken rechtsextremer Kräfte in Europa für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, und welche Möglichkeiten hat die IBA, diese zu verteidigen?

Menzer: In der IBA sehen wir – ich hatte auf das HRI bereits hingewiesen – die tagtäglichen Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Anwaltschaft. Nicht nur in autokratischen Regimen, die leider immer stärker werden, sondern auch in Europa. Hier unterstützt die IBA die in ihr organisierten Kammern und einzelne Kolleginnen und Kollegen. Es gibt direkte Interventionen, Prozessbeobachtungen und Pressemitteilungen. Direkte Gespräche mit Organisationen wie der UN, der OECD oder der Weltbank, aber auch mit Regierungen sind Mittel, Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit abzuwehren.

NJW: Sie engagieren sich bereits seit vielen Jahren in der IBA. Weshalb eigentlich, und wie viel Zeit verwenden Sie darauf?

Menzer: In der IBA bin ich seit 20 Jahren aktiv und hatte das Privileg, in verschiedenen Funktionen zu dienen. Ich habe fachlich viel gelernt, Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt getroffen und Rechtssysteme und -kulturen besser verstanden. Mein Netzwerk an beruflichen Kontakten ist durch die IBA global geworden. Vor diesem Hintergrund kann ich dazu beitragen, Entwicklungen voranzubringen, sei es in fachlicher Hinsicht, sei es im Hinblick auf die Stärkung der „Rule of Law“. Selbstverständlich ist der Zeitaufwand stark angestiegen und wird als Vize-Präsident noch intensiver.

NJW: In dieser Zeit gab es doch bestimmt „Meilenstein-Projekte“, an denen Sie mitgearbeitet haben. Welche waren das? Und hatten diese Auswirkungen für die deutsche Anwaltschaft?

Menzer: Die Einführung der Sustainable Developement Goals (SDGs) der UN in der IBA und die Entwicklung eines strategischen Plans, um sie zukunftsfest zu machen, sind Highlights meiner Arbeit, ebenso wie die Reformierung des Rule of Law Committees oder die Stärkung der Bedeutung von Themen wie Law Firm Management, Human Rights und Access to Justice. Ferner habe ich die Rolle der Membership Organisations innerhalb der IBA vorangebracht. Hier war und ist die Zusammenarbeit mit der BRAK und dem DAV hervorragend. All dies hat die Rolle der deutschen Anwaltschaft in ihrer globalen Wahrnehmung gestärkt.

NJW: Wie wird sich Ihre neue Position bei der IBA auf die Mandatsarbeit auswirken?

Menzer: Um eine führende Position in einer Organisation wie der IBA innezuhaben, darf die Mandatsarbeit nicht zu kurz kommen. Die Kombination aus Funktion und fachlicher Kompetenz ist für Mandanten interessant – sie erkennen an, dass „ihr“ Anwalt international vernetzt ist und weltweit unterstützen kann.

NJW: Ihre Kanzlei will Sie in Ihrer neuen Rolle unterstützen. Gibt es dazu bereits Überlegungen?

Menzer: Meine Partnerinnen und Partner haben mich seit Jahren auf meinem Weg unterstützt und mir die notwendigen Freiräume gelassen, diese Arbeit leisten zu können. Für Noerr ist es wichtig, weltweit zum Erhalt des Prinzips des Rule of Law beizutragen. Gerade als international agierende deutsche Kanzlei ist dies für uns alle bei Noerr eine hervorragende Möglichkeit, unseren eigenen Prinzipien gerecht zu werden.

NJW: Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

Menzer: Der Claim der IBA lautet: „The Global Voice of the Legal Profession“. Dieser Stimme möchte ich noch mehr Gehör verschaffen. Zum einen durch die Fortsetzung der hervorragenden Arbeit meiner Vorgängerinnen und Vorgänger, zum anderen mit Hilfe der Membership Organisation und deren Interaktion mit ihren Mitgliedern in ihren Jurisdiktionen. Die Stärkung der Position der IBA bei internationalen Institutionen wie der UN und der EU-Kommission, nur um ein paar Beispiele zu nennen, ist hierbei für mich entscheidend.

Das Jura-Studium absolvierte Prof. Dr. Jörg K. Menzer an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie an der Nottingham Trent University; 1999 nahm er seine anwaltliche Tätigkeit bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei auf. Menzer ist Partner bei der Kanzlei Noerr in München. In der Vergangenheit baute er deren Büro in Bukarest auf und leitete ihre Praxis in Mittel- und Osteuropa. Aktuell ist er im Bereich Corporate/M&A in München aktiv. Bei der International Bar Association engagiert er sich bereits seit 2007. Im November 2022 wurde er mit großer Mehrheit zum Generalsekretär gewählt, ab 1.1.2025 ist er Vizepräsident der Organisation.

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Interview: Monika Spiekermann.