Interessenkonflikte in der Anwaltschaft
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Einige Wirtschaftskanzleien sind unzufrieden mit der Vertretung ihrer Interessen und ihrem politischen Einfluss. Daher haben sie einen eigenen Verband gegründet. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat auf den Wunsch nach stärkerer Repräsentation mit einem Forum reagiert, das den Interessen dieser Sozietäten Gehör verschaffen soll. Wir wollten von Prof. Dr. Christian Wolf vom Institut für Prozess- und Anwaltsrecht der Universität Hannover wissen, was diese Pläne für die Anwaltschaft bedeuten.

8. Apr 2022

NJW: Einige Wirtschaftskanzleien fühlen sich und ihre Interessen bei DAV und BRAK nicht ausreichend repräsentiert. Können Sie das nachvollziehen?

Wolf: Repräsentativ bedeutet, dass im DAV und in der BRAK die in den Wirtschaftskanzleien arbeitenden Anwälte entsprechend ihrer Anzahl abgebildet werden. Macht man sich klar, dass nach den vom Soldan Institut ermittelten Zahlen in den 30 größten Kanzleien 5,4 % aller Anwälte arbeiten und in den zehn größten gerade mal 2,6 %, wird sehr schnell deutlich, dass insbesondere im DAV die Wirtschaftskanzleien nicht unter-, sondern überrepräsentiert sind. Besonders deutlich wird dies etwa auch im Berufsrechtsausschuss.

NJW: Es hieß unter anderem, der DAV habe sich nicht genügend für die LLP eingesetzt.

Wolf: Die Rechtsform war in der deutschen Rechtswirklichkeit noch nicht richtig angekommen. Sie wäre auch nur um den Preis zu haben gewesen, dass die in einer LLP arbeitenden Anwälte wie die englischen Kollegen haftungsrechtlich auch persönlich gegenüber dem Mandanten einstehen. Das ist aber nicht gewollt. Englisches Gesellschaftsrecht und deutsches Haftungsrecht haben zu einer Zerstückelung eines einheitlichen Konzepts geführt.

NJW: Man tritt DAV und BRAK aber sicher nicht zu nahe, wenn man ihnen eine stärkere Fokussierung auf Belange anderer Teile der Anwaltschaft zuschreibt. Für eine Gebührenanpassung setzt man sich dort mit mehr Verve ein als für großkanzleispezifische Fragen zur Gewerbesteuerpflicht oder zum Arbeitszeitgesetz.

Wolf: Wäre es anders, würde sich wohl die ganz große Mehrheit der Anwaltschaft, für die die RVG-Gebühren sehr wichtig sind, nicht repräsentiert fühlen. Im Übrigen müssen auch Versicherungen, Banken und Rechtsabteilungen mit dem Arbeitszeitgesetz zurechtkommen. Das Thema der Gewerbesteuer scheint für viele Großkanzleien auch an Schrecken verloren zu haben.

NJW: Sind die Anwaltsorganisationen bei manchen Themen vielleicht auch deshalb zurückhaltend, weil die Interessen innerhalb der Anwaltschaft teilweise sehr gegenläufig sind? Bei Themen wie Fremdbesitz oder Erfolgshonorar gehen die Meinungen im Berufsstand weit auseinander.

Wolf: Ich weiß nicht, ob die Ansichten so unterschiedlich sind. Für Fremdbesitz und Erfolgshonorar streiten vor allem diejenigen, die es sich wirtschaftlich leisten können, für ihre Meinung zu werben. Deshalb haben sie in der Wahrnehmung vielleicht größeres Gewicht, als ihnen zahlenmäßig in der Anwaltschaft zukommt.

NJW: Dennoch lässt sich ja eine zunehmende Segmentierung der Anwaltschaft nicht bestreiten. Dass die anwaltliche Tätigkeit als Einzelanwalt, in einer kleinen Allgemeinkanzlei, einer hochspezialisierte Boutique, einer internationalen Großkanzlei oder als Syndikusrechtsanwalt ganz unterschiedlich ist, liegt auf der Hand. Wie sinnvoll ist dann noch ein einheitliches Berufsrecht?

Wolf: Diskutiert wird ja die Frage, ob die Interessen der Wirtschaftskanzleien hinreichend durch DAV und BRAK vertreten werden. Hiervon ist die Frage nach einem einheitlichen Berufsrecht zu unterscheiden. Der frühere Bundesverfassungsrichter Reinhard Gaier hat mal den Vorschlag gemacht, man solle zwischen den forensisch und den rein beratend tätigen Anwälten unterscheiden. In einer Reihe von Gebieten haben sich große Wirtschaftskanzleien deutlich von dem Leitbild in §§ 1 bis 3 BRAO entfernt. Als Stichworte dienen Legal-­Project-Manager, Transaction Lawyers, Business-Improvement-Manager und die Entwicklung von Legal-Tech-Programmen. Das sind Tätigkeiten, die Unternehmensberatern und Softwareunternehmen näherstehen als der klassischen Anwaltstätigkeit. Der Wunsch nach mehr Beinfreiheit ist hier vielleicht nachvollziehbar, das anwaltliche Berufsrecht ist aber kein Cafeteria-System.

