Interview
Klima- und Verkehrspolitik mit Parkgebühren?
Interview
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Autos werden immer größer und schwerer – was angesichts von knappem Parkraum und schmalen Straßen zu immer mehr Problemen in unseren Innenstädten führt. Die Bewohner von Paris haben in einem Bürgerentscheid für eine drastische Erhöhung der Parkgebühren für hochmotorisierte Schwergewichte gestimmt. In deutschen Kommunen gibt es vergleichbare und weitere Überlegungen, um die Innenstädte autofreier zu machen. Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam hat uns hierzu die Rechtslage erläutert.

3. Apr 2024

NJW: In Paris sollen für eine sechsstündige Parkzeit voluminöser Fahrzeuge künftig bis zu 225?Euro fällig werden. Wäre so etwas auch bei uns rechtlich möglich?

Schmidt: Nein. Die Fragestellungen des Gebührenrechts berühren regelmäßig mehrere Ebenen der Normenpyramide. Das Grundgesetz steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Gebot der Kostendeckungsorientierung zumindest solchen Gebühren entgegen, die völlig losgelöst von den Kosten erhoben werden, die durch die staatliche Leistung verursacht werden, die Anlass zur Gebührenerhebung geben. Eine Regelung wie die geschilderte ist daher weder auf Bundes- noch auf Landesebene denkbar.

NJW: Gegen Parkgebühren, die an der Fahrzeuggröße anknüpfen, wird unter anderem eingewandt, dass ein großes Auto neuerer Bauart die Umwelt weit weniger belastet als ein älteres kleines Auto. Wie ist dieses Argument rechtlich zu bewerten?

Schmidt: Gebührenrechtlich ist entscheidend, ob das jeweilige Merkmal Länge bzw. Klimafreundlichkeit geeignet ist, die in der gesetzlichen Grundlage angelegten Gebührenzwecke umzusetzen. Wenn in der Parkgebührenordnung eines Landes bzw. der nach § 6a VI4 StVG ermächtigten Stelle lediglich auf den Gebührenzweck „Vorteilsausgleich“ zurückgegriffen wird, dann muss sich die Gebühr an dem Nutzen bemessen, den der Fahrzeughalter aus dem Stellplatz zieht. Dabei kann zur Konkretisierung auf die Länge des Fahrzeugs zurückgegriffen werden. Die Berücksichtigung von Umweltzwecken wäre hingegen unzulässig.

NJW: Heißt das, dass eine Differenzierung zwischen Verbrenner- und E-Fahrzeug nicht möglich wäre?

Schmidt: Wieder sind die aus dem Tatbestand des Gesetzes erkennbaren Gebührenzwecke maßgeblich. Sollte in der Gebührenordnung der Zweck, gesundheitsschädliche Stickstoffemissionen oder Treibhausgasemissionen zu verringern, deutlich werden, dann wäre eine solche Differenzierung unter Zugrundelegung der Dogmatik der Rechtsprechung bei Berücksichtigung der Kostendeckungsorientierung theoretisch denkbar. Das ist jedoch gebührenrechtlich insofern Neuland, als dass bisher die Verfolgung von Lenkungszwecken bei Gebühren eine punktuelle Ausnahme darstellt, beispielsweise als Expresszuschlag, um der Überlastung der Verwaltung durch Last-Minute-Anträge entgegenzuwirken. Angesichts der erheblichen Bedeutung, die sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht dem unter anderen in Art. 20a GG verankerten Klimaschutz zukommen lassen, erscheint es im Rahmen des Möglichen, dass sich das Gebührenrecht in diese Richtung entwickelt.

NJW: Das Bundesverwaltungsgericht hat im vergangenen Jahr ein wegweisendes Urteil zu Anwohnerparkgebühren in Freiburg gefällt. Lässt sich hieraus im Hinblick auf erhöhte Gebühren für bestimmte Fahrzeuge etwas schlussfolgern?

Schmidt: Das besagte Urteil trifft unmittelbar lediglich Aussagen zu Verwaltungsgebühren für die Ausstellung von Parkausweisen für die Bewohner städtischer Quartiere (§ 6a Va StVG iVm Landesrecht). Das sind Gebühren, die anfallen, weil die bloße Ausstellung eines Anwohnerparkausweises, der dazu berechtigt, in einem bestimmten Gebiet zu parken, Verwaltungsaufwand verursacht. Zu Straßenbenutzungsgebühren, also den klassischen Parkgebühren auf Grundlage von § 6a VI StVG iVm Landesrecht, steht in dem Urteil wenig Neues. Vielmehr wird die bekannte Gebührendogmatik wiederholt und auf die soeben erwähnte Denkbarkeit des Klimaschutzes als Gebührenzweck verwiesen.

NJW: Können Sie uns diese Gebührendogmatik erläutern?

