Interview
Reformbedarf bei der EU-Gesetzgebung?
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Die EU-Gesetzgebung hat zuletzt durch Prestigeprojekte wie die KI-Verordnung und die Lieferketten-Richtlinie viel Aufmerksamkeit bekommen. Bei letztgenanntem Gesetzgebungsvorhaben rumpelte es bis zuletzt gehörig. Offenbaren die dabei zutage getretenen Probleme einen Reformbedarf bei der EU-Gesetzgebung? Fragen an den Rechtswissenschaftler und Abgeordneten des Europäischen Parlaments Prof. Dr. René Repasi.

2. Mai 2024

NJW: Manches an der EU-Gesetzgebung ist für uns Deutsche gewöhnungsbedürftig, etwa die starke Stellung eines Exekutivorgans wie der Kommission oder die in den Verträgen gar nicht vorgesehenen informellen Trilogverhandlungen. Sind das nicht tatsächlich Mängel demokratischer Legitimation der Legislative?

Repasi: Als Institutionen verfügen das Europäische Parlament und der Rat über eine ausreichende demokratische Legitimation. Diese wird den Institutionen durch das Initiativmonopol der Kommission und den informellen Trilog als Teil der ersten Lesung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nicht genommen. Die Kommission besitzt mit wenigen Ausnahmen das Initiativmonopol für Gesetzgebungsvorschläge. Das EU-Parlament kann sie jedoch zur Vorlage eines Gesetzgebungsvorschlags auffordern. Nach einem entsprechenden Beschluss des Parlaments muss die Kommission dem Parlament innerhalb von drei Monaten mitteilen, ob sie einen Vorschlag innerhalb eines Jahres vorlegt oder dies ablehnt, was sie dann ausführlich begründen muss.

NJW: Teilen Sie die Kritik an der Intransparenz der Trilogverhandlungen?

Repasi: Ja, sie ist das Hauptproblem des Trilogs. Es ist für Außenstehende schwer bis gar nicht nachvollziehbar, welche der beteiligten Institutionen für welche Änderung verantwortlich ist. Auch wenn diese Intransparenz den gesetzgebenden Institutionen Europäisches Parlament und Rat nicht ihre institutionelle demokratische Legitimation nimmt, unterminiert sie aber die demokratische Überzeugungskraft des Gesetzgebungsverfahrens.

NJW: Bei der Lieferketten-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) haben wir gelernt, dass es noch ein bis dahin weithin unbekanntes wichtiges Entscheidungsgremium gibt, nämlich den Ausschuss der Ständiger Vertreter (AStV). Können Sie uns den erläutern?

Repasi: Dieser Ausschuss ist in den Verträgen in Art. 240 AEUV selbst vorgesehen. Er besteht aus zwei Konfigurationen (AStV I und AStV II), die sich hinsichtlich der behandelten Themen unterscheiden. Hier besprechen die „Botschafter“ der Mitgliedstaaten konkrete Gesetzgebungsprojekte und bereiten die Abstimmungen im Rat vor. Materielle Entscheidungsbefugnisse hat der AStV nicht. In ihm findet das Alltagsgeschäft des Rates statt, während zum Ministerrat die abstimmungsberechtigten Minister oder Staatssekretäre nur punktuell nach Brüssel einfliegen.

NJW: Wenn der Rat schon im Trilog zugestimmt hat, warum dann nochmals ein Durchgang durch den AStV?

Repasi: Das Problem bei der CSDDD lag im zweiphasigen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, das zwei Entscheidungsmomente für die gesetzgebenden Institutionen vorsieht. In der ersten Halbzeit legen Rat und Parlament ihre jeweiligen Verhandlungspositionen fest. Das ist der erste Entscheidungsmoment. Danach beginnt die zweite Halbzeit mit dem Trilog, bei dem Parlament, Rat und Kommission auf der Grundlage ihrer Verhandlungspositionen zu einer geeinten Kompromissfassung kommen sollen. Das Parlament wird dabei von einem Abgeordneten als Berichterstatter vertreten, der Rat von der halbjährigen Ratspräsidentschaft und die Kommission vom zuständigen Kommissar. Weicht die Ratspräsidentschaft vom ursprünglichen Verhandlungsmandat ab, holt sie sich die Unterstützung des AStV. Das endgültig geeinte Ergebnis muss dann vom Plenum des Parlaments und vom Ministerrat bestätigt werden. Das ist der zweite Entscheidungsmoment für beide Institutionen. Bevor der Ministerrat am Ende der zweiten Halbzeit sein endgültiges Votum abgibt, prüft der AStV die grundsätzliche Zustimmungsfähigkeit des geeinten Textes. Bei der CSDDD hatte der AStV das Verhandlungsergebnis der spanischen Ratspräsidentschaft auch bei Punkten kritisiert, in denen die Präsidentschaft vom ursprünglichen Verhandlungsmandat gar nicht abgewichen ist. Darin lag das eigentliche Problem: Der Ratspräsidentschaft wurde im Nachhinein das Mandat entzogen. So ein Vorgehen macht Verhandlungen natürlich sehr schwierig.

