Interview
Aufklärung von und über NS-Unrecht
Interview

Rechtsanwalt Dr. Stefan Lode berät hauptsächlich Unternehmen in gesellschaftsrechtlichen und Compliance-Fragen. Seit vielen Jahren vertritt er aber auch immer wieder Nebenkläger in Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher, zuletzt auch im sogenannten Stutthof-Prozess gegen eine KZ-Sekretärin. Seine anwaltliche Tätigkeit in diesen Verfahren spielt auch eine wichtige Rolle in dem Film "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht".

18. Sep 2024

NJW: Wie kam es, dass Sie als Wirtschaftsanwalt für die NS-Verfahren mandatiert wurden?

Lode: Wir haben als Kanzlei immer wieder jüdische Mandanten in Entschädigungs- und Wiedergutmachungsangelegenheiten vertreten, Ansprüche aus der NS-Zeit geltend gemacht, aber auch Geschäftsleute und Firmen aus Israel betreut. Daher hatten wir gute Drähte in die jüdischen Communities. Kurz vor dem Verfahren in Lüneburg gegen Oskar Gröning wurden wir gefragt, ob wir nicht die Tante eines Mandanten aus Atlanta in dem Verfahren vertreten wollten. Diese lebte in Cleveland, wo es eine große jüdische Gemeinde gibt. Hier haben wir dann auch eine ganze Reihe anderer Überlebender getroffen, die als Nebenkläger in Betracht kamen und die wir dann auch vertreten haben.

NJW: An welchen Prozessen waren Sie beteiligt?

Lode: Wir haben in den Verfahren im Jahr 2015 in Lüneburg gegen Oskar Gröning und in Detmold gegen Reinhold Hanning Nebenkläger vertreten. In beiden Verfahren ging es um Vorgänge in Auschwitz während der sogenannten Ungarn-Aktion zwischen Mai und Juli 1944. Die anschließenden Prozesse drehten sich um Verbrechen im KZ Stutthof bei Danzig, auch hier waren wir dabei. Das Verfahren 2018 in Münster wurde nach einigen Verhandlungstagen eingestellt, weil der Angeklagte krank wurde. 2019 folgte das Hamburger Verfahren gegen Bruno Dey, einen ehemaligen Wachmann in Stutthof, und zum Schluss ab 2021 das Verfahren in Itzehoe gegen Irmgard Furchner, die Sekretärin des Lagerkommandanten von Stutthof. Das Urteil aus Itzehoe wurde ja gerade vom BGH bestätigt – wie zuvor schon das Urteil gegen Oskar Gröning.

NJW: Das gerade genannte Urteil des BGH wird als "zeitgeschichtlich bedeutsam" und "wichtiger Beitrag zur Anerkennung des NS-Unrechts" gelobt. Was ist darin neu bzw. anders als in früheren Entscheidungen?

Lode: Die Strafbarkeit wegen Beihilfe zum versuchten Mord an den Überlebenden wurde so noch nicht festgestellt. Sie sollten unter anderem durch die Schaffung und Aufrechterhaltung lebenswidriger Umstände getötet werden. Dies wurde in fünf Fällen bejaht. Historisch bedeutsam ist das Urteil zunächst, weil es die wahrscheinlich letzte Entscheidung im Rahmen der Aufarbeitung des NS-Unrechts ist. Zudem hat der BGH mit sehr deutlichen Worten mit der Nachkriegsrechtsprechung aufgeräumt – 1957 wurde beispielsweise der Lagerkommandant aus Stutthof nur wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Hierzu spricht der BGH nun in der mündlichen Begründung von "fehlgeleiteter Verfolgungspraxis". Mit diesen sehr deutlichen Worten in diesem letzten Urteil schließen wir ein unrühmliches Kapitel deutscher Rechtsgeschichte, gewissermaßen auf den "letzten Metern".

NJW: Wie wird das Urteil von den Nebenklägern und der jüdischen Community bewertet?

Lode: Die Nebenkläger haben das Urteil begrüßt als ein deutliches Signal, dass ihnen als Überlebenden und den getöteten Verwandten und Freunden unerträgliches Unrecht widerfahren ist. Das war schon auch eine Genugtuung für die inzwischen sehr alten Menschen. Im Übrigen möchten die wenigsten von ihnen Rache in dem Sinne, dass die Angeklagten noch ins Gefängnis müssen. Sie möchten, dass die Geschichten noch einmal erzählt werden, dass die Medien berichten, damit gerade auch jüngeren Generationen gezeigt wird, wohin gewisse politische Entwicklungen führen können. Daher haben sie es sehr begrüßt, dass in allen Verfahren die Zuschauerplätze gefüllt und auch Schulklassen sowie Gruppen von Studenten anwesend waren.

NJW: Sie leisten auch selbst Aufklärungsarbeit in Schulen und anderen Institutionen. Erzählen Sie mal.