Schmidt: Zu den Verwaltungsgebühren für die Ausstellung von Anwohnerparkausweisen führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass § 6a Va StVG die bei diesen möglichen Gebührenzwecke auf den Vorteilsausgleich und die Kostendeckung beschränkt. Umwelt- und Klimaschutzaspekte dürfen von den Ländern bzw. den durch Rechtsverordnung ermächtigten Stellen nicht als Gebührenzwecke herangezogen werden. Im Rahmen des Vorteilsausgleichs sei die Länge eines Fahrzeugs ein geeignetes Merkmal, denn umso länger das Fahrzeug ist, desto schwieriger sei die konkurrenzgeprägte Parkplatzsuche und desto relevanter sei der Zugriff auf privilegierte Parkmöglichkeiten, die nur den Bewohnern eines bestimmten Gebiets offenstehen.

NJW: Wie müssten Gebührenregelungen ausgestaltet werden, um rechtlich unangreifbar zu sein? Insbesondere: Welche Kriterien können oder müssen sogar bei der Bemessung berücksichtigt werden?

Schmidt: Bei Verwaltungsgebühren für die Ausstellung von Anwohnerparkausweisen dürfen neben den verursachten Kosten nur der Nutzen, den der Parkausweis für den Fahrzeughalter bedeutet, berücksichtigt werden. Die Gebühr darf nicht außer Verhältnis zu beidem stehen. Im Hinblick auf den Nutzen bietet sich ein Vergleich zu dem Marktwert der in Anspruch genommenen Leistung an. Hinsichtlich der Kosten legt das Bundesverwaltungsgericht einen großzügigen Maßstab an und hält das 35,3-Fache bzw. das 11,7-Fache der zu deckenden Kosten für zulässig. Bei der konkreten Ausgestaltung muss – wie immer – Art. 3 I GG berücksichtigt werden, der einer willkürlichen Stufenbemessung nach Fahrzeuglängen entgegensteht. So wäre beispielsweise eine Regelung unzulässig, bei der der Unterschied von einem Zentimeter Fahrzeuglänge einen Gebührensprung um 33 % bewirkt. Bei Straßenbenutzungsgebühren müssen die jeweiligen Vorgaben der Gebührenordnung berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu § 6a Va StVG reduziert § 6a VI StVG für diese nicht die Anzahl zulässiger Gebührenzwecke. Im Hinblick auf die Kostendeckungsorientierung gilt das Gleiche wie bei den Verwaltungsgebühren für die Ausstellung von Anwohnerparkausweisen.

NJW: Und was würde für Fahrzeughalter gelten, die in einem Innenstadtbezirk wohnen?

Schmidt: Das hängt davon ab, was die jeweiligen Gebührenordnungen vorsehen, und davon, ob sie in einem Gebiet wohnen, für das Anwohnerparkausweise vergeben werden.

NJW: Welche (rechtlichen) Alternativen gibt es, um Innenstädte autofreier zu gestalten?

Schmidt: In Betracht kommt das klassische Instrumentarium kommunaler Verkehrsplanung. Im Wege der Teileinziehung können bestimmte Aspekte der Gemeingebrauchswidmung (wie die Öffnung zu Verkehrszwecken) rückgängig gemacht werden, so dass nur noch spezielle Benutzerkreise – wie beispielsweise Fußgänger – die Straße nutzen können. Auch sind Maßnahmen unter Rückgriff auf das Straßenverkehrsrecht wie die Einrichtung von Fahrradzonen nach § 45 Ii StVO oder Maßnahmen nach § 45 I Nr. 3, Ib Nr. 5 StVO zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen denkbar.

NJW: Inwiefern ist es rechtlich zulässig, mit Parkgebühren Klima- bzw. Verkehrspolitik zu betreiben?

Schmidt: Das ist eine grundsätzliche und hochgradig umstrittene Frage, deren Antwort maßgeblich vom verfassungsrechtlichen Verständnis des Gebührenbegriffs abhängt. In der Rechtsprechung scheint sich abzuzeichnen, dass ein Rückgriff auf Gebühren als Klima-Lenkungsabgabe für zulässig erachtet wird.

Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt studierte Jura an der Universität Göttingen. Nach dem Zweiten Staatsexamen habilitierte ihn die Juristische Fakultät der Universität Göttingen 2004 mit einer Arbeit zur kommunalen Kooperation. Von 2006 bis 2009 war er Richter am VG Hannover. Seit 2009 ist er Professor an der Universität Potsdam sowie Obmann des Schwerpunktbereichs „Staat und Verwaltung“. 2015 übernahm er die Leitung des Evangelischen Instituts für Kirchenrecht der Universität Potsdam, ein Jahr später den Vorsitz im Fakultätsrat der Juristischen Fakultät. Daneben nimmt Schmidt, der von 2015 bis 2016 Richter am OVG Berlin-Brandenburg im Nebenamt war, seit vielen Jahren umfangreiche Tätigkeiten in der akademischen Selbstverwaltung wahr.

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Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.