NJW: Können Sie uns Außenstehenden möglichst kurz erklären, wie Pebb§y funktioniert?
Thomsen: Pebb§y ist im Ansatz ganz einfach, aber letztlich ein sehr komplexes System, um den Personalbedarf der Justiz zu ermitteln. Es gab Erhebungen, die Grundlage für die Berechnung von durchschnittlichen Bearbeitungszeiten je Verfahren sind. Das sind beispielsweise bei einem Verkehrsunfall beim Amtsgericht 232 Minuten. Der Strafrichter benötigt 157 Minuten, um ein normales Strafverfahren zu entscheiden. Aus der tatsächlichen Anzahl der Verfahren wird multipliziert mit der durchschnittlichen Bearbeitungszeit ein Arbeitspensum errechnet. Dem gegenübergestellt wird die sogenannte Jahresarbeitszeit. Für einen Richter in Schleswig-Holstein mit einer 41-Stunden-Woche sind das unter Abzug von Urlaub und durchschnittlichen Krankheitstagen etc. zurzeit 101.326 Minuten. Das alles ins Verhältnis gesetzt, ergibt den Personalbedarf. Das wird nicht nur für Richterinnen und Richter so praktiziert, sondern auch für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie die sonstigen Bediensteten wie Rechtspfleger und Geschäftsstellenmitarbeiter.
NJW: Bis hierher hört sich das tatsächlich „im Ansatz einfach an“. Woraus folgt die Komplexität?
Thomsen: Die folgt aus der großen Anzahl von Geschäften. Allein beim Amtsgericht sind es über 50, etwa Mietsachen, Verkehrsunfälle, Ehesachen, Nachlassrecht und Straf- und Bußgeldverfahren. Bei der geplanten Pebb§y-Neuerhebung werden die Erhebungsgeschäfte sogar noch kleinteiliger, sie werden anschließend zu größeren sogenannten Produkten zusammengefasst, damit das Ganze überhaupt noch handhabbar ist. Es ist insgesamt ein sehr großes Zahlenwerk.
NJW: Hat es sich aus Ihrer Sicht bisher bewährt?
Thomsen: Grundsätzlich würde ich sagen: Ja, auf jeden Fall. Die Ausstattung, die wir brauchen, um arbeiten zu können, damit die Rechtsprechung funktioniert, bekommen wir über die Legislative und die Exekutive. Und da ist Pebb§y ein anerkanntes Mittel, den Mindestbedarf transparent darzulegen. „100 %-Pebb§y“ ist im politischen Raum ein Qualitätssiegel geworden.
NJW: Die Justiz klagt trotz Pebb§y über Überlastung und mangelnde personellen Ressourcen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Thomsen: Pebb§y ist ein Gradmesser. Das System sagt: 100 % ist der richtige Deckungsgrad. Überall dort, wo wir unter 100 % sind, ist die Unterbesetzung in der Justiz durch Pebb§y belegt. Das ist aus Sicht der Praxis ein weiterer Vorteil des Modells. Es legt den Deckungsgrad in den Ländern offen, und wer unter 100 % liegt, gerät unter einen gewissen Druck, die dritte Gewalt angemessen auszustatten und funktionsfähig zu halten.
NJW: Was leistet Pebb§y nicht?
Thomsen: Pebb§y bildet nur den Istzustand ab. Die Kolleginnen und Kollegen, die unter Zeitdruck leiden, schreiben während der Erhebung nur das auf, was sie tatsächlich arbeiten. Und nicht das, was sie für eine angemessene Bearbeitung des Verfahrens eigentlich für notwendig halten. Pebb§y bildet so eben immer „nur“ das Mindestmaß ab. Und Pebb§y stößt an Grenzen, je kleinteiliger die Bedarfe zu ermitteln sind. Es hilft dem Land bei der Bedarfsermittlung, und es funktioniert auch noch bei der Verteilung des Personals auf die Gerichtsbezirke. Aber für die einzelnen Gerichte und die dortige Geschäftsverteilung ist es nur ein Orientierungspunkt.
NJW: Die Justizministerkonferenz hat jetzt für 2027 eine neue Vollerhebung beschlossen. Ist das sinnvoll?
Thomsen: Ja, unbedingt, es wird höchste Zeit, denn wir sind damit schon außerhalb des üblichen Turnus. Eigentlich wäre die nächste Vollerhebung schon in diesem Jahr fällig gewesen, was einige Bundesländer auch deutlich angemerkt haben. Die Erhebung ist aber aus nachvollziehbaren Gründen verschoben worden, weil man zunächst die flächendeckende Einführung der E-Akte abwarten wollte. Es hätte wenig Sinn gemacht, in diesem Jahr für viel Geld eine Erhebung durchzuführen, die zwei Jahre später durch eine teilweise neue Arbeitsweise schon wieder in relevanten Teilen überholt wäre.
