NJW: Der Entscheidung der Bundesnetzagentur (BNetzA) vom 11.3. messen viele Fachleute eine Signalwirkung bei. Inwiefern?
Hense: Diese Entscheidung signalisiert, dass die Behörde ein Zeichen für die Durchsetzung von Bürgerrechten setzen möchte. Sie will beweisen, dass das 2021 vom Gesetzgeber allen Bürgerinnen und Bürgern garantierte Recht auf Mindestangebot nach §§ 156, 157 II TKG müden Telekommunikationsanbietern Beine machen soll. Klaus Müller, Präsident der BNetzA, war nicht umsonst zuvor acht Jahre lang Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Eine andere Behördenleitung hätte womöglich keinen derart aufsehenerregenden Weg oder die Bezeichnung „Pilotverfahren“ gewählt, um die garantierten Werte der TK-Mindestversorgungsverordnung (TKMV 2022) von knapp bemessenen 10 Mbit Downstream, 1,7 Mbit Upstream und 150ms Latenz für Internetzugänge auf dem flachen Land durchzuboxen. Immerhin bleibt der Name des zur Gewährung der Mindestversorgung verpflichteten Unternehmens im Ungefähren.
NJW: Warum hat sich die BNetzA eingeschaltet?
Hense: In concreto beschwerte sich ein Verbraucher über die Unmöglichkeit, die Mindestversorgung zu einem erschwinglichen Preis zu erhalten, was in § 158 TKG adressiert wird. Wenngleich möglich, sollen Verbraucher doch nicht auf die Inanspruchnahme teurer Satellitenverbindungen angewiesen sein, um eine E-Mail aus dem Schwarzwald, von der Ostsee oder dem hessischen Bergland senden zu können, weshalb § 158 I TKG auch die Erschwinglichkeit des Anschlusses zu einem entscheidenden Kriterium erhebt. Nach eigenen Angaben liegen der Behörde rund 130 derartige Beschwerden vor, was angesichts der vielen weißen Flecken auf der Landkarte Deutschlands und rund 300.000 unterversorgten Haushalten verwundern mag. Zudem gibt das TKG der BNetzA in § 157 TKG beispielsweise das Instrument der Marktüberwachung an die Hand, so dass sie aus eigenen Mitteln bereits recht gut mit allgemeinen Daten über die Versorgungslage ausgestattet ist.
NJW: Die BNetzA hat in dem Fall ein sogenanntes Verpflichtungsverfahren durchgeführt. Können Sie uns das erläutern?
Hense: § 161 TKG ist die Rechtsgrundlage für dieses Verfahren und gewissermaßen ein Notanker für den Fall, dass sich kein Unternehmen freiwillig bereit erklärt, den Endnutzer angemessen und erschwinglich zu versorgen. Der Behörde steht bei der Einleitung des Verfahrens kein Ermessen zu, sie muss einschreiten. Dass sie dieses Jahr zum ersten Mal von der Verpflichtungsmöglichkeit Gebrauch macht, liegt sicherlich nicht am zu geringen Handlungsbedarf, sondern entweder an der erzwungenen Kooperationsbereitschaft der Anbieter oder an operativer Überlastung der Behörde.
NJW: Nach welchen Kriterien wird ein Anbieter verpflichtet?
Hense: In Betracht kommende Unternehmen werden zunächst angehört, bevor eine Entscheidung für die Verpflichtung eines bestimmten Unternehmens und hinsichtlich einer bestimmten Versorgungsart getroffen wird, wobei eine Rolle spielt, welche Infrastruktur bereits in der Nähe vorhanden ist. In beiden Fällen hat die Behörde ein Auswahlermessen. Der Verpflichtete hat binnen längstens drei Monaten mit der Ausführung zu beginnen und diese binnen weiterer drei Monate erfolgreich abzuschließen (§ 161 II 4 TKG). Insgesamt ein zügig ausgestaltetes Verfahren, wobei man nicht vergessen darf, dass es sich letztlich nur um das Verlegen einer schlichten Leitung oder die Bereitstellung einer drahtlosen Verbindung handelt, was im 21. Jahrhundert kein Hexenwerk mehr sein sollte. Allerdings steht dem verpflichteten Unternehmen offen, gegen die Verpflichtung gerichtlich vorzugehen, was den Zeitplan torpedieren könnte. Angesichts der öffentlichen Positionierung der Behörde ist eine solche Klage allerdings aufgrund des zu erwartenden öffentlichen Drucks weniger wahrscheinlich.
