Interview
Simulation zu Smart Contracts

Künstliche Intelligenz revolutioniert die Arbeitsweise der Justiz und der Anwaltschaft. Beim AG Frankfurt a.M. hat dazu im Juni ein Planspiel stattgefunden. Dort ist ein fiktives Gericht (LG Südlingen) unter Vorsitz eines Richters des OLG Frankfurt a.M. Rechtsfragen rund um einen mittels KI geschlossenen Vertrag nachgegangen. Den „Fall“ hatten zwei Anwälte zweier internationaler Großkanzleien vor das Gericht gebracht. Einer davon ist Dr. Alexander Duisberg, Partner bei Ashurst. Fragen zu einem aufschlussreichen Experiment.

4. Sep 2024

NJW: Bevor wir uns über den jüngsten „Fall“ des LG Südlingen unterhalten, interessiert uns, was einen Partner einer internationalen Großkanzlei motiviert hat, im Rahmen eines fiktiven Gerichtsprozesses über einen künftigen Präzedenzfall zu verhandeln?

Duisberg: Als Mitglied der „AG 4 Rechtliche Rahmenbedingungen der Plattform Industrie 4.0“ haben wir das Projekt „Industrie 4.0 RechtTestBed“ des Instituts für Rechtsinformatik (Universität des Saarlands) unter Leitung von Prof. Dr. Georg Borges und weiterer Partner intensiv begleitet. Ziel war es, Vertragsabschlüsse mithilfe von Software-Agenten vollautomatisiert zu verhandeln und in einer Blockchain zu dokumentieren. Die zugrunde liegenden „Teilnahmebedingungen für eine Industrie 4.0 Plattform“ hatte ich zusammen mit Georg Borges federführend mitgestaltet. Krönender Abschluss war die „Simulationsstudie“, um mit echten Berufsrichtern zu verproben, ob die Vertragsabschlüsse rechtlich Bestand haben. Und er hat mich netterweise gebeten, als Parteivertreter mitzuwirken.

NJW: Gegenstand des Verfahrens war ein sogenannter Smart Contract. Inwiefern unterscheidet der sich von einem „klassischen“ Vertrag?

Duisberg: Ein Smart Contract ist nur ein technisches Hilfsmittel, aber nicht der eigentliche Vertrag. Es handelt sich um eine Software-Implementierung von „Wenn-dann-Befehlen“, um Transaktionen – etwa Vertragsabschlüsse oder Zahlungsvorgänge – mithilfe der Blockchain-Technologie durchzuführen und zu dokumentieren. Ob ein zivilrechtlicher Vertrag vorliegt, ist gesondert zu prüfen.

NJW: Was sind dessen Vor-, was die Nachteile?

Duisberg: Sie haben den großen Vorteil, Transaktionen weitgehend manipulationssicher abzubilden und eignen sich damit besonders gut für die Automatisierung von Vertragsabschlüssen zwischen Teilnehmern eines Netzwerks, die sich vorher nicht kennen. Dazu braucht es einen Rahmen – etwa unsere Teilnahmebedingungen – , den alle Teilnehmer als verbindlich anerkennen. Das Problem ist derzeit, dass die Judikatur noch am Anfang steht. Es ist eben etwas anderes, ob sich ein Gericht mit Papierdokumenten oder Code-Zeilen befassen muss, um Willenserklärungen und Vertragsinhalte zu prüfen.

NJW: Über welche Sach- und Rechtsfragen wurde in dem Verfahren gestritten?

Duisberg: Der Sachverhalt war einfach: Ein Unternehmen bestellte Wälzlager bei einem Hersteller über die Industrie-4.0-Plattform, indem die Software-Agenten der Parteien die Vertragsparameter einschließlich Menge, Liefertermin und Preis aushandelten. Der Käufer meinte, er habe eine von zwei Bestellungen nie aufgegeben und für eine der Lieferungen eine Mängelrüge auf der Blockchain abgesetzt. Das Gericht hatte die Wirksamkeit der Vertragsabschlüsse und die Mängelrüge zu prüfen. Dabei stellten sich eine Vielzahl tatsächlicher, prozessualer und materiell-rechtlicher Fragen, etwa ob die Aktionen der Software-Agenten auf menschliche Willenserklärungen zurückzuführen waren, ob Angebot und Annahme auf der Blockchain nachvollziehbar waren und wer das Risiko für angebliche technische Störungen im Blockchain-Netzwerk zu tragen hatte.

NJW: Wie bewertete das Gericht den vollautomatisch geschlossenen Vertrag?

Duisberg: Es hat bestätigt, dass wirksame Willenserklärungen vorlagen und damit die vollautomatisiert abgeschlossenen Verträge zivilrechtlich uneingeschränkt Bestand haben. Das ist von zentraler Bedeutung, weil sich dazu noch kein staatliches Gericht geäußert hat.

NJW: Wir können uns vorstellen, dass insbesondere die Beweisführung im Rahmen eines Smart Contracts eine besondere Herausforderung darstellt. Inwiefern?

