Interview
Die GrundgeSätze-Checker
Jasper Schlump

Der gemeinnützige Verein 10drei macht Lehrerinnen und Lehrer fit, damit Kinder und Jugendliche in kurzen Workshops gemeinsam erfahren und in eigenen Worten formulieren, was die Grundrechte für sie bedeuten. Vorstandsmitglied Jasper Schlump über seine Lieblings-GrundgeSätze der Schüler, die Herausforderung, das vielfach ausgezeichnete Projekt dorthin zu bringen, wo es am meisten gebraucht wird, und wie Juristinnen und Juristen dabei unterstützen können.

29. Mai 2024

NJW: Grundgesetz-Workshops an Schulen – wen sprechen Sie damit an, und was genau hat man sich darunter vorzustellen?

Schlump: Die GrundgeSätze-Workshops adressieren alle Jahrgangsstufen von der fünften bis zur 13. Klasse. Wir möchten den Schülerinnen und Schülern nahebringen, was das Grundgesetz für sie bedeutet, was es mit ihrem Alltag zu tun hat. Für den Workshop qualifizieren wir Lehrerinnen und Lehrer, indem wir ihnen Materialien zur Verfügung stellen. Sie bekommen – kostenlos – eine Online-Schulung und erhalten dann ein umfassendes Materialpaket, um den Workshop durchzuführen. Das geschieht dann meist in zwei bis drei Gruppen. Jede Gruppe sucht sich ein Grundrecht aus, dessen Inhalt und Bedeutung die Schülerinnen und Schüler sich mit Unterstützung der Lehrkräfte und der Hilfe von Design-Thinking-Methoden in Gruppenarbeit selbst erarbeiten – und zwar aus ihrer Lebenswirklichkeit heraus.

NJW: Welche Grundrechte interessieren die Schülerinnen und Schüler aus dieser Lebenswirklichkeit heraus am meisten?

Schlump: Meist wählen sie die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG und den Gleichbehandlungsgrundsatz aus. Und es ist unglaublich, zu sehen, was die Jugendlichen daraus machen. Wir fanden das so großartig, dass wir es auch haptisch erlebbar machen wollten und deshalb im vergangenen Jahr die besten von ihnen entwickelten Sätze gekürt haben. Daraus ist ein großes GrundgeSätze-Plakat mit den besten GrundgeSätzen entstanden, das wir nun jeweils mit in die Schulen schicken, die die Workshops ihrerseits durchführen.

NJW: Was war Ihr Favorit?

Schlump: Die Garantie der Menschenwürde aus Art. 1 GG. Die Jugendlichen haben das so formuliert: "Man sollte seine Mitmenschen so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte." Oder vielleicht Art. 3 GG: "Niemand darf wegen seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft und Weiterem diskriminiert, gemobbt, belästigt oder bevorzugt werden."

NJW: Die Schülerinnen und Schüler sind ja sogenannte Digital Natives. Spielen informationelle Selbstbestimmung und Informationsfreiheit eine große Rolle für sie?

Schlump: Ja! Besonders wichtig ist ihnen Schutz der eigenen Rechte (Wort, Bild etc.), weil sie deren Verletzungen (Diskriminierung, Cybermobbing) in ihrer digitalen Lebenswelt regelmäßig erleben. Diese Themen sind nun Realität im Alltag, da viele Schülerinnen und Schüler sehr präsent auf Social Media sind. Das bedeutet eine Gratwanderung zwischen Preisgabe von Persönlichem und Schutz der Privatsphäre.

NJW: Und interessiert sie Art. 7 GG zum Schulwesen?

Schlump: Definitiv. Gerade das Bewusstmachen von Schule als Privileg und das Thema Inklusion ist von Interesse. Außerdem wird häufig das Thema Bildungsgerechtigkeit / Chancengleichheit, gerade an anderen Schulformen als am Gymnasium, thematisiert.

NJW: Aus wie vielen Vorschlägen konnten Sie denn auswählen? Wie viele Workshops haben die Lehrkräfte auf Initiative von 10drei hin schon durchgeführt?

Schlump: Wir haben in den vergangenen Jahren über 1.000 Schülerinnen und Schüler in acht Bundesländern erreicht, dabei sind schon knapp 4.000 Sätze herausgekommen. Möglich ist das, weil wir bisher alle ehrenamtlich arbeiten, dank einer großzügigen Förderung der Hertie-Stiftung.

