Wir haben uns deshalb mit der Rechtsanwältin und Vizepräsidentin des Landtags von Brandenburg Barbara Richstein (CDU) darüber unterhalten, wie demokratische Institutionen und Strukturen ertüchtigt werden müssen, damit antidemokratische Kräfte sie nicht für ihre Zwecke instrumentalisieren können.
NJW: Auch wenn sich nach den jüngsten Ereignissen im Thüringer Landtag diese Frage fast erübrigt: Können Sie uns gleichwohl erläutern, wie sich die parlamentarische Arbeit verändert hat, seit die AfD im Landtag vertreten ist?
Richstein: Die Diskussionskultur und der Politikstil haben erheblich gelitten. Der Umgangston ist rauer geworden, Beleidigungen aus den Reihen der AfD gehören fast schon zum Standardprogramm einer jeden Landtagssitzung. Mich erschreckt die Deutlichkeit, mit der die AfD Verschwörungstheorien, Anfeindungen und auch Falschbehauptungen im Plenum frank und frei vertritt. Mittlerweile versucht sie nicht einmal mehr, sich hinter der Maske der Bürgerlichkeit zu tarnen, sondern sucht ständig die Provokation und Eskalation.
NJW: Was bedeutet das für Ihre Tätigkeit als Vizepräsidentin des Landtags?
Richstein: Die Sitzungsleitung ist ohnehin eine anspruchsvolle Aufgabe. Es geht nicht nur darum, die Tagesordnung abzuarbeiten oder die Rednerreihenfolge einzuhalten, sondern auch Zwischenfragen oder -rufe sowie Gesten aus dem gesamten Parlament im Blick zu behalten. Wenn Verstöße nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, beeinflusst das das Gesamtklima sehr stark. Deshalb sind Konsequenz und hartes Durchgreifen wichtig. Zudem kann ich mich auf eine Landtagsverwaltung verlassen, die professionell unterstützt.
NJW: Nun ist es aber gerade Aufgabe der Opposition, zu kontrollieren und bei Bedarf zu „nerven“, oder?
Richstein: Unbestritten. Auch ich war mit meiner Fraktion zehn Jahre in der Opposition und habe die damalige Regierung kontrolliert. Die Verhaltensweisen, die ich kritisiere, haben allerdings nichts mit „nerven“ zu tun, sondern widersprechen der Würde und der Ordnung des Umgangs im Landtag. Hart und kritisch in der Sache, aber anständig im Umgangston – so sollten Debatten aus meiner Sicht ablaufen. Dass dies möglich ist, zeigen auch andere Oppositionsfraktionen.
NJW: Welche Möglichkeiten geben Ihnen Landesverfassung und Geschäftsordnung des Landtags, um ungehöriges Verhalten in geordnete Bahnen zu lenken?
Richstein: Die Geschäftsordnung bietet verschiedene Möglichkeiten von Ermahnungen über Ordnungsrufe bis zum Verweis des Saals. Letztes ist die Ultima Ratio und wurde von mir noch nicht eingesetzt.
NJW: Reicht das?
Richstein: Aus meiner Sicht ja, denn die verfügbaren Instrumente bieten die Möglichkeit, abgestuft zu reagieren. Jedoch wird auch darüber diskutiert, ob ein Ordnungsgeld eingeführt werden soll, wie es bereits in der Geschäftsordnung des Bundestags verankert ist.
NJW: Seit einiger Zeit wird eindringlich vor der Zerstörung unserer freiheitlichen Grundordnung durch populistische Kräfte gewarnt. Welche Institutionen und Gremien im politischen Betrieb sind nach Ihrer Einschätzung für Populisten besonders attraktiv?
Richstein: Diejenigen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wollen natürlich in die Parlamentarische Kontrollkommission, die den Verfassungsschutz in Brandenburg kontrolliert. Dies würde bedeuten, dass der Verfassungsschutz entweder nicht mehr in dem gebotenen Rahmen berichten kann oder interne Informationen an diejenigen geraten, die kontrolliert werden müssen. Auch bei der Wahl von Verfassungsrichtern wird der Anspruch auf eigene Vertreter erhoben, obwohl die Wahl aus gutem Grund mit Zweidrittelmehrheit erfolgen muss.