NJW: Wie lange dauert eine solche Vollerhebung?
Thomsen: Die Erhebung selbst soll sechs Monate dauern. Anfang 2028 dürften die Ergebnisse vorliegen, die Einführung würde dann zu 2029 erfolgen. Die jetzt zugrunde liegenden Zahlen aus 2014 sind dann fast 15 Jahre alt. Das macht deutlich, dass die Zeiträume eigentlich zu lang sind.
NJW: Müsste man den Zeitraum von zehn Jahren zwischen den Vollerhebungen verringern?
Thomsen: Eigentlich ja, ist aber schwierig, weil sehr teuer. Da wir aber derzeit so viel über Justizdigitalisierung reden – eigentlich müsste sich auch die Personalbedarfsermittlung auf diese Weise einfacher und günstiger gestalten lassen. Wobei wir etwa bei einer (Teil-) Automatisierung das Problem des Benchmarkings und der Kontrolle hätten. Letzteres ist aus richterlicher Sicht unbedingt zu vermeiden, weil wir ansonsten in den sensiblen Bereich der richterlichen Unabhängigkeit kommen.
NJW: Pebb§y wurde bei Einführung als fortschreibungsfähiges System angelegt. Ist es noch auf der Höhe der Zeit?
Thomsen: Jedenfalls die Zahlen sind wie gerade gesagt veraltet. Seit 2014 hat sich viel verändert. Die Liste wäre lang, ich nenne jetzt nur mal Massenverfahren wie Diesel oder Beitragserhöhungen bei privaten Krankenkassen. In solchen Verfahren werden neben den Landgerichten auch die Amtsrichter mit Schriftsätzen von 50 Seiten und mehr zugeworfen. Pebb§y geht auch für solche Verfahren noch von einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von 152 Minuten aus. In der Zeit kann man die Schriftsätze noch nicht mal lesen.
NJW: Kriegt man solche Ausreißer nicht zwischen den Vollerhebungszeiträumen in den Griff, indem man dort gezielt nachjustiert?
Thomsen: Die kleinteiligen Erhebungsgeschäfte ermöglichen es schon, auf Änderungen zu reagieren. Beispielsweise hat man sich bei der Betreuungsrechtsreform zusammengesetzt und geschaut, inwieweit man aufgrund der Neuregelungen und neuer Aufgaben bei den Personalbedarfen nachsteuern muss. Das sind aber nur kosmetische Eingriffe, die nichts daran ändern, dass die Berechnungsgrundlagen insgesamt veraltet sind.
NJW: Pebb§y kann als Personalbedarfsberechnungssystem auf empirischer Basis keine Aussagen über künftige Personalbedarfe aufgrund neuer Gesetze bzw. neuer Organisationsabläufe und IT-Strukturen treffen. Da liegen aber die Herausforderungen der Zukunft, Stichworte: Pensionierungswelle, rückläufige Absolventenzahlen, digitale Transformation. Braucht die Justiz ein Tool für die langfristige und strategische Personalplanung?
Thomsen: Es wäre gut, wenn es so etwas gäbe. Vielleicht gibt es künftig mal ein – möglicherweise KI-gestütztes – Tool, das so etwas leisten kann. Im Moment haben wir das aber nicht. Aber weil Sie die Personalbedarfe aufgrund neuer Gesetze angesprochen haben: Da wäre es schön, wenn sich der Gesetzgeber künftig mehr Gedanken machen würde, was neue Gesetze und Reformen für die Justiz an zusätzlicher Arbeit bedeuten. Da fehlt es oft an belastbaren Berechnungen bzw. Prognosen. Das zeigt sich gerade deutlich beim Cannabisgesetz, das einen ganzen Rattenschwanz an neuen Aufgaben für die Justiz nach sich zieht. Das ist aber eine Anforderung an die Politik, nicht an Pebb§y.
Dr. Kai Thomsen ist seit 2000 im schleswig-holsteinischen Justizdienst. Nach einer zwischenzeitlichen Abordnung an das Landesjustizministerium und Tätigkeit als Richter am LG Kiel ist er seit 2013 Direktor des AG Eckernförde. Er ist Mitglied in der Arbeitsgruppe Pebb§y des Deutschen Richterbundes und nimmt seit 2004 an den Sitzungen der Kommission der Landesjustizverwaltungen für Fragen der Personalbedarfsberechnung „Bundespensenkommission“ teil.
Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.