NJW: 10drei wird nicht nur von der Hertie-Stiftung unterstützt, das frühe Heranführen an unsere Verfassung wird gesellschaftlich und politisch offenbar als wichtiges Projekt wahrgenommen. Aber erfahren Sie so viel Wertschätzung auch in den Schulen, also dort, wo die Workshops durchgeführt werden sollten?

Schlump: Wir sind tatsächlich stolze Preisträger des Start-Social-Stipendiums und wurden unter die sieben besten Bildungsorganisationen Deutschlands gewählt, die unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz stehen. Auch andere Unterstützung wie zum Beispiel der begehrte Hidden Movers Award der Deloitte-Stiftung, der mit einer großen Spende verbunden war, hat uns sehr geholfen. Auch die Umsetzung an den Schulen funktioniert großartig – allerdings bisher vor allem dort, wo wir den Gläubigen predigen. Die Lehrkräfte, die ohnehin schon sehr engagiert sind und den Schülerinnen und Schülern viel mitgeben möchten, machen die GrundgeSätze-Workshops auch noch oben drauf. Dort aber, wo die Lehrkörper weniger motiviert – oder vielleicht auch mit anderen Herausforderungen ausgelastet – sind, stellt es sich schwieriger dar. Dabei wollen wir ja vor allem die Schülerinnen und Schüler erreichen, die das Verständnis unserer Verfassung am dringendsten nötig haben, bisher aber mit dem Grundgesetz praktisch nichts anfangen können. Das sind ja häufig diejenigen, die sehr kreativ sind, wenn sie denn mal gehört werden.

NJW: Haben Sie die Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrern überschätzt, dieses Zusatzprojekt durchzuführen?

Schlump: Dort, wo wir nicht auf Menschen treffen, die mit besonderem Engagement für ihre Schülerinnen und Schüler da sind, haben wir offenbar tatsächlich die Bereitschaft, vor allem aber die Flexibilität und auch den digitalen Ansatz an den Schulen falsch eingeschätzt. Um tatsächlich alle zu erreichen, müsste man die Lehrkräfte wohl am besten an den Lehrerzimmern abholen.

NJW: Wie wollen Sie das ändern?

Schlump: Wir sind sehr froh, dank der zivilgesellschaftlichen Unterstützung nun unsere erste hauptamtliche Stelle besetzt zu haben, wir haben jetzt eine Programmleitung. Schließlich haben wir für 2024 große Ziele: Wir werden noch viel mehr Schulen aktiv ansprechen und zu erreichen versuchen, aber auch noch skalierbarer arbeiten, also zum Beispiel Webinare aufbauen, damit noch mehr Lehrkräfte die Workshops einfach, geordnet und strukturiert an ihren Schulen durchführen können. Wir haben uns deshalb auch schon um weiteres Funding beworben, denn in 2024 möchten wir mindestens 20.000 Schülerinnen und Schüler erreichen.

NJW: Bald sind Sie bei "Checker Tobi".

Schlump: In der Tat – und schon ganz aufgeregt! Im Ernst: Aktuell adressieren wir mit den GrundgeSätze-Workshops alle Schülerinnen und Schüler von der Sekundarstufe I bis zur 13. Klasse, egal ob Hauptschule oder Gymnasium. Mittelfristig möchten wir aber noch früher ansetzen. Wir freuen uns deshalb sehr, wichtiger Bestandteil einer Podcast-Folge von "Checker Tobi" zu sein, die bald gesendet werden wird. Alle Eltern werden sie kennen (lacht). Es gibt auch noch weitere Pläne, um unser Hauptprojekt "GrundgeSätze" zu finanzieren, aber die werden noch nicht verraten.

NJW: Was können Juristinnen und Juristen tun?

Schlump: Neben – natürlich – Spenden ist vor allem eines wichtig: Spread the word! Wir wollen in jede Schule Deutschlands, in diesem Superwahljahr mehr denn je. Wir möchten jeglicher eventuellen Politikverdrossenheit entgegenwirken, indem wir für die Schülerinnen und Schüler erlebbar machen, welche Kraft in den Artikeln unserer Verfassung steckt – am besten für alle in Deutschland. 

Jasper Schlump ist Serial Social Entrepreneur, Impact Investor und stellvertretender Vorstand bei 10drei. Er hat zwei Bildungsorganisationen mit aufgebaut und über zehn Jahre Erfahrung im Fundraising. Seit 2018 arbeitet er für einen Impact Startup Investoren und ist dabei für den Bereich Investor Relations verantwortlich.

10drei wurde 2019 als gemeinnütziger Verein gegründet. Für seine Aktivitäten wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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Interview: Pia Lorenz.