Interview

Pa­ra­dig­men­wech­sel beim Kli­ma­schutz
Interview

Mo­na­te­lang hat die Bun­des­re­gie­rung um Än­de­run­gen im Kli­ma­schutz­ge­setz (KSG) ge­run­gen; eine Ei­ni­gung schien nicht in Sicht, bis Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Wis­sing (FDP) in der zwei­ten April­wo­che Fahr­ver­bo­te in Aus­sicht stell­te, falls eine Re­form nicht bis Mitte Juli in Kraft tre­ten soll­te. 

26. Jun 2024

Dann ging alles schnell: Mitte Mai bil­lig­te der Bun­des­rat die Än­de­run­gen, die der Bun­des­tag zuvor be­schlos­sen hatte. Wel­che das sind und ob Fahr­ver­bo­te damit erst­mal vom Tisch sind, woll­ten wir von Prof. Dr. Sa­bi­ne Schla­cke wis­sen. Sie ist ge­schäfts­füh­ren­de Di­rek­to­rin des In­sti­tuts für En­er­gie-, Um­welt- und See­recht der Uni­ver­si­tät Greifs­wald.

NJW: Warum hat sich die Ei­ni­gung über die Än­de­run­gen im KSG so lange hin­ge­zo­gen?

Schla­cke: Der erste Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung für das zwei­te Än­de­rungs­ge­setz stammt be­reits von Au­gust 2023. Er ist als Re­ak­ti­on auf die er­neu­te, vom Ex­per­ten­rat für Kli­ma­fra­gen fest­ge­stell­te Ver­feh­lung der Sek­tor­zie­le im Ver­kehrs­be­reich zu wer­ten. Nach der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung im Bun­des­tags­aus­schuss für Kli­ma­schutz und En­er­gie im No­vem­ber 2023 pas­sier­te bis Mitte April 2024 nichts. Das lag an den Kon­flik­ten zwi­schen den Re­gie­rungs­par­tei­en: Die FDP woll­te recht­li­che Ent­las­tung im Ver­kehrs­sek­tor er­hal­ten und nicht mehr ver­pflich­tet sein, mit So­fort­pro­gram­men nach­zu­bes­sern. Die SPD und die Grü­nen woll­ten Rück­schrit­te beim Kli­ma­schutz ver­mei­den. Die er­ziel­te Ei­ni­gung spie­gelt die­sen Ba­lan­ce­akt wider. Im Er­geb­nis sind die in­halt­li­chen Än­de­run­gen zwi­schen dem Ge­setz­ent­wurf und der be­schlos­se­nen Fas­sung über­schau­bar.

NJW: Wel­che Än­de­run­gen gel­ten denn künf­tig?

Schla­cke: Im Zuge der No­vel­le führt der Ge­setz­ge­ber sek­tor­über­grei­fen­de Jah­res­emis­si­ons­ge­samt­men­gen ein (§ 4 KSG). Sie agg­re­gie­ren die sek­tor­spe­zi­fi­schen Jah­res­emis­si­ons­men­gen (§ 5 KSG). Die be­stehen­den jähr­li­chen sek­tor­spe­zi­fi­schen Min­de­rungs­zie­le, auch Sek­tor­zie­le ge­nannt, wer­den – ent­ge­gen vie­ler Fehl­mel­dun­gen in den Me­di­en – nicht auf­ge­ho­ben, al­ler­dings fol­gen bei ihrer Über­schrei­tung keine zwin­gen­den recht­li­chen Kon­se­quen­zen mehr: So­fort­pro­gram­me sind nicht mehr von ein­zel­nen Bun­des­mi­nis­te­ri­en zu er­stel­len. Statt­des­sen muss nun­mehr die Bun­des­re­gie­rung als Kol­le­gi­al­or­gan, falls die Pro­gno­se er­gibt, dass in zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Jah­ren die Emis­si­ons­ge­samt­men­gen in Summe über­schrit­ten wer­den, Maß­nah­men be­schlie­ßen, die die Ein­hal­tung der Ge­samt­men­gen si­cher­stel­len (§ 8 KSG). Das ist ein Pa­ra­dig­men­wech­sel hin­sicht­lich der Be­wirt­schaf­tung der Treib­haus­gas­emis­sio­nen. Der Ge­setz­ge­ber wen­det sich von der re­ak­ti­ven Ge­stal­tung ab und sta­tu­iert eine pro­spek­ti­ve Aus­rich­tung der Be­wirt­schaf­tung der Treib­haus­gas­emis­sio­nen. In­fol­ge der Ge­samt­ver­ant­wort­lich­keit der Bun­des­re­gie­rung ver­ab­schie­det sich der Ge­setz­ge­ber teil­wei­se vom bud­get­ori­en­tier­ten Res­sort­prin­zip des Ge­set­zes, das seit dem Jahr 2019 galt.

