Ein Rekordwert, wie Emil Penkov, seit 1.6. Chefermittler der KKH, gegenüber der NJW meint. Ein Gespräch über die Skrupellosigkeit weniger „schwarzer Schafe“ der Branche und die Chancen neuer Technologien.
NJW: Gratulation zur Beförderung zum Chefermittler. Wie sind Sie zur Betrugsbekämpfung im Gesundheitswesen gekommen?
Penkov: Mein Jurastudium habe ich in Hannover absolviert. Nach Tätigkeiten in Wirtschaftskanzleien führte mich mein Weg im Rahmen meiner Arbeit bei der kommunalen Verwaltung zum Sozialrecht. Da die Aufgaben nach § 197a SGB V mein Interesse geweckt hatten, habe ich 2019 bei der Fehlverhaltensbekämpfungsstelle der KKH angefangen.
NJW: Sehen Sie sich eher als Ermittler oder als Jurist?
Penkov: Ermittlerische und juristische Arbeit gehen Hand in Hand. Ohne eine umfassende Aufbereitung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht kann keine juristische Prüfung erfolgen, die für eine erfolgreiche Bearbeitung unabdingbar ist. Unsere Arbeit beinhaltet etwa Datenabfragen und -abgleiche zu Abrechnungen. Die Fälle können einfach gelagert, aber auch hochkomplex sein. Häufig sind juristische Bewertungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten vorzunehmen – überwiegend im Straf-, Sozial- und Zivilrecht. Zudem können insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Fragestellungen von Bedeutung sein.
NJW: Sind einzelne Bereiche im Gesundheitswesen besonders anfällig für Betrug?
Penkov: Betrug betrifft alle Leistungsbereiche. Wir stellen aber fest, dass sich der Pflegebereich seit Jahren durch hohe Schäden und viele Fälle auszeichnet.
NJW: Gibt es typische Vorgehensweisen bzw. Täter?
Penkov: Es gibt bestimmte Muster, allerdings mit verschiedenen Variationen der Tatumsetzung. Regelmäßig unter den Top-Betrugsmustern sind die sogenannten Luftleistungen – also abgerechnete Leistungen, die tatsächlich nicht erbracht wurden – sowie das Abrechnen höherwertiger Leistungen und der Einsatz von unqualifiziertem Personal.
NJW: Sprechen wir hier von einem Massenphänomen? Und was macht das Gesundheitswesen so anfällig für Betrug und Korruption?
Penkov: Mit dem Begriff „Massenphänomen“ sprechen Sie einen wesentlichen Aspekt an. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung in Strafsachen handelt es sich im Rahmen der Leistungserbringung im Gesundheitswesen um standardisierte, auf Massenerledigung angelegte Abrechnungsverfahren. Eine eingehende Einzelfallprüfung durch die Kassen ist nur stichprobenhaft oder bei begründetem Verdacht möglich. Sie dürfen sich regelmäßig bei Einreichung der Abrechnungsunterlagen der Leistungserbringer auf die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der Leistungen unter Beachtung der einschlägigen gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften verlassen. Was die Anfälligkeit der Branche für Betrug und Korruption betrifft, ist zu bedenken, dass die reinen Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 2022 auf den Höchstwert von 274,2 Mrd. EUR gestiegen sind. Das weckt Begehrlichkeiten, sich ein Stück vom „Milliardenkuchen Gesundheitssystem“ abzuschneiden.
NJW: Woran lässt sich eine Abrechnungsmanipulation erkennen?
Penkov: Besteht zum Beispiel der Verdacht, dass ein ambulanter Pflegedienst mehr Leistungen abgerechnet hat als tatsächlich erbracht, können etwa die Abrechnungsunterlagen der Kassen untereinander verglichen werden. Stellen die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen fest, dass dieselbe Pflegekraft für Versicherte unterschiedlicher Kassen an unterschiedlichen Orten zur selben Zeit Leistungen als erbracht abgezeichnet hat, wäre der Verdacht auf Abrechnungsmanipulation erhärtet. In anderen Fällen sind wir auf die Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden angewiesen, etwa dann, wenn ein Abgleich zwischen Behandlungsdokumentation und Abrechnungsunterlagen nur seitens der Strafverfolgungsbehörden nach einer Durchsuchung möglich ist. Ein solcher Abgleich ist notwendig, um das Ausmaß der Abrechnungsmanipulation festzustellen. Als Geschädigte können wir zur Feststellung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen Auskunft aus den Akten nach § 474 II 1 Nr. 1 StPO beantragen.