NJW: Die AfD hat in Brandenburg und Thüringen künftig eine Sperrminorität. Welche Entscheidungen kann die Partei damit blockieren?
Richstein: Es gibt wenige, aber dennoch sehr wichtige Entscheidungen, die im Landtag eine Zweidrittelmehrheit erfordern und die nun von der AfD blockiert werden können. Neben der Auflösung des Landtags sind das mögliche Änderungen der Landesverfassung sowie die eben erwähnte Wahl der Verfassungsrichter.
NJW: Was bedeutet das insbesondere für die Justiz?
Richstein: Ein kompetent besetztes und arbeitsfähiges Landesverfassungsgericht ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Rechtssystems. Die Amtszeit von Verfassungsrichtern in Brandenburg beträgt zehn Jahre, und erst am Ende der kommenden Wahlperiode stehen umfangreiche Nachbesetzungen an. Da die Richter nach Ablauf der Amtszeit aber nicht automatisch ausscheiden, hat man für eine Übergangsphase noch eine gewisse Absicherung. Danach wird es zu einem echten Problem, wenn wegen einer Sperrminorität geeignete Vertreter nicht gewählt werden können.
NJW: Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz hatte im Vorfeld der Landtagswahlen eine Schwachstellenanalyse für alle Bundesländer vorgelegt und Vorschläge unter anderem zur Änderung des Grundgesetzes und der VwGO unterbreitet. Was davon sollte aus Ihrer Sicht umgesetzt werden?
Richstein: Bei diesen Analysen geht es darum, die Besetzung und Vereinnahmung wichtiger Positionen in der Justiz zu verhindern und den Rechtsstaat mit qualifizierten Hürden zu schützen. Solche Überlegungen sind richtig und sinnvoll, müssen aber in einem geordneten parlamentarischen Verfahren beraten werden. Mögliche Grundgesetzänderungen dürfen weder aus Angst heraus noch mit heißer Nadel angegangen werden.
NJW: Angesichts des Erstarkens extremistischer Parteien werden auch Strategien diskutiert, um die Verfassungsorgane vor einer populistischen Übernahme zu schützen, sie resilienter gegen antidemokratische Bestrebungen zu machen. Welche Gedanken haben Sie und Ihre Kollegen sich dazu gemacht?
Richstein: Hier gibt es aus meiner Sicht unterschiedliche Ebenen. Im Rahmen der wehrhaften Demokratie haben wir mit dem bereits genannten Verfassungsschutz, der unabhängigen Gerichtsbarkeit und der Polizei starke Institutionen. Auch der vor Kurzem in Brandenburg eingeführte Verfassungstreuecheck ist eine Maßnahme, um den öffentlichen Dienst vor Verfassungsfeinden und Extremisten zu schützen. Des Weiteren müssen wir im Bereich der politischen Bildung und öffentlichen Kommunikation müssen wir noch deutlicher machen, welchen Wert Freiheit und Demokratie haben – gerade im Osten mit den Erfahrungen der DDR-Geschichte.
NJW: Auf EU-Ebene haben Polen und Ungarn deutlich gezeigt, wie der Rechtsstaat legal unterwandert werden kann. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr in Ihrem Bundesland ein?
Richstein: Die von mir genannten Maßnahmen und Schutzmechanismen halte ich für stark und wirksam. Dennoch müssen wir den hohen Zuspruch für populistische Parteien, die in Teilen rechtsextrem sind, durch eine andere Politik und das Lösen der Probleme – insbesondere bei der Migration – verringern.
Seit rund 25 Jahren sitzt Rechtsanwältin Barbara Richstein für die CDU im Landtag von Brandenburg. Von August 2002 bis Oktober 2004 war sie Ministerin der Justiz und für Europaangelegenheiten im Kabinett Platzeck I. Seit Ende September 2019 ist sie Vizepräsidentin des Landtags. Im gleichen Jahr hat sie den Vorsitz des Kreistags Havelland übernommen, dem sie seit 2008 angehört. Neben dem landes- und kommunalpolitischen Engagement ist sie als Präsidentin im Brandenburger Leichtathletikverband sowie als Landesvorsitzende im Verein Weisser Ring aktiv.
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