NJW: Das Än­de­rungs­vor­ha­ben geht zu­rück auf den Ent­wurf aus dem Hause von Wirt­schafts­mi­nis­ter Ha­beck (Grüne). In­wie­fern weicht die be­schlos­se­ne Fas­sung hier­von ab?

Schla­cke: Das Grund­an­lie­gen der No­vel­le bleibt un­ver­än­dert: die Um­stel­lung auf die sek­tor­über­grei­fen­den Jah­res­emis­si­ons­ge­samt­men­gen mit dem ge­än­der­ten Nach­steue­rungs­me­cha­nis­mus. Strit­tig waren viel­mehr die De­tails. Das zeigt die Be­schluss­emp­feh­lung: So gibt es Än­de­run­gen bei den Re­ge­lun­gen zu den Treib­haus­gas­emis­sio­nen durch Land­nut­zung, Land­nut­zungs­än­de­rung und Forst­wirt­schaft (§ 3a KSG – LU­LUCF-Sek­tor) sowie den Pro­jek­ti­ons­da­ten (§ 5a KSG), die nun­mehr ent­schei­dend für die Be­wer­tung der Ein­hal­tung der Ge­samtemis­si­ons­men­gen sind. Fer­ner er­folgt eine en­ge­re Ver­zah­nung mit der EU-Kli­ma­schutz­ver­ord­nung (§ 7 KSG).

NJW: Kri­ti­ker be­wer­ten die Än­de­run­gen als Auf­wei­chun­gen bzw. be­fürch­ten einen Ver­lust an Ver­bind­lich­keit beim Kli­ma­schutz. Ist da was dran?

Schla­cke: Teil­wei­se. Ins­ge­samt blei­ben die quan­ti­ta­ti­ven Re­duk­ti­ons­zie­le für die nächs­ten De­ka­den un­ver­än­dert. Ins­be­son­de­re die na­tio­na­len Kli­ma­schutz­zie­le nach § 3 KSG tas­tet das Än­de­rungs­ge­setz nicht an. Die Zu­ord­nung von sek­to­ra­len Bud­gets zu ein­zel­nen Res­sorts mit et­wai­ger Nach­steue­rungs­pflicht durch So­fort­pro­gram­me ge­währ­leis­te­te in der Ver­gan­gen­heit eine ein­deu­ti­ge Fest­le­gung von Ver­ant­wort­lich­kei­ten. Im Zuge der Ge­samt­ver­ant­wor­tung ist das kaum noch mög­lich, wes­halb eine Ver­ant­wor­tungs­dif­fu­si­on zu be­fürch­ten ist. Im Er­geb­nis bleibt al­ler­dings die Pflicht zur Ein­hal­tung der Min­de­rungs­zie­le. Auch der auf zwei Jahre an­ge­leg­te Nach­steue­rungs­me­cha­nis­mus sowie die Ab­schwä­chung des Ziel­cha­rak­ters der Ge­samt­men­gen im Ver­gleich zu den jähr­li­chen Min­de­rungs­zie­len ber­gen die Ge­fahr, dass das Ge­setz an Ef­fek­ti­vi­tät ver­liert. Je­doch sind auch die Ver­bes­se­run­gen auf­zu­zei­gen: Das Än­de­rungs­ge­setz stärkt die Rolle des Ex­per­ten­rats für Kli­ma­fra­gen. Fer­ner for­ciert es die Bei­trä­ge tech­ni­scher Sen­ken zum Kli­ma­schutz (§ 3b KSG). Grund­sätz­lich ist auch die Um­stel­lung auf eine ex-ante-Be­trach­tung zu be­grü­ßen, die auch der Ex­per­ten­rat emp­fahl und die mehr Ko­hä­renz zur Eu­ro­päi­schen Go­ver­nan­ce-Ver­ord­nung auf­weist.

NJW: Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Wis­sing hatte kurz nach Os­tern unter an­de­rem Fahr­ver­bo­te an Wo­chen­en­den in Aus­sicht ge­stellt. Unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen wären diese recht­mä­ßig ge­we­sen?

Schla­cke: Ge­ne­rel­le Fahr­ver­bo­te für Kraft­fahr­zeu­ge be­dür­fen als ho­heit­li­che Ein­griffs­maß­nah­me einer ge­setz­li­chen Er­mäch­ti­gung. Da­ne­ben müs­sen die for­mel­len und ma­te­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen er­füllt sein; ins­be­son­de­re ist die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit eines Fahr­ver­bots im kon­kre­ten Ein­zel­fall zu wah­ren. Ob diese An­for­de­run­gen er­füllt ge­we­sen wären, er­scheint doch höchst frag­lich.

NJW: Müs­sen Au­to­fah­rer trotz der in Kraft ge­tre­te­nen Än­de­run­gen künf­tig mit Fahr­ver­bo­ten rech­nen?