Duisberg: In der Tat! Ich empfehle den Film zum Projekt: Da sieht man die Parteivertreter und drei Berufsrichter um einen Bildschirm versammelt, der endlose Zeilen Code anzeigt. Das sollte das Angebot zum Kauf von Wälzlagern sein? Da musste der IT-Sachverständige ran, um in seinem Gutachten den Code-Zeilen in der Blockchain den Erklärungsgehalt von „Angebot“, „Annahme“ und „Mängelrüge“ zuzuordnen. Das war alles andere als trivial.

NJW: Hat sich die Blockchain-Technologie denn als Beweismittel bewährt?

Duisberg: Ja, was das Ergebnis betrifft. Man kann mit ihr automatisierte Vertragsabschlüsse rechtswirksam dokumentieren und abwickeln. Aber es wird noch Jahre dauern, bis sich die Rechtsprechung herausbildet. Immerhin: Der neue Data Act enthält ausführliche Regeln zu Smart Contracts, um Datenaustauschverträge durchzuführen. Das zeigt: Das Thema ist bedeutend und wird die Gerichte sicher beschäftigen.

NJW: Nun mag man sich einen vollautomatisierten Vertragsschluss noch vorstellen. Aber wie sieht es mit einer Anfechtung, Kündigung oder Mängelrüge aus? Geht so etwas ohne menschliche Beteiligung?

Duisberg: Nein, jede Willenserklärung setzt immer eine menschlich zurechenbare Handlung voraus. Die menschliche Mitwirkung kann aber weit vor der maschinellen Ausführung liegen. Für die „reaktiven“ Gestaltungsrechte (Anfechtung, Kündigung, Mängelrüge) gilt nichts anderes. Man kann in Smart Contracts „Trigger-Points“ kodieren, die zu gegebener Zeit eine Erklärung automatisiert auslösen. In der Simulationsstudie war es einfacher: Der Käufer musste seine Mängelrüge händisch ins System eingeben.

NJW: Welche Rolle spielt bei einem derartigen Vertragswerk der Anwalt?

Duisberg: Sowohl bei Entwicklung und Beratung der Teilnahmebedingungen als auch bei der Aufbereitung des Sachverhalts und der rechtlichen Bewertung im streitigen Verfahren eine ganz wesentliche. Nur wer die technischen Abläufe und rechtlichen Bezüge versteht, kann dem Gericht nachher auf bohrende Fragen Rede und Antwort stehen. Die Simulationsstudie zeigt: Bei innovativen Sachverhalten sind die Anforderungen an die Anwälte besonders hoch.

NJW: Vor welchen Herausforderungen standen Sie und Ihr Kollege in dem Verfahren?

Duisberg: Die Herausforderung lag darin, die Klage schlüssig zu begründen und den Sachverhalt so klar aufzubereiten, dass das Gericht einen Beweisbeschluss zu den streiterheblichen Tatsachen fassen konnte. Wenn man so will: BGB AT und Schuldrecht in größtmöglicher Genauigkeit und Tiefe. Zudem war der Sachverhalt angesichts der Argumente der Parteivertreter weiter zu ergänzen – keine leichte Aufgabe für den Leiter der Simulationsstudie.

NJW: Lassen sich die mit der „Industrie 4.0“ einhergehenden Rechtsfragen mit dem BGB und der ZPO adäquat lösen?

Duisberg: Im Grundsatz ja – das hat die Arbeitsgruppe der Plattform Industrie 4.0 vielfach gezeigt. Das 125 Jahre alte BGB ist ein erstaunlich robustes Gesetz, das bei innovativer Technologie aber etwas Auslegungshilfe benötigt. In der ZPO gibt es Nachbesserungsbedarf. Es kann auf Dauer nicht sein, dass wir zum Nachweis eines automatisierten Vertragsabschlusses auf der Blockchain jeweils ein umfangreiches Sachverständigengutachten benötigen, bevor alle Beteiligten wissen, dass es funktioniert.

NJW: Was nehmen Sie aus dem Experiment mit?

Duisberg: Die gemeinsame Arbeit an Rechtsfragen digitaler Innovation gehört zum Spannendsten, was man als Jurist erleben kann. Es war ein absoluter Höhepunkt, mit vorzüglichen Kollegen und Richtern an der Simulationsstudie mitwirken zu dürfen. 

Dr. Alexander Duisberg ist Partner bei Ashurst in München und berät im Technologie- und Datenrecht. Darüber hinaus vertritt er Mandanten in nationalen und internationalen Schiedsgerichtsverfahren in technologiebezogenen Streitigkeiten. Er ist unter anderem Mitglied der Think Tanks der Bundesregierung zu „Trusted Cloud“, „Smart Data“ und „Plattform Industrie 4.0“. Im Rahmen von Expertenanhörungen der EU-Kommission hat er an der Gestaltung der EU-Digitalisierungsstrategie mitgewirkt.

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Interview: Monika Spiekermann.