NJW: Die KKH beteiligt sich an einem Pilotprojekt zum Einsatz von KI bei den Ermittlungen. Wie kann diese dabei helfen?
Penkov: Viele Prüfungen erfolgen immer noch händisch, was aufgrund der großen Datenlage sehr umständlich und teils nicht leistbar ist. Daher werden viele Fehlverhaltensfälle nicht erkannt. Somit sind wir überwiegend auf die Hinweise Dritter angewiesen. Die stellen allerdings nur die Spitze des Eisbergs dar. Experten gehen von einem Dunkelfeld in Höhe des bis zu Zehnfachen der festgestellten Schäden aus. Bezogen auf die aufgedeckten Schäden bei der KKH von ca. 4,5 Mio. EUR für die Jahre 2022 und 2023 wäre schnell ein zweistelliger Millionenbetrag erreicht. Mit Blick auf die ermittelten Schäden in der gesamten GKV-Landschaft für die Jahre 2020 und 2021 von rund 132 Mio. EUR sprechen wir über einen Schaden in Milliardenhöhe zulasten der Versichertengemeinschaft. Datenbasierte Analyseverfahren mittels KI-Algorithmen könnten das Dunkelfeld teilweise erhellen und helfen, bestimmte Betrugsmuster schneller und besser zu erkennen.
NJW: Bestehen bezüglich des KI-Einsatzes keine datenschutzrechtliche Bedenken bzw. wie tragen Sie diesen Rechnung?
Penkov: Laut Gesetzgeber dürfen die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen gemäß § 197a I 2 SGB V aufgrund der Wahrnehmung von Kontrollbefugnissen nach § 67c III SGB X die innerhalb ihrer Organisation vorhandenen personenbezogenen Daten zum Zweck der Fehlverhaltensbekämpfung verwenden. Umso wichtiger ist es, den Einsatz datenbasierter Analyseverfahren voranzubringen – eben, um bestmöglich unserem Gesetzesauftrag nachzukommen. Darüber hinaus können sich die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen gemäß § 197a IIIa SGB V zu relevanten Fällen austauschen und für die Fehlverhaltensbekämpfung erforderliche personenbezogene Daten übermitteln. Auch der Bundesrechnungshof hält dies für unverzichtbar (BT-Drs. 17/8005, S. 124). Mit Blick auf den Bewertungsmaßstab der Erforderlichkeit beachten wir zugleich den Datenminimierungsgrundsatz, so dass wir regelhaft Anonymisierungen und Pseudonymisierung personenbezogener Daten vornehmen. Die Bewertung der Fälle von datenbasierten Analyseverfahren erfolgt ausschließlich durch die Mitarbeitenden der Fehlverhaltensbekämpfungsstelle.
NJW: Zu welchem Prozentsatz können Regressforderungen durchgesetzt werden?
Penkov: Ein genauer Prozentsatz lässt sich nur schwer angeben. Dies ist mitunter dem Umstand geschuldet, dass sich insbesondere gerichtliche Schadensregulierungen oftmals in die Länge ziehen. Hinzu kommen in vielen Fällen parallel betriebene Strafverfahren, die ebenfalls länger dauern. Zugleich helfen uns vermögenssichernde Maßnahmen seitens der Staatsanwaltschaften, da sonst nicht selten bei vorhandenem Vermögen dieses den Kassen von den „schwarzen Schafen“ vor einer erfolgreichen Vollstreckung entzogen wird.
NJW: Erhöht eine drohende strafrechtliche Verurteilung die Rückzahlungsbereitschaft der Täter?
Penkov: Bereits die strafrechtliche Verfolgung als solche führt oftmals zu Schadenswiedergutmachungen zu unseren Gunsten – mit dem Ziel der Täter, auf Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO hinzuwirken.
NJW: Wie lange dauert es vom ersten Hinweis bis zur Realisierung der Forderung üblicherweise?
Penkov: Wie man in der Juristerei zu sagen pflegt – es kommt drauf an. Wir haben Fälle, die noch im Jahr des Hinweiseingangs abgeschlossen werden – gerade bei einer außergerichtlichen Schadensregulierung –, und solche, die aufgrund von Straf- und Sozialverfahren über mehrere Instanzen, Jahre dauern können.
Emil Penkov arbeitet seit 2019 bei der Fehlverhaltensbekämpfungsstelle der KKH und ist seit 1.6. Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. Davor war er in einer Wirtschaftskanzlei, beim Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund sowie bei der Stadt Langenhagen tätig.
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