Interview
Vielfältige Anwaltschaft

Immer mehr Unternehmen, Organisationen und Institutionen bekennen sich zu Diversität in den eigenen Reihen, auch die Anwaltschaft. Doch die Wirklichkeit im Kanzleialltag sieht vielfach anders aus. Wir haben uns deshalb mit Prof. Niko Härting über das Thema unterhalten. Er wurde Anfang Juni vom Vorstand des DAV zum ersten Vielfalts-Beauftragten des Verbands gewählt.

28. Aug 2024

NJW: Glückwunsch zur Wahl zum Vielfalts-Beauftragten des DAV. Was können Sie uns zu Ihrer neuen Funktion und den damit verbundenen Aufgaben sagen?

Härting: Der DAV hat sich für das Thema Vielfalt einiges vorgenommen. Dazu passt es, dass es jetzt einen eigenständigen Vielfalts-Beauftragten gibt. Und ich freue mich, dieses Amt übernehmen zu dürfen. Die Anwaltschaft ist vielfältig. Viele Anwältinnen und Anwälte haben migrantische Wurzeln, viele stammen aus der Queer Community. Längst nicht alle Kolleginnen und Kollegen haben einen bildungsbürgerlichen Hintergrund, soziale Herkunft ist auch ein wichtiges Vielfaltsthema, dasselbe gilt für Menschen mit Behinderungen. Trotz der Vielfalt unseres Berufs wird die Anwaltschaft oft noch als konservativ wahrgenommen, weiß, männlich, biodeutsch und heterosexuell. Auf Veranstaltungen, Tagungen und auch in Gremien sind Kolleginnen und Kollegen mit migrantischen Wurzeln oft unterrepräsentiert. Und welche Anwältinnen und Anwälte aus der Queer Community kennt „man“ eigentlich? Der DAV hat sich vorgenommen, gegen das Vorurteil einer „konservativen“ Anwaltschaft anzugehen. Wir wollen die Vielfalt des Berufsstands stärker sichtbar machen. Vielfalt ist nicht zuletzt auch ein Nachwuchsthema. Junge Kolleginnen und Kollegen – egal welcher Herkunft – wachsen heute jedenfalls in den Großstädten in einer vielfältigen Umgebung auf. Daher fühlen sie sich auch in Anwaltsorganisationen stärker zu Hause, in denen Vielfalt sofort sichtbar ist.

NJW: Sie haben gerade schon einige Aspekte von Diversity genannt. Lassen Sie uns trotzdem zunächst einmal den Begriff klären, bevor wir uns über das Thema speziell in der Anwaltschaft genauer unterhalten.

Härting: Der DAV hat sich bewusst für „Vielfalt“ und nicht für „Diversity“ entschieden. Und ich persönlich mag „Diversity“ nicht mehr hören. Wer „Diversity“ sagt, ist meist weiß, urdeutsch, männlich und heterosexuell, hält sich – zurecht oder auch nicht – für tolerant und vorurteilsfrei. Man denkt bei „Diversity“ an Behörden, Unternehmen und auch Anwaltskanzleien, die „Diversity“ als Argument beim „Recruiting“ entdeckt haben und sich einmal im Jahr mit Regenbogenfahnen schmücken, da dies sympathisch und heutig wirkt und wenig kostet. Ein solches Mäntelchen möchte sich der DAV nicht umhängen. Es geht uns um Inhalte, nicht um Fassaden. Wir wollen, dass die Vielfalt der Anwaltschaft deutlich sichtbarer und selbstverständlicher wird. Denn unser Beruf ist weit weniger konservativ als unser Ruf.

NJW: Wie konkret wird diese Selbstverständlichkeit denn mittlerweile in der Anwaltschaft gelebt, und wo sehen Sie noch Defizite?

Härting: Da ist noch eine Menge Luft nach oben. Ich hatte ja eingangs bereits erwähnt, dass „man“ noch zu wenige queere Anwältinnen und Anwälte oder solche mit einem migrantischen Hintergrund kennt. Die Vielfalt der Anwaltschaft ist oft noch nicht so sichtbar, wie dies sein könnte. Welche Ursachen dies hat, wie man dies verändern kann – das ist eine Diskussion, die der DAV führen möchte. Auch mit skeptischen Kolleginnen und Kollegen, die bezweifeln, dass Vielfalt für die Anwaltschaft ein wichtiges Thema ist.

NJW: Weshalb klaffen denn Anspruch und Realität so deutlich auseinander, und warum sind immer noch so viele Kolleginnen und Kollegen skeptisch gegenüber einer vielfältigen Anwaltschaft trotz der unbestreitbaren Vorteile, die damit einhergehen?