NJW: Die Enthaltung eines Mitgliedstaats im Rat kommt einem Nein gleich. Dieses von Deutschland häufig praktizierte Stimmverhalten wird in Brüssel genervt „German Vote“ bezeichnet. Wie sehen Sie das?

Repasi: Es gibt zwei Arten von „German Vote“: Die eine besteht darin, dass sich die Bundesregierung an der Positionsfindung innerhalb des Rats (erste Halbzeit) nicht beteiligten kann, weil sie sich auf keine gemeinsame Position einigen konnte und sich dann im Ministerrat enthalten muss. Damit schadet Deutschland nur seinen Interessen. Die zweite Art beschreibt die Änderung des Abstimmungsverhaltens zum Ende der zweiten Halbzeit: Deutschland enthält sich in der Schlussabstimmung, obwohl es dem Verhandlungsmandat am Ende der ersten Halbzeit noch zugestimmt hat. So etwa geschehen bei der CSDDD. Diese Art des „German Vote“ halte ich für sehr problematisch.

NJW: Auch weil so – wie im Fall der FDP-Blockade bei der CSDDD – eine vergleichsweise kleine Partei eines Mitgliedstaates zu viel Einfluss in einem EU-Gesetzgebungsverfahren entwickeln kann?

Repasi: Das ist eine sehr gute Frage. Diese Situation ist der Tatsache geschuldet, dass Deutschland das größte Stimmengewicht im Rat hat und dass die europapolitische Koordinierung innerhalb der Bundesregierung auf Konsens ausgerichtet ist. Zum ersten Mal findet dies jetzt unter den Bedingungen einer Drei-Parteien-Regierung statt. Diese Kombination führt dazu, dass die kleinste Regierungspartei des größten Mitgliedslandes einen unverhältnismäßig großen Verhinderungseinfluss innerhalb des Rates hat.

NJW: Die EU hält ihr Gesetzgebungsverfahren selbst für reformbedürftig, das Parlament hat hierzu konkrete Vorschläge unterbreitet: Es soll mehr Beschlüsse im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren geben, auch um Blockaden im Rat zu verringern. Wie bewerten Sie das?

Repasi: Das halte ich für sehr wichtig. Der Umstieg auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren bedeutet nämlich, dass der Rat nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Sollte sich die EU in den nächsten Jahren um mehrere Staaten erweitern, wird die Ausweitung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens zur Überlebensfrage.

NJW: Auch seine internen Regeln zum Gesetzgebungsprozess will das Parlament reformieren, etwa bei zersplitterten Zuständigkeiten und schwerfälligen Verfahren, insbesondere bei der Arbeit der Ausschüsse.

Repasi: Das sind in der Praxis sehr relevante Probleme. Hintergrund ist, dass ein Gesetzgebungsprojekt im Europäischen Parlament einen federführenden Ausschuss braucht, aus dem sich der Berichterstatter als Verhandlungsführer rekrutiert. Die Bestimmung der Federführung folgt dabei einer im Anhang der Geschäftsordnung des Parlaments festgelegten Kompetenzzuschreibung der Ausschüsse. Aufgrund der breiter werdenden Gesetzgebungsvorschläge der Kommission häuften sich in der Vergangenheit Kompetenzkonflikte zwischen Fachausschüssen, gerade bei Gesetzgebungsvorschlägen zum „Green Deal“. Lassen sich diese nicht klären, werden die Ausschüsse zum Zweck des konkreten Gesetzgebungsverfahrens zusammengelegt, wobei dann aus jedem Ausschuss Berichterstatter und Schattenberichterstatter benannt werden, die sich ins Einvernehmen setzen müssen. Das verlangsamt das Gesetzgebungsverfahren enorm. Weil das Geschäftsordnungsrecht ist, kann das Parlament dies selbstständig verändern. Diese Reform wird derzeit diskutiert.

NJW: Wie realistisch sind solche Reformen nach der Europawahl im Juni?

Repasi: Die Reform der Zusammenarbeit der Ausschüsse wird noch vor der Wahl entschieden. Danach sollte ein neues interinstitutionelles Abkommen zwischen Parlament, Kommission und Rat ausgehandelt werden, in dem wir Fragen der stärkeren Transparenz und des Ablaufs des Trilogs klären. Wie ambitioniert Rat und Kommission dann sein werden, bleibt abzuwarten.

Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. René Repasi (SPD) ist seit 2021 Professor für Europarecht an der Erasmus Universität Rotterdam. Dem Europäischen Parlament gehört er seit 2022 als Abgeordneter an. Er ist Spitzenkandidat der baden-württembergischen SPD für die Europawahl.

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Interview: Tobias Freudenberg.