Lode: Ich besuche regelmäßig Schulen oder Veranstaltungen und berichte über die genannten Verfahren. Oft zeigen wir auch den Film "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht", in dem ich als Nebenklägeranwalt mitwirke. Damit bin ich für die jungen Menschen ein "anfassbarer" Ansprechpartner. Nach Präsentation oder Filmvorführung stehe ich für Fragen bereit. In den Schulen und Unis ergeben sich jedes Mal spannende Gespräche und interessante Diskussionen.

NJW: Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

Lode: Viele der jungen Menschen sind nur unzureichend über den Holocaust und die Hintergründe informiert. Da schließt der Film einige Lücken und ist trotz der Länge durchaus in der Lage, auch solche Jugendliche zu fesseln, die nicht primär Interesse an Bildung oder geschichtlichen Themen haben. Die Gespräche, die dann entbrennen, kluge Fragen und Wortbeiträge zeigen immer, dass man zum Nachdenken angeregt hat. Allein die Diskussion verschiedener Ansichten schult demokratisches Grundverständnis. Viele Schüler und Studenten kommen am Ende mit Einzelfragen, schreiben später Mails, Lehrer regen Folgeveranstaltungen an. Die jungen Menschen befinden sich gerade erst in der Entwicklung ihres moralischen und ethischen Wertekodex. Vielleicht gelingt es ja über solche Denkanstöße, diese Entwicklung in die richtige, demokratische Richtung zu lenken – das ist mein persönlicher Antrieb.

NJW: Sie haben den Kinofilm "Fritz Bauers Erbe" erwähnt. Worin geht es in der Dokumentation?

Lode: Der Film begleitet verschiedene Beteiligte der Verfahren in Münster und Hamburg. Die Überlebenden und deren Angehörige kommen zu Wort, daneben Historiker, Anwälte, Richter und Staatsanwälte. Das Filmteam begleitet mich und meinen Kanzleipartner Christoph Rückel bei einem Besuch der Überlebenden Rosa Bloch in Tel Aviv, die dann als Zeugin nach Hamburg kam. Außerdem wird gezeigt, wie wir uns nach dem abgebrochenen Verfahren in Münster auf das in Hamburg vorbereiten. Der Film beleuchtet auch die Rolle von Fritz Bauer, dem früheren hessischen Generalstaatsanwalt, der die ersten großen Auschwitz-Prozesse in Frankfurt angetrieben hat und dessen damalige Rechtsansichten sich am Ende in den jüngeren Urteilen durchgesetzt haben. Insgesamt ein Film für alle an der Aufarbeitung des NS-Unrechts Interessierte, der durch die eindrucksvolle und hochemotionale Einbindung der Überlebenden auch interessant und spannend für Nichtjuristen ist.

NJW: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Produktion?

Lode: In einem der Verfahren vor Münster kamen wir mit den Regisseurinnen und Produzentinnen Cornelia Partmann, Sabine Lamby und Isabel Gathof ins Gespräch. Wir gaben ein erstes Interview, und nach dem gemeinsamen Besuch bei Rosa Bloch entwickelte sich dann die weitere Zusammenarbeit am Film. Inzwischen unterstützen die Filmemacherinnen mich aktiv bei meinen Aktivitäten in Schulen, mit Studenten und anderem. Unser gemeinsames Interesse ist, dass möglichst viele (junge) Menschen den Film sehen.

NJW: Wird der Film noch ins Free-TV kommen?

Lode: Ja, die Produzentinnen verhandeln gerade mit öffentlich-rechtlichen Sendern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das klappt. Damit erreicht der Film ein deutlich größeres Publikum, und ich hoffe, dass das Thema so auch verstärkt in Schulen und Universitäten thematisiert wird. Dann haben wir einiges von dem erreicht, was sich auch die im Film gezeigten Überlebenden immer wieder wünschen: Dass gerade mit jüngeren Menschen gesprochen wird, dass man deren Fragen beantwortet und sie dafür sensibilisiert, aufzupassen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen.

NJW: Bald werden keine Zeitzeugen mehr leben. Wie können wir die Erinnerung aufrechterhalten, wenn ihre Stimmen verstummt sind?

Lode: Ich persönlich meine: Wir dürfen nicht aufhören, über die Geschichte zu sprechen. Das gilt gerade für die, die das Glück hatten, Zeitzeugen treffen zu dürfen – die bemerkenswerterweise erinnert haben, ohne anzuklagen. Einer unserer Mandanten sagte auf die Frage, wie wir ihm neben der Nebenklagevertretung noch helfen könnten: "Tell your kids about it."

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator Dr. Stefan Lode leitet das Düsseldorfer Büro der Kanzlei Rückel & Collegen. Zuvor arbeitete er in verschiedenen, zum Teil US-amerikanischen Kanzleien. Von 2005 bis 2015 war er als Führungskraft in der Geschäftsleitung zweier Medienkonzerne tätig, hat eigene Unternehmen mit gegründet und andere als Unternehmensberater begleitet.

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Interview: Tobias Freudenberg.