Härting: Die Vielfalt der Anwaltschaft ist eine Realität, die niemand ernsthaft infrage stellt. Viele denken jedoch, es sei bereits alles erreicht, weil Großkanzleien mit Wagen beim CSD zu sehen sind und weil jeder von uns die eine oder andere Kollegin mit migrantischen Wurzeln kennt, die als erfolgreiche Anwältin unterwegs ist. Daher rührt eine gewisse Skepsis, ob sich eine Organisation wie der DAV wirklich noch Vielfalt auf die Fahnen schreiben sollte. „Gibt es denn nichts Wichtigeres?“ – eine Frage, die man gelegentlich hört und die sich nicht wenige Kolleginnen und Kollegen nach meiner Beobachtung insgeheim stellen.

NJW: Und was antworten Sie ihnen?

Härting: Schaut Euch um. Wenn die Anwaltschaft und ihre Organisationen attraktiv für den Nachwuchs bleiben möchten, müssen wir bunter werden. Wir müssen einen großen Schritt nach vorne wagen. Tagungen, auf denen reife weiße Herren unter sich sind, wirken auf den Nachwuchs gestrig. Und steife Zusammenkünfte, bei denen man sich nichts „Moderneres“ vorstellen kann als eine „AdvoDisco“, gibt es noch zur Genüge. Selbst auf Zusammenkünften der IT-Rechtler, die man sich eigentlich jung und frisch vorstellt, dominieren oft noch urdeutsche Heteromänner in den besten Jahren.

NJW: Dann lassen Sie uns mal darüber sprechen, inwiefern eine Kanzlei von einem vielfältig aufgestellten Team profitiert – auch, was in Ihrer Antwort ja bereits anklang, im Wettbewerb um die besten Köpfe.

Härting: Diese Diskussion über „Diversity“ als Recruiting-Vorteil führen wir ja schon etwas länger. Und gewiss haben Kanzleien ein Interesse daran, sich möglichst so darzustellen, dass man für den Nachwuchs attraktiv ist. Zur Schau gestellte Vielfalt hilft dabei. Aber dem DAV geht es um viel mehr. Es geht uns nicht darum, ob Vielfalt ein Vor- oder Nachteil ist. Die Vielfalt der Anwaltschaft ist längst eine Selbstverständlichkeit. Und wir haben uns vorgenommen, diese Vielfalt noch stärker sichtbar zu machen.

NJW: Und was genau haben Sie und der DAV sich da vorgenommen?

Härting: Erst kürzlich war der DAV erstmals mit einem Stand auf dem schwullesbischen Stadtfest im Berliner Nollendorfkiez vertreten, begleitet von einem Auftaktabend, der sehr gut besucht war. Als nächsten Schritt planen wir für den 29.11. den ersten „Vielfaltstag“ des DAV in Berlin mit zahlreichen Themen, Referentinnen und Diskutanten. Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren.

NJW: Das klingt vielversprechend. Allerdings findet man auf der Homepage des DAV, wenn wir es richtig sehen, wenig bis nichts dazu, auch nicht beim Ausschuss Gender & Diversity. Und Ihre Wahl zum Vielfalts-Beauftragten war dem DAV noch nicht einmal eine Pressemitteilung wert. Wie passt das zusammen?

Härting: Naja, der Vielfalts-Beauftragte sollte ja auch weniger die Nachricht sein als dessen Aktivitäten. Und sowohl über den DAV beim schwullesbischen Stadtfest als auch über den anstehenden Vielfaltstag wird man schon bald berichten.

NJW: Was muss sich außerdem in unserem Berufsstand ändern, „damit sich Kolleginnen und Kollegen, die sich als ‚anders‘ empfinden, als dazugehörig fühlen“, wie Sie selbst mal geschrieben haben?

Härting: Der Weg zu einer selbstverständlichen Vielfalt ist jedenfalls noch weit. Kolleginnen und Kollegen mit migrantischen Wurzeln oder auch Schwule, Lesben, Transpersonen in der Anwaltschaft sollten wir nicht als Ausnahmen begreifen. Traditionell denkt man bei „dem Anwalt“ an einen biodeutschen, bildungsbürgerlichen und heterosexuellen Familienvater. Von diesem traditionellen Bild wollen wir uns verabschieden.

NJW: Inwiefern kann die gerade diskutierte Aufnahme der sexuellen Identität in das Diskriminierungsverbot des Art. 3 III GG dabei helfen?

Härting: Diskrimierungsverbote helfen immer und sind ja in vielen Bereichen auch selbstverständlich. Die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen ist in weiten Teilen der Gesellschaft schon lange geächtet. Es ist daher auch nur eine Frage der Zeit, dass das Grundgesetz entsprechend angepasst wird.

Prof. Niko Härting studierte Jura und Anglistik an der FU Berlin. Er wurde 1993 zur Anwaltschaft zugelassen; drei Jahre später hat er die auf IT- und IP-Recht sowie auf Datenschutzrecht spezialisierte Kanzlei Härting Rechtsanwälte gegründet. Seit Ende der 1990 er Jahre engagiert er sich im DAV, dessen Vorstand er seit letztem Jahr angehört. 2023 hat er außerdem den Vorsitz des Ausschusses Informationsrecht übernommen. Härting lehrt seit vielen Jahren an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, die ihn 2012 zum Honorarprofessor ernannt hat.

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Interview: Monika Spiekermann.