NJW: Was meinen Sie damit?

Wolf: Die anwaltliche Tätigkeit ist unmittelbar auf den Rechtsstaat und den Zugang zum Recht bezogen. Anwälte sichern den Zugang zum Recht. Dieser Rechtsstaatsbezug erklärt eine ganze Reihe von Regelungen in der BRAO, etwa die Selbstverwaltung, die Verschwiegenheitspflicht sowie das Zeugnisverweigerungsrecht und das Beschlagnahmeverbot. Wenn der aus dem Rechtsstaatsbezug folgende regulatorische Rahmen für die unternehmerischen Aktivitäten als zu eng empfunden wird, wäre es eine Überlegung wert, die Kanzleien wie Unternehmensberater oder Softwareunternehmen zu behandeln: Also staatliche Wirtschaftsaufsicht und kein Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot mehr. Damit einher würde dann auch gehen, dass man vor Gericht nicht mehr auftreten kann, kurz: die Stellung als Rechtsanwalt verlieren würde.

NJW: Wirtschaftskanzleien sichern ebenfalls Zugang zum Recht, auf den gewerbliche Mandanten ebenso Anspruch haben wie auf die Verschwiegenheitspflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht ihrer Anwälte.

Wolf: Die Tätigkeit als Rechtsanwalt funktioniert nur mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Bindungen. Ein rein unternehmerisches Verständnis der eigenen Tätigkeit, wie sie in großen Wirtschaftskanzleien verbreitet ist, ist damit nicht vereinbar. Denkbar wäre allenfalls, für die Wirtschaftskanzleien im RDG, ähnlich den Inkassounternehmen, eine Sonderregelung für rechtliche Beratung zu schaffen, etwa unter der Voraussetzung, dass die Kunden über eine eigene Rechtsabteilung verfügen und eine bestimmte Größe haben. Aber ich gehe nicht davon aus, dass man sich mit dem Vorschlag anfreunden würde. Am Ende des Tages will man doch Rechtsanwalt sein.

NJW: Viele Wirtschaftskanzleien hierzulande gehören zu großen Sozietäten aus den USA oder dem Vereinigten Königreich. Gibt es dort ähnliche Diskussionen über die Einheit der Anwaltschaft und deren Interessenvertretung?

Wolf: Die ABA in den USA ist ein freiwilliger Zusammenschluss, in England hat die City of London Law ­Society einen prägenden Einfluss mit den Interessen der darin vertretenen Wirtschaftskanzleien. Die jetzige Entwicklung bei uns scheint nach meinem Eindruck nicht maßgeblich von hiesigen Standorten der US- oder UK-Kanzleien auszugehen.

NJW: Man fühlt sich gerade etwas erinnert an die Gründung des Bundesverbands der Unternehmensjuristen (BUJ). Was würde eine weitere Zersplitterung der anwaltlichen Interessenvertretung für den politischen Einfluss des Berufsstands bedeuten?

Wolf: Bisher gab es ja nur eine Abspaltung kleiner Gruppen. Beim BUJ sind gerade mal 14 % der Syndikusrechtsanwälte Mitglied. Ich sehe auch nicht, dass dem Verband noch ein großes Gewicht in der rechtspolitischen Diskussion zukommt, nachdem man sich erfolgreich für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung eingesetzt hat. In den Kanzleien, die dem neuen Verband angehören, sind auch nur ein Bruchteil aller zugelassenen Anwälte tätig. Der größte Teil der Anwaltschaft arbeitet in kleinen Einheiten, deren Interessen es schlagkräftig zu vertreten gilt. Aber natürlich wäre es besser, die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Anwaltschaft zunächst zu konsolidieren und anschließend einheitlich nach außen zu vertreten.

NJW: Muss man nicht zu dem Schluss kommen, dass die allseits beschworene Einheit der Anwaltschaft nicht mehr existiert?

Wolf: Aus der berufsrechtlichen Perspektive ergibt sich die Einheit der Anwaltschaft aus dem Rechtsstaatsbezug der Tätigkeit und dem in der BRAO niedergelegten Berufsbild mit den damit verbundenen Privilegien und Verpflichtungen. Allerdings spiegelt sich auch innerhalb der Anwaltschaft die Entwicklung wider, die etwa Thomas Piketty für die Gesellschaft insgesamt beschrieben hat: Wenn sich die Einkommensverhältnisse dramatisch auseinanderentwickeln, lebt man in unterschiedlichen Welten, und es wird schwieriger, soziologisch und ökonomisch die gemeinsame Basis zu finden. Dies gilt auch im Verhältnis zwischen Großkanzleien und Justiz.

Prof. Dr. Christian Wolf lehrt und forscht an der Leibniz Universität Hannover. Seit Oktober 2005 ist er dort geschäftsführender Direktor des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht (IPA), das unter seiner Regie den jährlichen Soldan Moot Court veranstaltet. Er ist Mitherausgeber und Kommentator des Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht.

Interview: Tobias Freudenberg .