Schla­cke: Recht­lich blei­ben Fahr­ver­bo­te – unter Wah­rung der ge­setz­li­chen und ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen – im Ein­zel­fall denk­bar und mög­lich. Auf­grund der po­li­ti­schen Si­tua­ti­on ist damit in naher Zu­kunft aber nicht zu rech­nen.

NJW: Einen Tag, bevor der Bun­des­rat die Än­de­run­gen im KSG bil­lig­te, hatte das OVG Ber­lin-Bran­den­burg das im Ok­to­ber 2023 be­schlos­se­ne Kli­ma­schutz­pro­gramm der Bun­des­re­gie­rung für un­zu­rei­chend er­ach­tet. Steht nun die nächs­te KSG-Re­form an?

Schla­cke: Nach § 9 KSG hat die Bun­des­re­gie­rung ein Kli­ma­schutz­pro­gramm zu be­schlie­ßen, das ein Ge­samt­plan mit ein­zel­nen Kli­ma­schutz­maß­nah­men ist. Das OVG Ber­lin-Bran­den­burg ur­teil­te nun in der von Ihnen er­wähn­ten Ent­schei­dung vom 16.5.2024, dass das Pro­gramm die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben nicht voll­stän­dig er­füllt, weil mit­hil­fe der Maß­nah­men die Kli­ma­schutz­zie­le nicht er­reich­bar seien. Mit an­de­ren Wor­ten: Das Kli­ma­schutz­pro­gramm muss am­bi­tio­nier­ter nach­ge­bes­sert wer­den. Si­cher bleibt eine Ab­schwä­chung der An­for­de­run­gen an das Kli­ma­schutz­pro­gramm und damit eine Än­de­rung des § 9 KSG denk­bar. Al­ler­dings gerät der Ge­setz­ge­ber dann vor­aus­sicht­lich mit ver­fas­sungs­recht­li­chen Kli­ma­schutz­an­for­de­run­gen in Kon­flikt. In­so­fern dürf­te eine wei­te­re Ge­set­zes­no­vel­le fern­lie­gen.

NJW: Im ver­gan­ge­nen No­vem­ber hatte das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt der Bun­des­re­gie­rung un­ter­sagt, Gel­der, die für die Be­kämp­fung der Co­ro­na-Pan­de­mie im Haus­halt 2021 ver­an­schlagt wor­den waren, für den Kli­ma­schutz um­zu­wid­men. Be­steht die Ge­fahr, dass der Kli­ma­schutz nun an feh­len­den fi­nan­zi­el­len Mit­teln schei­tert?

Schla­cke: Ja. So ste­hen ex­em­pla­risch Haus­halts­kür­zun­gen beim na­tür­li­chen Kli­ma­schutz, dem Mee­re­sum­welt­schutz oder der Ei­sen­bahn­in­fra­struk­tur bevor. Ge­wiss kon­kur­riert Kli­ma­schutz mit an­de­ren wich­ti­gen Be­lan­gen. Zu­gleich ist es po­li­tisch un­at­trak­tiv, In­ves­ti­tio­nen zu tä­ti­gen, deren Wir­kung sich erst lang­fris­tig zei­tigt. Indes steht die Not­wen­dig­keit des Kli­ma­schut­zes außer Frage. Durch Kli­ma­schutz in der Ge­gen­wart wer­den kli­ma­wan­del­be­ding­te Fol­ge­kos­ten zu­künf­tig ge­rin­ger aus­fal­len, so dass Kli­ma­schutz sich auch haus­häl­te­risch aus­zahlt. Hier­an sind die po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger zu er­in­nern. 

Seit Ok­to­ber 2021 ist Pro­fes­sor Dr. Sa­bi­ne Schla­cke In­ha­be­rin des Lehr­stuhls für Öf­fent­li­ches Recht mit einem Schwer­punkt im Ver­wal­tungs- und Um­welt­recht an der Uni­ver­si­tät Greifs­wald sowie Di­rek­to­rin des dor­ti­gen In­sti­tuts für En­er­gie-, Um­welt- und See­recht. Zuvor lehr­te sie unter an­de­rem Ver­wal­tungs- und Um­welt­recht an den Uni­ver­si­tä­ten in Bre­men und Müns­ter. Sie ist unter an­de­rem stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de der Ge­sell­schaft für Um­welt­recht, seit 2008 Mit­glied und seit 2016 Co-Vor­sit­zen­de des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der Bun­des­re­gie­rung Glo­ba­le Um­welt­ver­än­de­run­gen. Im No­vem­ber 2011 wurde Schla­cke zur Rich­te­rin des Staats­ge­richts­hofs der Frei­en Han­se­stadt Bre­men ge­wählt, des­sen Vi­ze­prä­si­den­tin sie seit 2019 ist.

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Interview: Monika Spiekermann.