NJW: Zu was konkret wurde der Anbieter in dem Fall verpflichtet?
Hense: Dem betroffenen Nutzer seine Mindestversorgungstrias (10/1,7/150) nach der TKMV zu einem erschwinglichen Preis herzustellen. Wenn er Glück hat, wird die TKMV noch einmal angepasst und mit höheren Werten als bisher ausgestattet.
NJW: Wie sind diese Mindestanforderungen zu bewerten? Reicht das für eine angemessene Versorgung angesichts von Homeoffice und -schooling aus?
Hense: Sie sind zu gering, um ein sinnvolles Arbeiten in der heutigen Zeit zu gewährleisten. Allein der Upstream einer einzigen Videokonferenz kommt im Mittel durchaus in die Nähe von 1 Mbit, die auch durchgehend sauber verfügbar sein müssten, was leider selbst bei wesentlich leistungsfähigeren Verbindungen nicht immer der Fall ist. Haben Sie zwei Mobiltelefone und ein Notebook parallel im Heimnetz aktiv, dürfte das Mindestangebot gerade noch für E-Mails reichen, an SaaS-Anwendungen, VPN und Videokonferenzen ist dann nicht zu denken. Das ist unbefriedigend.
NJW: Wie lässt sich feststellen, ob das, was der Provider zur Verfügung stellt, der Grund- bzw. Mindestversorgung entspricht?
Hense: Neben individuellen Messungen, denen seitens der Telekommunikationsunternehmen in schöner Regelmäßigkeit mangelnde Verbindlichkeit vorgeworfen wird, gibt es die Möglichkeit, sich auf offizielle Zahlen und Breitbandmessungen der BNetzA und ihr „Gigabitgrundbuch“ zu stützen.
NJW: Welche (weiteren) Rechte haben Verbraucher, wenn sich dabei Defizite ergeben?
Hense: Sie könnten im Wege der Selbsthilfe nach erfolgloser Aufforderung zu vertrags- und gesetzmäßiger Leistung Alternativen wie einen satellitengestützten Internetzugang aufbauen. So teuer ist das gar nicht, knapp 100 Euro pro Monat, allerdings auch nicht sonderlich stabil. Spannend und teuer würde es, wenn Bürgerinitiativen Tiefbauunternehmen beauftragten, Erdkabel zum nächsten TK-Knotenpunkt zu verlegen, und die Kosten als Schadensersatz wegen vertraglicher Pflichtverletzung liquidieren. Allerdings muss man sehen, dass der Großteil der Betroffenen weder Geld noch Lust auf juristische Auseinandersetzungen hat.
NJW: Unterstellen wir mal, das verpflichtete Unternehmen in dem Fall aus Niedersachsen will dem nachkommen. Wie geht es dann weiter? Und wie lange dauert es, bis die Mindestversorgung verfügbar ist?
Hense: Wie zuvor angerissen, gibt § 161 TKG hier eine klare Zeitschiene vor, wobei ich davon ausgehe, dass aufgrund der technischen Möglichkeiten in der Regel eine kurzfristige Zwischenlösung gefunden wird, sollten sich bei der Umsetzung etwa bauliche Schwierigkeiten ergeben. Normalerweise sollte ein solches Verfahren, muss es denn durch Verpflichtung umgesetzt werden, nach gut einem Jahr abgeschlossen sein.
NJW: Wie bewerten Sie die Dauer im Hinblick auf eine effiziente Durchsetzung von Verbraucherrechten?
Hense: Diese Zeitschiene ist nachvollziehbar und nicht übermäßig lang, die BNetzA hat hierbei auch einen gewissen Spielraum, bestimmte Fristen zu verkürzen. In der Hand haben es aber die TK-Unternehmen, denn an deren technischer Einsatzplanung hängt mehr als an juristischen Fristen.
NJW: Muss sich die BNetzA nun auf eine Flut von vergleichbaren Verbrauchereingaben wie der aus Niedersachsen einstellen?
Hense: Angesichts der erweiterten Öffentlichkeit durch die Berichterstattung in vielen Medien dürfte sich zumindest kurzfristig eine gewisse Bugwelle an Beschwerden und Verfahren aufbauen. Das muss nicht schlecht sein, denn nur unter Druck entstehen Diamanten oder eben ein flächendeckendes Breitbandnetz, dessen man sich nicht schämen muss.
Der Leipziger Rechtsanwalt Peter Hense berät im Bereich IT, Datenschutz, Marken- und Wettbewerbsrecht. Er ist unter anderem Mitglied in der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V.
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